Wittgenstein. Welche Bedeutung hat das Geld der EU für die Betriebe und wofür streiten die Landwirte in Berlin? Ein Gespräch mit Landwirten

„Ich bin am Montag auch in Berlin“, berichtet Landwirt Heinrich Menn aus der Rohrbach im Gespräch mit dieser Zeitung. Am Montag gehen die deutschlandweiten Bauernproteste mit einer Groß-Demo in der Bundeshauptstadt zu Ende. Die Landwirte in Siegen-Wittgenstein haben am Sonntagabend ihre Unterstützung mit leuchtenden Traktoren auf den Bergen der Region deutlich gemacht.

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Am Sonntagabend, 14. Januar, sendeten die Landwirte aus dem Kreis Siegen-Wittgenstein mit ihren Traktoren ein Licht von den Bergen und Anhöhen im Kreisgebiet an die Teilnehmer der Demonstration am Montag in Berlin.
Am Sonntagabend, 14. Januar, sendeten die Landwirte aus dem Kreis Siegen-Wittgenstein mit ihren Traktoren ein Licht von den Bergen und Anhöhen im Kreisgebiet an die Teilnehmer der Demonstration am Montag in Berlin. © Nasser Trabulsi | Nasser Trabulsi

Siegen-Wittgensteins Kreislandwirtin Katharina Treude aus Birkefehl stößt ins gleiche Horn: „Die Bundesregierung ist gesprächsbereit, das gilt es jetzt zu nutzen. Wir müssen jetzt über Landwirtschaft reden“, sagt Treude, die sich vor allem über eines freut: „Früher hätte man nicht drei Landwirte unter einen Hut bekommen. Jetzt ist der Zusammenhalt gut.“ In Berlin kann die neue Kreislandwirtin nur mit dabei sein, wenn sie eine Vertretung für den Stall organisieren kann.

Unser Kapital ist das Land. Wir wirtschaften in Generationen. Da kann man nicht alle fünf Jahre die Grundlagen der gemeinsamen Agrarpolitik reformieren.
Heinrich Menn - wünscht sich langfristig eine klare Linie

Für ihren Berufskollegen Menn ist die Zielsetzung für Gespräche klar: „Wir Landwirte vermissen einen roten Faden in der Politik. Das hat übrigens nichts mit der Ampelregierung zu tun, sondern der fehlt sein 25 Jahren“, kritisiert der Milchviehalter und sagt, warum Kontinuität für ihn so wichtig ist: „Unser Kapital ist das Land. Wir wirtschaften in Generationen. Da kann man nicht alle fünf Jahre die Grundlagen der gemeinsamen Agrarpolitik reformieren.“ Er selbst habe beispielsweise seinen Stall auf 30 Jahre finanziert und muss langfristig wirtschaften. Kein anderer Wirtschaftszweig - abgesehen von der Forstwirtschaft - denkt in Jahrzehnten. Die aktuellen Richtlinien für Agrarsubventionen vergleicht er deshalb in ihrer Kurzfristigkeit mit der Strompreisbremse für die Industrie.

Agrarsubventionen für Wittgenstein

Ein Großteil der Gelder für Landwirtschaft speist sich aus den EU-Agrarsubventionen. Die werden vom Bund und den Ländern aus verschiedenen Töpfen als Direktzahlungen an Landwirte überweisen. Auf der Internetseite des Bundesministeriums für Landwirtschaft und Ernährung kann man die Zahlungen runter bis zum einzelnen Betrieb nachvollziehen. Die aktuellsten veröffentlichten Zahlen stammen aus dem Jahr 2022. Bundesweit wurden sieben Milliarden Euro an 315.000 Empfänger ausgezahlt. Für Wittgenstein sind 496 Empfänger registriert. Ausgezahlt wurden 6.112.874 Euro. Der Löwenanteil von 3.587.605 Euro floss an 288 Empfänger in Bad Berleburg. 1.547.896 Euro flossen an 68 Empfänger in Erndtebrück. 977.373 Euro gingen an 140 Einzelempfänger in Bad Laasphe.

Viel läuft über die Fläche. Das dient der Förderung des ländlichen Raumes, bedeutet aber auch, dass nicht nur Landwirte eine Förderung bekommen.
Katharina Treude

Die nackten Zahlen verzerren das Bild aber: Seit den römischen Verträgen von 1957 haben sich die Ausgleichszahlungen für Landwirtschaft, die eine flächendeckende Versorgung mit Lebensmitteln sichern sollten, verändert. Aus einer Prämie für die Erzeugnisse wurden in den 1980er Jahren Überproduktion. Um Berge von Äpfeln, Getreide und Milchseen zu verhindern, ging man auf die Fläche als Grundlage für Zahlungen, erläutert Heinrich Menn die Entwicklung. „Der Boden ist unser Kapital. Ich selbst habe 40 Hektar, bewirtschafte aber 120 Hektar. 80 habe ich dazu gepachtet.“ Doch für Milchviehalter macht der Hektar Grünland auch Probleme, weil die Förderung auf Grünland ausgelaufen ist. Das sogenannte Greening ist weg. Blühstreifen an Äckern aber werden gefördert. Für Bauern im kargen Wittgensteiner Land, das wenig Ackerbau und viel Viehhaltung hat, ist das ein Faktor.

Zahlen zu Agrar-Subventionen finden

Das System ist gut einsehbar: In Deutschland ist die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) mit der Veröffentlichung der von den Bundesländern erhobenen Zahlen betraut und betreibt zu diesem Zweck die Internetseite www.agrar-fischerei-zahlungen.de.

Dort werden die Daten der EU-Zahlstellen des Bundes und der Länder über die Zahlungsempfänger von Mitteln aus dem Europäischen Garantiefonds für die Landwirtschaft (EGFL), aus dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) sowie aus dem Europäischen Meeres- und Fischereifonds (EMFF) veröffentlicht.

Im Zuge der GAP-Reform wurden auch die Bestimmungen zur Veröffentlichung der Empfänger von Agrarzahlungen geändert. Demnach müssen seit 2015 grundsätzlich wieder natürliche Personen unter den Empfängern veröffentlicht werden.

Das EU-Haushaltsjahr beginnt am 16. Oktober eines Jahres und endet am 15. Oktober des Folgejahres. Veröffentlicht werden die Zahlungen, die ein Empfänger im betreffenden EU-Haushaltsjahr erhalten hat. Die Daten stehen dann zwei Jahre zur Verfügung. Zurzeit sind in der Datenbank die EU-Agrarzahlungen der Jahre 2021 und 2022 enthalten.

„Viel läuft über die Fläche“, bestätigt auch Kreislandwirtin Katharina Menn. „Das dient der Förderung des ländlichen Raumes, bedeutet aber auch, dass nicht nur Landwirte Förderung bekommen.“ Auch wer Weideland hat, dass nicht genutzt wird kann, Förderrichtlinien erfüllen und Geld bekommen. Außerdem befinden sich in den Zuweisungen auch „Einmalzahlungen“, die das Bild verzerren können. Zum Beispiel sind auch Investitionen in neue Ställe förderfähig, weil sie beispielsweise der Verbesserung der Haltungsbedingungen und des Tierwohls dienen, erläutert Treude. Da kommen dann auch einmalig sechsstellige Beträge vor.

Geld für Entwicklung des ländlichen Raumes

Stichwort Entwicklung des ländlichen Raumes. Unter diesen Begriff fallen auch die Leader-Mittel, die ebenfalls aus dem Agrar-Topf der EU bezahlt werden oder auch die Flurbereinigung in Womelsdorf. Die allein ist mit 242.245 Euro veranschlagt. Die TKS Bad Laasphe hat 44.118 Euro aus dem Leader-Topf bekommen. Die Gemeinde Erndtebrück 46.228 Euro. Für den Ederauenpark sind 83.527 Euro geflossen. Der Gemeinschaftsverein Arfeld erhielt 39.928 Euro. Kleinprojekte wurden mit 1046 Euro finanziert und die Lokale Aktionsgruppe Leader erhielt 89.695 Euro und die Stadt Bad Berleburg 276.642 Euro. Zusammen sind das 823.429 Euro.

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An vergleichsweise „reinen Agrarsubventionen“ bleiben dann 5.289.445 Euro. Das macht bei den 496 Empfängern durchschnittlich 10.664 Euro. Doch dieser Wert ist problematisch. Weil es insgesamt nur 166 Empfänger (inklusive der Leader-Projekte) gab, die mindestens fünfstellige Beträge bekommen haben. Und auch an der Höhe der Zahlungen lässt sich nicht erkennen, ob es sich um einen Haupt- oder Nebenerwerbslandwirt handelt. „Das ist für alle Betriebe sehr individuell“, macht Katharina Treude klar und ergänzt zur wirtschaftlichen Bedeutung: „Es gibt Betriebe, die weniger davon abhängig sind.“ Als Beispiel nennt sie Direktvermarkter, die auch ihre Preise selbst machen könnten. „Wir als Milchviehbetrieb können das nicht, weil wir Rohmilch nicht verkaufen dürfen.“ Im Einzelfall mache das einen erheblichen Unterschied.

Kontrolle über Produktionsbedingungen

Für Heinrich Menn ist das Spannungsfeld klar: Die Politik will aus der Landwirtschaft in Deutschland ein „Bullerbü“ machen. Gleichzeitig aber seine die Umweltstandards in Deutschland bereits jetzt die höchsten in der Welt und die Landwirtschaft sein in Deutschland deutlich produktiver als andernorts. Als Beispiel nennt Statistiken: 2020 wurden bei der Produktion eines Liters Milch in Deutschland 1,1 Kilogramm CO2 freigesetzt. Der weltweite Durchschnitt liegt bei 2,4 Kilogramm. In Afrika liegen die Werte laut der „Initiative Milch“ sogar bei 3,5 bzw. 7,5 Kilogramm. Und beim Getreide produziere Deutschland pro Hektar Anbaufläche 9,4 Tonnen Weizen. In der „Kornkammer der Welt“ - Russland und der Ukraine - sind es 3,8 Tonnen je Hektar.

Mit Blick auf die Erzeugerpreise und Umweltstandards macht Menn klar: Dass man bei der Verlagerung von Lebensmittelproduktion in andere Länder - auch innerhalb der EU - aus Kostengründen auch in Kauf nehme, die Kontrolle über die Qualität der Erzeugnisse und die Herstellungs- und Umweltbedingungen zu verlieren. Ganz zu schweigen davon, dass lokale Produktion nachhaltiger sei als der Import.