Bad Laasphe/Bad Berleburg. Vor 80 Jahren mussten 34 jüdische Mitmenschen aus Wittgenstein einen Bus besteigen, der in den Tod führte. Nur einer kam zurück nach Hause.
„Gedenken und Erinnern bedeutet, dass wir die Worte Hass, Vertreibung, Vernichtung für alle Zeit verlernen und wahrnehmen, dass Verständigung, Versöhnung und Frieden Tätigkeitsworte sind, die zum Handeln aufrufen.“
Das sind Worte von Maria Baldus, die am Mahnmal der Jacoby’schen Anstalt in Bendorf-Sayn zu lesen sind. Worte, die nicht nur in unsere Zeit passen, sondern auch in Zusammenhang mit dem heutigen Datum stehen. Heute vor 80 Jahren war die zweite Deportation jüdischer Mitbürger/innen aus Wittgenstein über Dortmund nach Theresienstadt.
In einem Schreiben des Landrates des Kreises Wittgenstein vom 22. Juli 1942 an die Ortspolizeibehörden der Städte Berleburg und Laasphe und des Amtes Berleburg heißt es:
„Wie mir vom Bürgermeister in Laasphe fernmündlich mitgeteilt wurde, hat der Vertrauensmann Präger das Weitere bereits veranlasst, und zwar:
1. Dass die Schwarzenauer Juden am Samstag, den 25. Juli 1942 mit dem Krankenauto nach Dortmund verbracht werden,
2. Dass Fa. Messerschmidt am Montag, den 27. Juli 1942 um 7 Uhr vormittags mit dem Omnibus mit den Laaspher Juden abfährt nach Berleburg, hier die hiesigen Juden aufnimmt und dann nach Dortmund weiterfährt.
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So mussten am 27. Juli 1942 18 Mitglieder der jüdischen Gemeinde Laasphe am Wilhelmsplatz diesen Bus besteigen, mit dem sie ihre Heimatstadt für immer verließen. Was sie mitnehmen durften, war nicht viel: 50 Reichsmark in Banknoten, ein Koffer oder Rucksack mit Bekleidungs- und Wäschestücken, Haushaltsgegenstände und Lebensmittel, soweit sie noch vorrätig waren. In Berleburg stiegen weitere 16 jüdische Frauen und Männer zu (abzüglich der mit dem Krankenauto transportierten Schwarzenauer Juden).
Zunächst hatte die Busfahrt das Ziel Dortmund. Hier diente der Saal der Gaststätte „Zur Börse“ in der Steinstraße 35 als Sammellager. Im Schreiben der Gestapo Dortmund an den Landrat von Berleburg vom 17. Juli 1942 heißt es: „Der geschlossene Abtransport erfolgt am 29.7.1942 um 13.27 Uhr vom Bahnhof Dortmund-Süd.“
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Der Transport X/1 von Dortmund ins Ghetto Theresienstadt umfasste insgesamt 968 Juden aus Westfalen, von denen nach bisherigen Erkenntnissen 90 überlebten. Auf der Transportliste sind die insgesamt 34 Wittgensteiner Juden (18 aus Laasphe und 16 aus Berleburg) unter den Nummern 345 bis 378 aufgeführt. Der einzige Überlebende der Wittgensteiner war Julius Goldschmidt, der nach Kriegsende wieder in seine Heimatstadt Berleburg zurückkehrte. Alle anderen starben entweder im Ghetto Theresienstadt oder wurden von dort in die Vernichtungslager Auschwitz oder Treblinka deportiert und ermordet.
Nach dieser Deportation verblieb nur noch die Familie Präger in Laasphe. Das lag daran, dass Max Präger im Weltkrieg 1914 bis 1918 nicht nur mit dem Eisernen Kreuz, sondern auch mit dem Verwundetenabzeichen ausgezeichnet worden war. Die besonders verdienten Weltkriegsteilnehmer waren zunächst von der Deportation verschont geblieben. Er fungierte als Bindeglied zwischen Stadtverwaltung und der jüdischen Gemeinde. Die „Krankentransportkosten“ nach Dortmund in Höhe von 111,30 Mark wurden dem letzten Vorsteher der jüdischen Gemeinde in Rechnung gestellt.
Das war für Max Präger, seine Ehefrau Johanna und die Töchter Hannelore und Ursula nicht die Rettung, sondern nur der Aufschub der Deportation. Am 17. Mai 1943 mussten mit der Familie Präger die letzten noch in Laasphe lebenden Juden ihre Heimat verlassen.
Die erste, zahlenmäßig noch größere Deportation hatte bereits Ende April 1942 nach Zamosc stattgefunden.
Jüdische Frauen und Männer aus Wittgenstein, die am 27. Juli 1942 ins Ghetto Theresienstadt deportiert wurden:
Berleburg
Eva Hermine Aronstein, geb. Vorreuter, 84 J., Berleburg, Tod 16.05.1943
Max Buchheim, 43 J., Schwarzenau, Tod 28.03.1943
Rosalie Elsoffer, geb. Stern, 76 J., Schwarzenau, Tod 27.08.1943
Herta Elsoffer, 42 J., Schwarzenau, dep. 29.01.1943 nach Auschwitz
Getrud Goldschmidt, 29 J., Berleburg, dep. 12.10.1944 nach Auschwitz
Julius Goldschmidt, 70 J., Berleburg, überlebte und kehrte nach Berleburg zurück
Selma Goldschmidt, geb. Hony, 65 J., Berleburg, Tod 16.01.1943
Berta Rosa Hony, 64 J., Elsoff, Tod 29.09.1942
Ida Hony, 59. J., Eldoff, Tod 15.01.1943
Adele Krebs, 47 J., Berleburg, Tod 23.04.1943
Albert Stern, 63 J., Berleburg, Tod 07.09.1944
Flora Stern, geb. Isenberg, 44 J., Berleburg, dep. 19.10.1944 nach Auschwitz
Grete Stern, 11 J., Berleburg, dep. 23.10.1944 nach Auschwitz
Johanna Stern, geb. Meyer, 44 J., Berleburg, dep. 23.10.1944 nach Auschwitz
Siegfried Stern, 48 J., Beddelhausen, Tod 17.06.1943
Irma Wolff, geb. Aronstein, 60 J., Berleburg, dep. 15.05.1944 nach Auschwitz
Laasphe
(Alle Deportierten stammten aus der Kernstadt.)
Herz Beifus, 76 J., dep. 23.09.1942 nach Treblinka
Minna Beifus, geb. Stern, 63 J., dep. 23.09.1942 nach Treblinka
Michael Brill, 77 J., Tod 27.05.1944
Fanny Brill, geb. Rosenberg, 71 J., Tod 11..09.1943
Brunhilde Brill, 30 J., dep. 23.10.1944 nach Auschwitz
Moses Burg, 84 J., Tod 25.09.1942
Heli Gunzenhäuser, 69 J., dep. 23.09.1942 nach Treblinka
Frieda Gunzenhäuser, geb. Wertheim, 58 J., dep. 23.09.1942 nach Treblinka
Meta Hony, geb. Gunzenhäuser, 65 J., dep. 23.09.1942 nach Treblinka
Jakob Moses, 65 J., Tod 10.07.1943
Karoline Moses, geb. Rosenberg, 69 J. Tod 01.07.1943
Minna Rosenbaum, geb. Liebermann, 75 J., dep. 26.09.1942 nach Treblinka
Emma Rosenberg,, 65 J., Tod 19.02.1943
Josef Rosenstein, 64 J., Tod 26.02.1943
Fanny Rosenstein, geb. Goldschmidt, 66 J., Tod 10.05.1943
Meier Scheuer, 77 J., Tod 10.08.1942
Jette Scheuer, geb. Löwenstein, 80 J., Tod 20.02.1943
Sally Stiefel, 46 J., dep. 29.01.1943 nach Auschwitz
Die Altersangaben beziehen sich auf das Datum der Deportation; die Ortsangabe ist der Wohnort; das Todesdatum bezieht sich auf Theresienstadt; für Auschwitz und andere Vernichtungslager gibt es nur das Deportations- aber kein genaues Todesdatum.