Puerto Iguazú/Argentinien. Die Bad Laaspherin Lisa Achatzi sammelt Radkilometer, unglaubliche Erfahrungen und vor allem Geld für das UN-Flüchtlingshilfswerk.

Nur ein paar verdutzt dreinschauende Flamingos begrüßen Lisa Achatzi, als sie morgens am chilenischen Salzsee „Salar de Surire“ aus ihrem Zelt schaut. Noch einmal genießt sie diese Ruhe, die es nur dort gibt, wo kein Mensch zuhause ist. Das ändert sich schlagartig, als sie auf einer Schotterstraße von vielen Lkw überholt wird, die auf dem Weg zu einer Mine sind. Das bedeutet Staub - viel Staub. Achatzis Nase, die schon seit Tagen dicht ist, macht ihr schwer zu schaffen, der innere Schweinehund wird zum Dämon: „Ich hörte meinen Körper regelrecht schreien: ‚Lisa, du bist krank! Du brauchst Ruhe und zwar jetzt!‘ Dann hielt ich an und merkte, dass es mir richtig scheiße geht.“ Achatzi weiß von einer Polizeistation, doch bis dahin sind es noch fünf Kilometer.

Lisa Achatzi fährt durch Teile des Salar de Uyuni in Bolivien. Die größte Salzpfanne der Erde ist etwa zwanzig Mal größer als der Bodensee. 
Lisa Achatzi fährt durch Teile des Salar de Uyuni in Bolivien. Die größte Salzpfanne der Erde ist etwa zwanzig Mal größer als der Bodensee.  © Lisa Achatzi | Lisa Achatzi

Mehrere Male muss sie auf diesem kurzen Stück anhalten, Dreck und Staub setzen sich in ihren Atemwegen fest, jeder Meter fühlt sich wie einer zurück an. Plötzlich kommen ihr drei Polizisten entgegen und versorgen sie schnell mit einer Decke und Wasser. Genau hier endet Achatzis schier unbändiger Drang auf das Neue, Unbekannte. Ihr Ehrgeiz kapituliert vor der Einsicht, eine Schmerzgrenze überschritten zu haben: „Ich fühlte mich so kraftlos wie noch nie und bekam kein ordentliches Spanisch hin, bevor ich mir dann einen Teller Spaghetti reinprügelte.“ Dann schläft sie auf einer Matratze in der Polizeistation wie ein Stein ein.

Albtraum Gegenwind

Karte
Karte © Lars Peter Dickel | Diana Leboch

Wieder bei Kräften und Sinnen, springt Achatzi zunächst bei einem Reisebus auf, der in der Nähe stoppt. Hauptsache raus aus dieser Gegend, die wegen Schmugglern und Lkw-Kolonnen wahrlich kein Paradies für Radfahrende ist. Nach einigen Tagen rückt Bolivien näher, in Villamontes muss ihr in einer Werkstatt aus der Steinzeit mit einem Gangschaltungsproblem geholfen werden. Weiter geht es durch den bolivianischen Chaco (Region mit Trockenwäldern und Dornbuschsavannen) und schließlich in Richtung Paraguay. Achatzi hat nicht grundlos Respekt vor dem weiteren Verlauf: „Die Anden im Rücken und den Blick auf die letzten Hügelchen, bevor es dann durch den 800 km langen Chaco Paraguays geht – trocken, heiß, wenig Zivilisation, viel geradeaus.“ Schnell muss sie sich eingestehen, bei dieser Aufzählung etwas unterschlagen zu haben: Gegenwind. Besonders auf den ewig langen Geraden kann dieser nicht nur in die Beine, sondern vor allem aufs Gemüt schlagen. Das Gefühl, wegen Gegenwind auf der Stelle zu stehen, ist für Radfahrer Alptraum und Endgegner in einem.

Nach etwa 130 Kilometern hat Achatzi die berühmten Faxen dicke und hält an dem Haus eines Naturreservats an, wo sie von Cesar, einem Angestellten, begrüßt wird. Nicht nur wegen der hereinbrechenden Dämmerung entpuppt sich der Stopp für die Laaspherin als Sechser im Lotto. Achatzi kann sich niederlassen, eine Dusche genießen und über Nacht bleiben.

Lisa Achatzi besuchte die Iguazú-Wasserfälle im Dreiländereck von Paraguay, Argentinien und Brasilien - ein Tourismus-Magnet.
Lisa Achatzi besuchte die Iguazú-Wasserfälle im Dreiländereck von Paraguay, Argentinien und Brasilien - ein Tourismus-Magnet. © Lisa Achatzi | Lisa Achatzi

Nur bei einem Thema kennt sie die Hürden inzwischen: Achatzi weiß, dass die Paraguayer Fleisch noch mehr lieben als der Rest Südamerikas, sie als Veganerin aber nie Umstände machen möchte. Doch Cesar reagiert sofort: „Magst du Zucchini? Ich kann eine Pasta machen!“ Als der Tisch um 18 Uhr gedeckt ist, fragt Achatzi verwundert, ob er denn nichts esse. Er schüttelt den Kopf, für ihn ist es dafür noch zu früh. „Mein Herz explodierte fast. Er hat einfach nur für mich schon so früh gekocht. Später saßen wir draußen und lachten viel. Es tat gut, mal wieder ein bisschen albern zu sein“. Ein Freund Achatzis sagte ihr einmal, dass sich Reisende wegen der fehlenden Sehenswürdigkeiten meist nicht an Paraguay erinnern würden - aber an die Menschen dort. Achatzi kann das nur unterschreiben: „Paraguay wird von vielen kaum wahrgenommen, weil das Land weder die krasseste Natur noch die hippsten Metropolen zu bieten hat, doch für mich wird Paraguay immer einen ganz besonderen Ort in meinem Herzen haben.“

Höllische Touristen

15000 Kilometer legte Lisa Achatzi insgesamt mit dem Rad in Südamerika zurück. Wegen der Pandemie musste sie ihre Reise unterbrechen.
15000 Kilometer legte Lisa Achatzi insgesamt mit dem Rad in Südamerika zurück. Wegen der Pandemie musste sie ihre Reise unterbrechen. © Lisa Achatzi | Lisa Achatzi

Sieben Tage lang dauert ihr Weg durch den Chaco. Zwischendurch wird sie von ihrem Tacho daran erinnert, nun insgesamt 15.000 Kilometer mit dem Rad durch Südamerika zurückgelegt zu haben. Im Südosten Paraguays nähert sie sich schließlich dem Dreiländereck zu Argentinien und Brasilien und damit einem von Touristen überlaufenen Ort: die Iguazú-Wasserfälle. „Ständig blieb irgendwer, ohne nach hinten zu schauen, stehen und erschlug dabei zehn Leute mit einem Selfie-Stick. Touristen aus der Hölle!“ Mit diesen Reisenden geht es in der nächsten Ausgabe weiter.