Wittgenstein. Mit der Angst vor dem Atomkrieg steigt in Wittgenstein die Nachfrage nach Jodtabletten. Die Eigenmedikation ist aber sinnlos – und gefährlich.
Seitdem Putins Armee in der Ukraine eingefallen ist, das größte Atomkraftwerk in Saporischschja brannte, Kampfhandlungen in Chernobyl für erhöhte Strahlenwerte sorgten und Putin nicht nur indirekt mit einem nuklearen Schlag drohte, ist die Angst vor einem Atomkrieg auch in Deutschland angekommen. Daher verbreitet sich jetzt auch wieder der Mythos, dass rezeptfreie Jodtabletten bei erhöhter nuklearer Strahlung die Gesundheit schützen könnten. Dass das jedoch so nicht stimmt und dass auch in Wittgenstein die Nachfrage nach Jodtabletten gestiegen ist, erklären heimische Apotheker.
Die Nachfrage
In der Brückenapotheke in Erndtebrück werde derzeit vermehrt nachgefragt, Bürger informieren sich telefonisch über den Bestand und die Möglichkeit, Tabletten zu bekommen, wie wir auf Nachfrage erfahren. Diese rezeptfreien Tabletten seien jedoch bundesweit ausverkauft, heißt es. Und zwar vor allem auch in Versandapotheken, macht Karsten Wolter, Inhaber der Kur-Apotheke in Bad Berleburg deutlich.
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„Bei uns kommt es ganz vereinzelt zu Nachfragen. Hier bei uns werden die Menschen dann aber fachgerecht beraten, und das ist auch gut so – anders als in Versandapotheken“, so Wolter. Vor Ort könne eben abgeraten werden von der vorsorglichen Einnahme von Jodtabletten, die rezeptfrei erworben werden können.
Die Nützlichkeit
Denn: Diese Jodtabletten, die zur Ergänzung bei einem Jodmangel eingenommen werden, schützen nicht vor nuklearer Strahlung. Die Dosierung dieser rezeptfreien Jodtabletten ist viel zu niedrig, um eine schützende Wirkung zu erzielen.
Im Gegenteil sei eine Selbstmedikation mit Jodtabletten sogar gefährlich, wie auch in der Brückenapotheke deutlich gemacht wird: Die Jodtabletten wirken auf die Schilddrüse und die regelt den Stoffwechselhaushalt. Wenn zu hohe und ungeregelte Mengen an Jod diesen Kreislauf stören und durcheinander bringen, könne dies durchaus gefährlich werden.
„Im Moment können wir nicht feststellen, dass so etwas nachgefragt wird. Menschen mit Schilddrüsenkrankheiten kaufen diese Tabletten, aber es kommt niemand, der das vorsichtshalber auf Vorrat haben möchte. Das wäre ja auch nicht zu empfehlen“, sieht es aber in Wohlerts Arkaden Apotheke Erndtebrück schon wieder etwas anders aus.
Der Katastrophenfall
Die Jodtabletten, die im Katastrophenfall tatsächlich nützlich sind, sind aktuell eingelagert, weiß Wolter. „Die gibt es schon.“ Laut dem Bundesamt für Strahlenschutz werden in Deutschland knapp 190 Millionen Jodtabletten an verschiedenen Standorten gelagert. Die Bürger werden dann rechtzeitig aufgefordert, ihre Tabletten in diesen Ausgabestellen abzuholen bzw. werden die Tabletten verteilt. Es reiche dann eine einmalige Einnahme – wichtig sei auch zu wissen, dass eine zu frühe Einnahme keine Wirkung habe.
„Das Jod kann schon wieder abgebaut sein, wenn es dann gebraucht wird“, erklärt Wolter. Auch das Bundesministerium für nukleare Sicherheit macht deshalb klar: „Von einer selbstständigen Einnahme der Tabletten wird dringend abgeraten. Eine Selbstmedikation birgt erhebliche gesundheitliche Risiken, hat aktuell aber keinerlei Nutzen.“
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Wie ernst die Auswirkung von zu viel Jod auf den Stoffwechsel zu nehmen ist, mache auch der Hinweis für Schwangere und Menschen über 45 deutlich, so Wolter: Sowohl diesen Menschen als auch Kindern werde nämlich die Einnahme von Jodtabletten zur Schilddrüsenblockade abgeraten, denn für sie überwiegen die Risiken von Nebenwirkungen den Nutzen der Vermeidung eines erhöhten Risikos für Schilddrüsenkrebs.
Die Schilddrüsenblockade
Im Betrieb eines Kernkraftwerkes entsteht bei der Kernspaltung neben anderen radioaktiven und nichtradioaktiven Stoffen auch radioaktives Jod. Bei einem Unfall kann es zur Freisetzung von radioaktivem Jod kommen.
Radioaktives Jod hat grundsätzlich die gleichen Eigenschaften wie natürliches Jod, schreibt dazu das Bundesumweltministerium. Es wird daher wie natürliches Jod vom Körper aufgenommen und in der Schilddrüse eingelagert.
Das ist aber von Nachteil: Die vom radioaktiven Jod ausgehende Strahlung kann die Wahrscheinlichkeit für Schilddrüsenkrebs erhöhen, besonders bei Kindern und Jugendlichen.
Werden jedoch rechtzeitig Tabletten mit einer hohen Konzentration nicht-radioaktiven Jods eingenommen, wird die Schilddrüse mit diesem „gesunden“ Jod so gesättigt und kann kein radioaktives Jod mehr aufnehmen. Durch diese „Jodblockade“ wird also die Einlagerung des radioaktiven Jods in der Schilddrüse verhindert.