Bad Berleburg/Siegen. Das Berufungsverfahren im „Gullydeckel-Prozess“ wurde aufgehoben. Der Angeklagte ist nach Auskunft des Gerichts am Montag gestorben.
Der aufsehenerregende „Gullydeckel-Anschlag“ auf die Rothaarbahn sollte ab Dienstag vor Gericht neu aufgerollt werden. Dann am Morgen die Mitteilung: „Das Berufungsverfahren wurde aufgehoben und findet somit nicht statt“, verkündete ein Zettel im Landgericht Siegen.
Eine Sprecherin des Landgerichts Siegen teilte dazu am Dienstag mit: „Der Angeklagte ist gestern in Lünen verstorben. Es ist ein Todesermittlungsverfahren eingeleitet worden, das die Staatsanwaltschaft Dortmund führt. Ich bitte daher um Ihr Verständnis, dass von dieser Seite keine weiteren Angaben zu der Todesursache gemacht werden können.“
Das Schöffengericht Bad Berleburg hatte den damals 52-jährigen Lokführer der Hessischen Landesbahn am 2. Oktober 2020 schuldig gesprochen und zu einer 21-Monatigen Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt. Offen blieb nur eine Frage: Warum? „Und das ist kein Nebenaspekt“, machte der Verteidiger Dennis Tungel aus Lünen deutlich. Die Motivlage sei bei dem ersten Prozess ausgeblendet worden.
Berufung war angekündigt
Der Verteidiger war mit dem Schuldspruch nicht einverstanden. Vier Tage nach dem Urteil legte der Rechtsanwalt Rechtsmittel ein. „Aber damals war klar, dass es ein Berufungsverfahren geben würde“, erinnert sich der Rechtsanwalt. „Schon der Staatsanwalt hatte gesagt: Wir sehen uns in Siegen wieder“, so Tungel. Für die Anklage wäre der Gang in Berufung bei einem Freispruch die logische Konsequenz gewesen.
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Mit dem Fall sollte sich jetzt die 3. kleine Strafkammer des Landgerichtes Siegen befassen. Diese ist nach der Geschäftsverteilung in Siegen für Berufungen gegen Urteile eines Schöffengerichts zuständig.
Urteil vom Oktober 2020
Mutmaßlich sollten vor allem Beobachtungen rund um das Tatgeschehen an der Bahnüberführung in Raumland neu begutachtet werden. Durch den Mangel an eindeutigen Beobachtungen und Zeugenaussagen lag das Hauptgewicht im Prozess auf den Indizien.
Die Beweislage beim ersten Prozess war für Gericht und Staatsanwaltschaft eindeutig. Nach drei Verhandlungstagen war für das Bad Berleburger Schöffengericht unter Vorsitz von Richter Torsten Hoffman klar: Der Lokführer hat den Anschlag auf die Rothaarbahn inszeniert und die Gullydeckel selbst von einer Brücke beim Raumland in die Gleise gehängt. Verurteilt wurde er zu 21 Monaten Haft ohne Bewährung – wegen vorsätzlicher Gefährdung des Bahnverkehrs und Vortäuschens einer Straftat.
Indizienprozess
Im Indizienprozess, bei dem neben DNA- und Faserspuren sowie Handydaten des Angeklagten auch die Ermittlungen der Mordkommission den Verdacht auf den Lokführer eingrenzen konnten, glaubte das Gericht dem Angeklagten nicht, er habe mit der Sache nichts zu tun.
Thema wurde bei der Verhandlung auch das Vorleben des Angeklagten – bei einem Raubmord, dem seine Mutter zum Opfer gefallen war, gehört er zu den Verdächtigen. Dazu kamen drei Wohnungseinbrüche im Haus des Angeklagten und zwei Fahrzeugbrände zu seinem Nachteil.
„Wir haben keine Zweifel daran, dass er den Unglücksfall selbst verursacht hat. Der Tatnachweis beruht auf einer Kette von Indizien“, machte es damals Richter Torsten Hoffmann deutlich. Der Grund für die Berufung liegt auf der Hand, unterstrich Rechtsanwalt Tungel bereits damals: „Ein entscheidendes Puzzleteil fehlt – das Motiv“, sagt Verteidiger Tungel und griff damit ganz bewusst das Bild auf, das Richter Torsten Hoffmann in Bad Berleburg im Oktober 2020 gebraucht hatte, als er die schwierige Beweisaufnahme beschrieben hat, die zum Richterspruch führte: „Das Gericht hatte so etwas wie ein Puzzle zusammenzusetzen“, sagte Hoffmann damals.