Erndtebrück. In Erndtebrück feierte Gehörlosen-Seelsorgerin zusammen mit Wittgensteiner Gehörlosen Weihnachten. Mit dabei: Ein ganz besonderes Manuskript.
„Ich WEIß, VIEL GEHÖRLOS Personen JETZT LEIDEN. VIEL HÖREND Personen AUCH. Wir ALLE WÜNSCHEN: LEBEN MIT KONTAKT. Wir MITMENSCHEN SEHEN, UNTERHALTEN WILL. Wir WÜNSCHEN: GEMEINSCHAFT.“ Diese Worte stammen genau so aus dem Manuskript von Pfarrerin Barbara Plümer für die Adventsfeier der Wittgensteiner Gehörlosen – was geschrieben auf den ersten Blick ungewohnt erscheinen mag, hat durchaus Sinn.
Gebärdensprache ist eine eigenständige Sprache mit eigener Grammatik. Auch bei der Adventsfeier, zu der Plümer jetzt ins Evangelische Jugendheim Erndtebrück eingeladen hatte, kam die Sprache selbstredend auch zum Einsatz.
Gebärdensprache ist viel mehr „nur“ als Deutsch mit Gesten
Die Gehörlosen-Seelsorgerin des Wittgensteiner Kirchenkreises hatte sich wie bei ihr üblich mit dem Zug aus Siegen auf den Weg in die Edergemeinde gemacht. Zehn Menschen aus ganz Wittgenstein waren ihrer Einladung gefolgt, einer kam sogar aus Kirchen an der Sieg nach Erndtebrück. Und zu ihnen sagte Barbara Plümer eben diese Worte vom Anfang – und gebärdete sie auch entsprechend.
Diese Worte machen noch etwas anderes deutlich, denn auch wenn sie auf Deutsch sind, so erklärt das Internet-Lexikon „Wikipedia“ zum Thema: „Wegen der Zerlegbarkeit der Gebärden und Strukturierung innerhalb des Satzes müssen Gebärdensprachen als eigenständige und vollwertige Sprachen angesehen werden.“
Mit dem ganzen Körper gesprochen
Es ist also kein Deutsch mit Gesten, sondern eine selbstständige Sprache mit einer eigenen Grammatik. Wichtig sind nicht nur die Gebärden selbst, auch die Mimik des Sprechenden, seine Bewegungen insgesamt, die Gebärdensprache wird nicht nur mit den Händen, sondern mit dem ganzen Körper gesprochen. Und wird dadurch oft ganz unerwartet anschaulich, etwa wenn Barbara Plümer ehrfürchtig zwischen ihren Händen durch in die Höhe schaut und so über den Herrn spricht.
Barbara Plümer arbeitet seit zwölf Jahren als Gehörlosenseelsorgerin im Wittgensteiner Kirchenkreis. Ihre Arbeit hat sich in dieser Zeit stark verändert. Wie in den landläufigen Kirchengemeinden ist auch ihre Gemeinde über die Jahre kleiner geworden. Dennoch war es ihr wichtig, nach der Corona-Zwangspause im Dezember 2020 in diesem Jahr wieder eine Adventsfeier zu organisieren. Gerade wegen der Pandemie, wie sie erläutert: „Gehörlose haben die Kontaktbeschränkungen sehr vorbildlich eingehalten, obwohl der persönliche Kontakt für sie durch kein technisches Hilfsmittel adäquat zu ersetzen ist.
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Sie waren so vorsichtig, weil sie im Kontakt mit Hörenden besonders gefährdet waren. Denn um Hörende zu verstehen, mussten diese stets ihren Mundschutz absetzen, damit die Gehörlosen versuchen konnten, ihnen von den Lippen abzusehen.“
Gottesdienst in vertrauter Weise
Wenn das ein Problem ist, das Hörenden wahrscheinlich nicht sofort einfällt, so kennen die Gehörlosen natürlich auch die Schwierigkeiten, die das Leben aller Menschen beschweren. Denn auch für Gehörlose funktioniert ein Video-Chat nur ordentlich, wenn Technik und Internet-Verbindung gleichermaßen gut sind. Der Gehörlosen-Gottesdienst der Adventsfeier läuft in seiner Liturgie ganz vertraut ab.
Mit Liedern, mit Gebeten, mit Predigt. In Ermangelung eines Gesangbuches gebärden die Gehörlosen in den entsprechenden Liedern den immer gleichen Kehrvers wesentlich stärker mit als die wechselnden Texte in den Strophen dazwischen, so wie, wenn derzeit woanders „Wir sagen Euch an den lieben Advent“ ohne Liedblatt gesungen wird.
Die Titelzeile kriegen alle hin, das Durchzählen der vier Kerzen sowieso und das immer wieder kehrende „Freut euch, ihr Christen, freuet euch sehr, schon ist nahe der Herr“ dann voller Inbrunst auch.
„CORONA gefährlich“
Eben dieses Lied stand jetzt übrigens bei der Gehörlosen-Adventsfeier ebenfalls auf dem Plan. In ihrer Predigt sprach Barbara Plümer über ein überaus präsentes Thema, das an Weihnachten in vielen Gottesdiensten vorkommen wird, noch einmal aus ihrem Manuskript: „CORONA MENSCHEN TRENNEN. EINERSEITS wir GETRENNT, GRUND: wir KONTAKT weniger SOLL. ANDERERSEITS wir GETRENNT, GRUND: LEUTE VIEL FALSCH INFO ÜBER CORONA VERBREITEN. EINIGE GLAUBEN: CORONA nicht-gefährlich, ABER IMPFEN?, (ja) Z-das gefährlich. Sie PROTESTIEREN. ABER VIELE Personen SCHON WISSEN: WAHR: CORONA (boah) gefährlich.“
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Und auch den Ausweg, den Seelsorgerin Barbara Plümer sieht, wird man wahrscheinlich in den kommenden Tagen auch an anderen Stellen hören: „BEIDE GRUPPE, GRUPPE STREITEN. GOTT, (BITTE) WEGE ZEIG-uns: WIE SOLIDARITÄT FÖRDERN MÖGLICH, WIE? WIE FALSCH INFO STOPPEN, WIE? DANNwir SCHAFF: CORONA (LÖSCH).“