Siegen-Wittgenstein. Heimatflimmern – Das grüne Herz Westfalens: Siegen-Wittgenstein ist Teil einer WDR-Dokumentation.

Siegen-Wittgenstein ist der waldreichste Kreis von NRW und sogar von ganz Deutschland: Um die 70 Prozent des Kreisgebietes sind von Wald bedeckt. Dieser Forst hat Historie. Und er ist in Gefahr: die Folgen des Klimawandels, Stürme wie Kyrill, die Hitze und Trockenheit der letzten Jahre, die die Borkenkäferplage zum Ausbruch brachten: Siegen Wittgenstein ist ein Hotspot! Die Augen sind auf diese Region gerichtet. Wie geht es? Wie kam es dazu? Und wohin geht es? Mit diesen Fragen sind die Filmemacherinnen Katja Debus und Katrin Buhbut in die ausgedehnten Wälder Siegen-Wittgensteins gegangen und haben eine multiperspektivische Dokumentation geschaffen, die die Region, Wald und Leute vorstellt, und dabei in die Vergangenheit, die Gegenwart und Zukunft blickt. „Das grüne Herz Westfalens“ – so der Titel der Dokumentation, die am Freitag, 9. April, um 20.15 Uhr im WDR zu sehen ist.

Eine neue Förstergeneration

Unter anderem geht es in den 45 Minuten um eine neue Förstergeneration, die dabei ist, dem Klimawandel zu begegnen – mit sämtlichen nunmehr bekannten Wissen und Wegen – und immer noch offenen Fragestellungen. Ann-Sophie Bilsing hat als jüngste Revierleiterin im Regionalforstamt Siegen-Wittgenstein keine Schonzeit: auf 2200 Hektar Waldfläche brennt es an allen Ecken und Enden. Betreut sie doch die für das Siegerland typischen Waldgenossenschaften mit – für viele ist ein Stück Waldanteil eine sichere Bank gewesen.

Damit das vom Borkenkäfer zerstörte Holz wenigstens noch etwas Erlös bringt, kämpft Ann-Sophie an vorderster Front. Und darf die anderen Aufgaben nicht vernachlässigen. Jagd ist für die 25-Jährige selbstverständlich. Genauso wie der Naturschutz. Um die Vielfalt im Wald gedeihen zu lassen. Ein Stichwort für die Zukunft, an der Ann-Sophie so fleißig wie zuversichtlich arbeitet. Und es gibt wahrlich viel zu tun: Allein am Regionalforstamt sind es um die 17.000 Privatwaldbesitzer und 80.000 Hektar Wald. In Siegen-Wittgenstein übersteigen die Schäden durch den Borkenkäfer bereits jetzt die durch Kyrill um ein Mehrfaches.

Hightech im Wald

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Wie der Sache Herr werden? Im fürstlichen Forst von Bad Laasphe Sayn-Wittgenstein-Hohenstein setzt der Forstingenieur Adrian Busch auf Hightech. Beschleunigte Prozesse erfordern beschleunigte Maßnahmen. Was manchen erstaunen lassen mag - digitale Hightech im Wald kann auch Waldschutz bedeuten und selbst die neuen großen Harvester, mit mehr Verteillast auf den Rädern belasten die Böden weniger als ihre Vorgänger. Für Adrian Busch keine Frage: Sie passt zusammen, die Waldwirtschaft 4.0 mit dem Ökosystem Wald als Lebensgrundlage für Mensch, Flora und Fauna.

Kaja Heising managed eine wilde Herde. Und zwar die einzige wildlebende Herde Wisente Westeuropas, die 2013 am Rothaarsteig Einzug hielt. Dabei hat das Wildtier-Management, das Kaja Heising im niederländischen Leeuwarden studiert hat, mit beiden zu tun: den freilebenden Tieren genauso wie mit den Menschen. Gerade, wenn man wieder neu miteinander zu tun hat, wie im Fall der Wisente, die nur knapp dem Aussterben entgangen sind. Selbst wenn es sich um die größten Landsäugetiere Europas handelt, zwei Dutzend Wisente gehen schnell im Wald unter. Kaja braucht also die Hilfe von Technik - und Menschen, die im Wald auf Spuren der Tiere stoßen.

Seit ungezählten Generationen gestaltet der Mensch Wälder zu seinen Zwecken - und lebt von ihm. Forstwirtschaft betreiben die Wittgensteiner Rentkammern, wie man die beiden fürstlichen Forsthäuser in Bad Berleburg und Bad Laasphe nennt, von alters her. Und sie arbeiten immer nach dem jeweiligen Wissensstand und Zeitgeist. Forstdirektor Henning Graf von Kanitz kann das eindrucksvoll zeigen. Ob im Archiv der Rentkammer oder direkt im Schlosswald gelegenen Friedwald, der eine der ersten wäldlichen Ruhestätten Deutschlands ist.

Kulturfrauen in Wittgenstein

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Frauen im Wald? Ja, heute ist der Försterberuf auch für Frauen im Trend. Aber dass es noch gar nicht lange her ist, dass Frauen ganz selbstverständlich Arbeiten im und um den Wald verrichteten, in Pflanzgärten Bäume zogen, im Wald Wege bauten, ist in Vergessenheit geraten. Wäre da nicht ein kleines geläufiges Denkmal: die 50 Pfennig Münze, die den sogenannte Kulturfrauen, gewidmet ist. Nicht zuletzt, weil sie nach dem zweiten Weltkrieg enorme Waldflächen wieder aufpflanzten. Es waren tausende. In Wittgenstein. In NRW. In ganz Deutschland.

Der Film zeigt eindrücklich: Die komplexen Herausforderungen, die das Leben mit und aus dem Wald aufstellt, meisterten und meistern die Menschen im Rothaargebirge immer nur in gemeinsamer Anstrengung. Und es ist dieser Zusammenhalt, der die Basis für eine hoffentlich erfolgreiche Zukunft ausmacht – ob bei den Förstern, bei den WaldarbeiterInnen, den Artenschützern, den Touristikern oder dem privaten Waldbauern aus der Waldgenossenschaft. Dabei ist dieser so präsente Siegen-Wittgensteiner Wald selbst Protagonist wie Sinnbild: denn auch er formiert sich in Generationen mit mindestens menschlichem Zeithorizont und immer auch im gesellschaftlichen Verbund.

Katrin Buhbut über Idee, Umsetzung und Ergebnis ihres Heimatfilmes

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„Nach jahrelangen Reisen in die weite Welt bin ich für diesen Film zurück in meine Heimat gekommen. Schließlich bin ich ja selbst ein Wittgensteiner Waldkind. Ich stamme aus der Weidenhäuser Mühle, da war der Wald definitiv zusammen mit den Mühlteichen mein primärer Spielplatz. Ich sage immer, die Heimatverbundenheit der Wittgensteiner, das ist Waldverbundenheit - tief verwurzelt und hoch aufgepflanzt auf die Hügelketten des Rothaargebirges. Und wenn das in Gefahr ist, dann darf man auf keinen Fall den Kopf in den Waldboden stecken – sprich, für mich als Autorin heißt das, hinschauen und Fragen stellen.

Mir war dabei klar, dass sich das Netzwerk, also die zwischenmenschlichen Verbindungen der Menschen, die über Generationen und die Ortschaften hinweg diese langfristige Zusammenwirksamkeit im und um den Wald pflegen, im Film widerspiegeln muss. Deshalb haben wir die Form des Reigens, des multiperspektivischen Erzählens gewählt. Und es war spannend - zum einen, weil ich so viel über meine Heimat herausgefunden habe, was ich gar nicht wusste. So bin ich beim Recherchieren zunächst auf die niedersächsischen Kulturfrauen gestoßen. Gab es die etwa auch in meiner Heimat, wollte ich dann wissen.

Zunächst von meiner ersten Ansprechpartnerin, von meiner „StringerIn“ – so nennt man die Medieninsider vor Ort, die ich normalerweise beanspruche, wenn ich etwa eine Doku in Brasilien oder Israel vorbereite. Also meine Wittgensteiner Stringerin ist meine liebe Mutter Doris Beschorner gewesen. Und sie habe ich also gefragt, sag mal, waren hier in Wittgenstein eigentlich Frauen im Wald beschäftigt? Das konnte sie positiv beantworten: Und so wie sie ins Erzählen kam, war ich froh, bei Herrn Röhl, also der Rentkammer Berleburg, noch zwei Kulturfrauen zu finden, nämlich Iris Imhof und Elke Bäcker-Heuel.

Ein lustiger Nebeneffekt: Entweder ich kannte meine sogenannten Protagonisten sowieso schon vorher oder ich war mit ihnen über drei Ecken bekannt oder es gibt enge Kontakte eben über meine Verwandtschaft. Wir hätten gerne noch so viel mehr gezeigt und erzählt. Bei dem Film geht es darum, diesen waldreichsten Kreis Deutschlands eben vom Wald her zu porträtieren - einmal zeitlich – mit Blicken in die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – und inhaltlich – mit den verschiedenen Waldthematiken wie Forstwirtschaft, Ökologie, respektive Natur- und Artenschutz, Freizeit und Erholung.

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Und auch räumlich – das bedeutet, dass wir auch im Kreis selbst nicht auf der Stelle treten, also die Region, die Dimension gut abbilden. Und dabei, und das ist das wichtigste, Menschen finden, die uns vor der Kamera zeigen und erzählen können, was sie im Wald wie und warum tun.

Es ist der Kreis Siegen Wittgenstein – und so verstehe ich auch meine Heimat. Die Unterstützung aus dem Hilchenbacher Regionalforstamt kann ich gar nicht groß genug schätzen: Dort hat man in eine der jüngsten Försterinnen des Landes überhaupt, nämlich in die 25-jährige Ann-Sophie Bilsing vertraut – dass sie mit uns so klar und eindrücklich wie möglich den forstwirtschaftlichen Kontext durchläuft. Das wäre für jeden Förster eine Herausforderung gewesen und Ann-Sophie hat das großartig gemacht. [...]

Was wir angesichts der Symptome des menschlichen Eingreifens, also des Klimawandels gefunden und gelernt haben: wir sitzen alle im selben Boot, schon unsere Vorväter und Vormütter haben gleich mehrmals die Wälder in unserer Region komplett abgeholzt. Der Name Rothaargebirge sagt es ja bereits: Rod Hardt – das bedeutet gerodeter Bergwald. Dass wir uns das heute im Rahmen des Klimawandels nicht mehr leisten können, das wissen wir schon. Wie wir es umsetzen und schaffen werden, daran können und müssen wir arbeiten. Gut ist: Heute verstehen und wissen wir mehr als jemals zuvor.“