Bad Laasphe. Harry Loss hat zwei chronische Vorerkrankungen. All seiner Versuche, einen Impftermin zu bekommen, scheiterten aufgrund der Prioritätengruppe.

„Bitte nicht emotional werden!“ Diesen Satz bekam Harry Loss erst kürzlich bei einem Telefonat mit einer Mitarbeiterin des NRW-Gesundheitsministeriums zu hören. „Ich habe gedacht, ich höre nicht richtig“, so der 47-Jährige aus Bad Laasphe. Daraufhin war das Telefonat auch schon beendet worden. Der Grund seines Anrufes: Loss leidet an einer chronischen Vorerkrankung – besser gesagt: an zwei.

Er hat Angst, sich mit dem Coronavirus zu infizieren und möchte sich schnellstmöglich impfen lassen. Für Menschen mit einer Vorerkrankung, die laut Coronaschutzverordnung der zweiten Prioritätsgruppe angehören, soll das laut dem NRW-Gesundheitsministerium möglich bereits möglich sein. Trotzdem wartet der 47-Jährige vergebens – auf einem Termin und auf Antworten. Der Grund: Seine Erkrankungen zählt laut Schutzverordnung des Bundes zu einer anderen Prioritätsgruppe.

Die verschiedenen Gruppierungen

Erst am 25. März verkündete das Gesundheitsministerium auf seiner Homepage eine Pressemitteilung: „Das Gesundheitsministerium hat die Kreise und kreisfreien Städte gebeten, Impfstoffkontingente, die nicht vollständig genutzt werden können, für die Versorgung weiterer Personen aus dem Kreis der zweiten Prioritätsgruppe (gemäß Coronavirusimpfverordnung) zu verwenden. Die Regelung gilt zunächst bis zum Start der Impfungen in den Hausarztpraxen am 6. April“, heißt es dort.

Der Nachweis der Impfberechtigung hat in diesem Fall mittels ärztlichem Attest zu erfolgen. Dabei ist die Bescheinigung zur Zugehörigkeit der Personengruppe nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 CoronaImpfV ausreichend. Es bedarf keiner Aufführung einer konkreten Diagnose.

Doch genau hier beginnt das Problem – denn: Harry Loss leidet an einer schweren Form von Asthma bronchiale und seit einem Jahr an einer chronischen Darmerkrankung. Diese sind laut Coronaschutzverordnung der erhöhten Priorität zugeordnet – also dem Paragrafen 4 und nicht der zweiten Prioritätengruppe (nach Paragraf 3). Dabei hat ein Arzt zumindest bei dem Asthma bronchiale eigentlich eine andere Prioritätengruppe attestiert. Zumal der 47-Jährige aufgrund der Darmerkrankung seit einem Jahr eine immunsuppressive Therapie bekommt, die sein Immunsystem herabstuft. Und genau diese Therapie macht die Situation für ihn so gefährlich. Die Behandlungen aber werden in der Priorisierung nicht beachtetet. Aus diesem Grund hat der Bad Laaspher eine Einzelfallentscheidung beim Kreis beantragt – eingegangen ist diese am 1. März.

Am vergangenen Donnerstag dann ruft er direkt beim Ministerium an – um sich zu erkundigen. Wann bekommt er endlich einen Impftermin? Die Antworten darauf könne man ihm nicht sagen – so die Aussagen der Mitarbeiterin am Telefon. „Sie wisse davon nichts“, sagt Loss. „Aber wie kann es sein, dass sie nicht weiß, was auf ihrer eigenen Internetseite steht?“ Er fragte noch einmal nach: „Plötzlich sagte sie mir, ich solle nicht emotional werden.

Das war zu viel. Seit einem Jahr habe ich Angst davor, mich mit dem Virus anzustecken und dann bekommt man einen solchen Satz gesagt. Geht man so mit den Menschen um?“ Er ist enttäuscht und wütend zugleich. „Ich verstehe nicht, warum es nicht möglich ist, als vorerkrankter Mensch einen Termin zu bekommen. Die Prioritäten sind da meiner Meinung nach falsch gesetzt.“

Einzelfallentscheidungen

Und wie schaut es in Sachen Einzelfallentscheidung aus? Tatsächlich heißt es in einer Pressemitteilung vom 25. Februar noch: „Das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat den Umgang mit Einzelfallentscheidungen im Rahmen der Coronaschutzimpfung geregelt. Der Antrag ist bei dem Kreis oder der kreisfreien Stadt zu stellen, in dem bzw. der die antragstellende Person ihren Erstwohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort hat.“

Ein ärztliches Zeugnis solle demnach ausreichen. Und auch Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann erklärt dort: „Es gibt Menschen mit Vorerkrankungen, die sich in der Liste der Coronaimpfverordnung nicht wiederfinden. Mit der vorliegenden Regelung haben wir ein im Grundsatz pragmatisches Verfahren geschaffen, das den Betroffenen bestmöglich weiterhelfen soll.“

Wäre da nicht noch der letzte Absatz – dort heißt es: „Zu betonen ist: Ausgenommen von diesem Verfahren sind ausdrücklich diejenigen chronisch Kranken, die in der CoronaImpfV des Bundes bereits anderweitig genannt werden. In den nachfolgend aufgeführten Fällen muss kein Antrag auf Einzelfallentscheidung gestellt werden. Dies sind bei Schutzimpfungen bei Personen mit erhöhter Priorität: Personen mit Immundefizienz oder HIV-Infektion, Autoimmunerkrankungen, Personen mit Asthma bronchiale oder chronisch entzündlicher Darmerkrankung. Diejenigen werden ein gesondertes Impfangebot im März erhalten.“

Nachfrage beim Kreis

Harry Loss hat sich daher an den Kreis gewendet. „Ich habe dort einen individuellen Antrag gestellt und alles eingereicht.“ Am Montag dann – nach 34 Versuchen – hatte er jemanden erreicht. Man wolle sich in Kürze bei ihm melden. Für den 47-Jährigen eine belastende Situation. „Vorab möchte ich sagen, dass die Mitarbeiter dort wirklich alles tun, was in ihrer Möglichkeit steht. Die wollen, können aber nicht.“

Und das hat einen Grund, wie der Kreis nun auf Nachfrage dieser Zeitung mitteilt: „Wir haben in den vergangenen Tagen mehrere tausend Anfragen von Menschen erhalten, die eine Vorerkrankung haben. Diejenigen, die unter den Paragrafen 3 der Coronaschutzverordnung fallen – also eine hohe Priorität haben – werden in den kommenden Tagen zusätzlich geimpft.“ Diejenigen, die zur „erhöhten Prioritätsgruppe“ gehören -- Paragraf 4 – müssen sich demnach an ihren Hausarzt wenden. Diese sollen ab dem 6. April mit in das Impfgeschehen eingebunden werden.

„Das war eigentlich auch für diejenigen vorgesehen, die zur hohen Prioritätsgruppe gehören. Dadurch, dass das Land nun aber den Impfzentren eine größere Ressource an Impfstoff zur Verfügung gestellt hat, haben wir beschlossen nun auch die Menschen der hohen Prioritätsgruppe zu impfen.“ Noch immer gebe es nicht genug Impfstoff, um alle Menschen gleichzeitig impfen zu können, daher brauche es laut Kreis die Priorisierungsgruppen. Für Loss eine ernüchternde Antwort. „Wahrscheinlich kann ich bis zum 6. April warten und mir dann bei meiner Hausärztin einen Termin geben lassen“, hatte er bereits vorab geahnt.

Die Antwort vom Ministerium

Die Lokalredaktion hat das NRW-Gesundheitsministerium mit den Aussagen konfrontiert. Wie kann es sein, dass die Mitarbeiterin nicht Bescheid wusste? „Wir können zu einem konkreten Einzelfall keine Stellung nehmen“, heißt es dort. „Wahrscheinlich hat der Betroffene nicht den richtigen Ansprechpartner vermittelt bekommen, was natürlich bedauerlich wäre. In diesem Zusammenhang sollte erwähnt werden, dass ,zuständig’ für die Terminvergabe die Kommunen sind, wir die Bürgerinnen und Bürger aber selbstverständlich informieren und unterstützen.“

Und wie kommt es zu dieser Priorisierung der einzelnen Krankheiten? „Derzeit haben wir noch nicht ausreichend Impfstoff, um allen impfwilligen Bürgerinnen und Bürger ein Impfangebot zu unterbreiten, dies sind in NRW in etwa 13 bis 14 Millionen Menschen. Daher muss zum einen priorisiert und zum anderen durch Termine das Impfen organisiert werden. Derzeit können Menschen mit Vorerkrankungen bis zum 7. April einen Termin bei ihrem zuständigen Impfzentrum erhalten.“ Eine Fehlinformation, wie Harry Loss feststellen musste. „Dort wurde mir gesagt, dass sie nur Termine der aktuellen Altersgruppe vergeben.“