Bad Berleburg. Der Berleburger Arzt Dr. Holger Finkernagel will im Elsoff-Tal testen, wie Corona-Impfungen wirklich wirken. Und auch die Teilnehmer profitieren.
Heute mit unserer Redaktion im Gespräch: der Bad Berleburger Allgemeinmediziner Dr. med. Holger Finkernagel. Er startet demnächst eine Studie zur Wirkung von Corona-Impfungen und sucht dafür noch Teilnehmer. Außerdem spricht er über seine Leidenschaft Extremsport und nicht zuletzt sein soziales Engagement.
Worum genau soll es in Ihrer Studie gehen?
Steckbrief: Dr. Holger Finkernagel
Dr. Holger Finkernagel (77) ist in Gießen geboren und aufgewachsen.Während er in den 60er Jahren tagsüber am früheren Polytechnikum – heute Technische Hochschule Mittelhessen – auf Techniker studierte, holte er an der Abendschule sein Abitur nach. Finkernagel: „Da hat mir meine Frau Ulrike supergut beigestanden und den Stress vom Hals gehalten.“Kurze Zeit später begann er auf Anraten seiner Frau ein Medizin-Studium in Marburg, schnupperte Praxis an den Uni-Kliniken Gießen und Kassel. 1975 übernahm Finkernagel die Bad Berleburger Praxis von Dr. Walter Schlifter – und blieb. „Hier in Wittgenstein ist es um Längen schöner“ als in Gießen, sagt der Vater dreier erwachsener Kinder. Er lebt mit Frau und Hund auf einem Bauernhof in Wunderthausen und fühlt sich dort sehr wohl.
Dr. Holger Finkernagel Bei der wissenschaftlichen Studie zur „Immun-Antwort in der Elsoff-Achse“ möchte ich etwa 1000 bis 1500 Bewohner des Elsoff-Tals mit einem Plaque-Reduktions-Neutralisationstest anhand zweier venöser Blutabnahmen untersuchen. Zielgruppe sind Patienten, die entweder gegen SARS-COVID-19 geimpft wurden oder aber innerhalb von sechs vergangenen Wochen daran erkrankt waren. Es geht dabei um die Frage, ob es durch die Impfungen zu einem gewünschten Maß der Beeinträchtigung der Infektionszahlen kommt, ob wir also die Sicherheit haben, dass unser Tun auch einen Sinn hat.
Läuft die Untersuchung tatsächlich nur im Elsoff-Tal?
Natürlich können auch gerne Interessenten an der Studie teilnehmen, die nicht an der Elsoff ihren Wohnsitz haben.
Welche Kriterien werden berücksichtigt?
Im Rahmen der Studie sollen die Teilnehmer unter anderem eingeteilt werden in solche, die eine der verschiedenen Corona-Impfungen bekamen. Aber auch das Alter, eventuelle Vorerkrankungen und soziale Situation und sogar die psychische Verfassung zum Zeitpunkt der Blutabnahme werden in die Studien-Auswertung einfließen.
Wer sind die Initiatoren der anstehenden Studie?
An der Studie beteiligt sind drei Institute, zwei Ärzte – der Elsoffer Kollege Dr. Hans-Peter Becker und ich – sowie die beiden Apotheker Dirk Eigner und Dr. med. vet. Diethild Drescher-Eigner und nicht zuletzt Dr. Christine Roberts, Augenärztin in Bad Berleburg. Der Ethik-Antrag für diese Multiinvestigator-Studie ist bereits bei der Universität in Münster eingereicht worden. Sowohl das Robert-Koch-Institut (RKI) und auch das NRW-Gesundheitsministerium sind brennend an den Ergebnissen interessiert, die zwei Monate nach Ende der Studie veröffentlicht werden sollen.
Und wie soll die Studie finanziert werden?
Da die Kosten der Studie in Höhe von etwa 25.000 Euro bislang zumindest nicht gesichert sind, wäre von jedem Teilnehmer ein Laborkosten-Aufwand von 25 Euro zu zahlen. Die sogenannten ärztlichen Main-Investigators ihrerseits würden sowohl die Impfungen als auch die Blutabnahmen kostenlos erbringen. Aber auch der Laborarzt, eine Biochemikerin und die beiden Apotheker stellen sich für unsere Studie kostenlos zur Verfügung. Darüber hinaus suchen wir noch Sponsoren für die Studie – und hoffen darauf, Geld aus öffentlichen Töpfen zu bekommen.
Sie finden, dass die Diskussion über Impfungen oder Selbstteste oder PCR und Antikörper derzeit ausufert – und verweisen dazu auf einen neuartigen, zertifizierten Test. Wie sieht der aus?
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Der Test namens „cPass-ELISA“ weist eine Schutzwirkung durch neutralisierende Antikörper nach. Damit lässt sich vermutlich viel besser eine Aussage darüber treffen, ob eine Person nach einer SARS-CoV-2-Infektion tatsächlich längerfristig vor Covid-19 beziehungsweise einer Neuinfektion geschützt ist oder nicht. Die Frage, ob nach einer Impfung überhaupt ein wirksamer Antikörper-Spiegel erreicht wird, soll in der Studie auch zu eindeutigen Ergebnissen führen. Bislang kann der Test allerdings nur von den Laboren bezogen werden, welche den sPass-ELISA Test durchführen. Ärzte können ihn ihren Patienten vorerst nur als Individuelle Gesundheitsleistungen (IGEL) für Selbstzahler anbieten.
Ist die Studie so ein Projekt, für das Sie sich als Hausarzt mit Dr. Annan Gießmann als möglichem Nachfolger jetzt etwas mehr Zeit nehmen können?
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Nein, das läuft eher so nebenher. Die ganze Studie hat natürlich einen zeitlichen Rahmen. Wenn wir wirklich Anfang April anfangen zu impfen und nach sechs Wochen erstmals kontrollieren, dann ist der eigentliche Untersuchungsteil erst im Februar 2022 ausgewertet. Um uns in der sogenannten Versorgungsforschung zu qualifizieren, haben wir bereits seit 2004 eine Studie im Bereich Diabetes laufen. Wir untersuchen, wieviel Insulin ein Patient benötigt, um einen bestimmten Blutzucker zu haben. Oft wird der Diabetes ja viel zu spät entdeckt.
Wie profitieren die Teilnehmer der Studie vom Ergebnis?
Vor allem dadurch, dass ich den zuvor geimpften oder auch genesenen Patienten sagen kann: Du bist immun gegen das Corona-Virus – oder nicht. Die Ausgangsfrage der Studie ist im Grunde, ob und wie viele Patienten durch die Impfung oder bei der Genesung nach Corona wirksame Antikörper gegen das Virus bilden. Und: Wird er wieder infektionsbereit sein, wenn er keine Antikörper mehr bildet? Das ist bislang noch nicht untersucht worden. Wir als Team haben schon jetzt eingefrorenes Blut von mehr als 20 Menschen, das wir ins Labor schicken können. Prof. Dr. med. Philipp von Landenberg vom Laborzentrum Nordwest im niedersächsischen Schüttorf hat die Verantwortung für die Analytik. Und die Biochemikerin Dr. Christiane Knies von Medac sorgt für die Testkits, die wir verwenden. Im Grunde ist es für alle Beteiligten eine Win-win-Situation. Die Studie hat überhaupt keine wirtschaftlichen, nur wissenschaftliche Interessen.
Der Hausarzt als Wissenschaftler – mit welchem Thema haben Sie eigentlich damals zum „Dr. med.“ promoviert?
1972 an der Uni Marburg, da ging es um das Gallenstein-Leiden und die Frage: Ist eine frühe oder eher spätere Operation angezeigt? Für das Ergebnis habe ich unter anderem 900 Patienten-Anamnesen bearbeitet.
Eines Ihrer Hobbys scheint der Extremsport zu sein, Stichwort „Badwater Run“ in Kalifornien. Wie sehen da Ihre Aktivitäten aus?
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Beim „Badwater Run“ durch das berüchtigte Death Valley habe ich über viele Jahre mit 42 bis 45 Stunden die Bestzeit in der Altersklasse 60 bis 65 gehalten. Dabei ging es 217 Kilometer durch die Wüste – mitten im Juli, bei Temperaturen über 50 Grad im Schatten. Der Wettbewerb wurde auch wissenschaftlich begleitet. Die Frage dabei: Wie reagiert der Mensch auf solche Belastungen? Ich bin damals ganz stark in den Ultra-Bereich eingestiegen – und suchte nach immer größeren Herausforderungen.
Offensichtlich lässt sich Ihre Leidenschaft auch gut mit Ihrem sozialen Engagement verbinden – Beispiel Spenden-Läufe…
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Ja, die Charity-Läufe. Bei einem Lauf von Berlin nach Rom über 2200 Kilometer haben wir 2014 zwei Promotionen finanziert – zur Forschung etwa an der neuronalen Ceroid Lipofuscinose (NCL), einer Art Alzheimer bei Kindern. Und ein Lauf über 300 Kilometer auf die Zugspitze hat am Ende eine Million Euro gebracht – für die Erforschung neuer genetischer Polymorphismen bei der Fanconi-Anämie.
Und wie sieht Ihr soziales Engagement derzeit in Wittgenstein aus, etwa mit Blick auf die Flüchtlingssituation?
Während der großen Flüchtlingswelle 2015 war ich ja zwei Jahre lang in der Flüchtlingsunterkunft am Spielacker hier in Bad Berleburg, habe dort eine kleine Ambulanz aufgebaut, war zuständig für die medizinische Versorgung. Ich habe eben eine besondere Einstellung zu diesen Menschen. Und ich finde, wir haben auch eine historische Verantwortung diesen Menschen gegenüber.
Sind Sie auch weiterhin politisch aktiv?
Also, ich bin noch bei den Linken, habe mich aber aus der aktiven Rolle zurückgezogen – immerhin werde ich dieses Jahr 78. Und gehe noch immer jeden Tag zweimal Joggen mit dem Hund.