Wittgenstein. Die Young Ambassadors aus Wittgenstein sind am Tag der Amtseinführung des neuen Präsidenten in Gedanken bei ihren Freunden in den USA.
Wenn heute Joe Biden als legitimer Sieger der US-Präsidenten-Wahl in sein Amt eingeführt wird, dann sind auch viele Wittgensteiner in Gedanken bei den Amerikanern. Unglaubliche Bilder vom Sturm aufs Kapitol in Washington erreichten am Epiphanias-Tag die Welt. Eine Gruppe gibt es hier, die besonders genau hinschaute: die Young Ambassadors. Vor anderthalb Jahren waren Jugendliche aus Wittgenstein und dem Hochsauerland als siebte Generation des gleichnamigen Jugend-Austauschprogramms zwischen dem heimischen Kirchenkreis und der United Church of Christ (UCC) in Indiana und Kentucky gemeinsam in den Vereinigten Staaten unterwegs.
Philipp Dreisbach
Der 20-jährige Feudinger Philipp Dreisbach ist als Austausch-Teilnehmer fassungslos, wenn er die Fernsehbilder von dort sieht: „Als Folge der Ausschreitungen haben über 20.000 Nationalgardisten vor und während der Amtseinführung von Joe Biden in Washington DC Stellung bezogen. Währenddessen stehen an den Lebensmittel-Stationen für Bedürftige im ganzen Land Menschen aller sozialen Schichten Schlange, um noch eins der wenigen Essens-Pakete zu erhalten. Noch dazu haben viele Millionen Amerikaner während der Pandemie ihren sichergeglaubten Job verloren.“
Leonie Reis
Die gleichaltrige Leonie Reis aus Bad Laasphe gehört auch zu den Jungen Botschaftern, so die deutsche Übersetzung des englischen Austausch-Namens. Sie macht sich ebenfalls Gedanken und sieht in Donald Trump den Hauptschuldigen: „Meine Sorgen und Ängste kreisen viel um unsere Partner aus dem Young-Ambassador-Projekt.“ Es mache sie traurig, dass so viel Leid und Hass geschürt worden sei, nur weil der abgewählte amerikanische Präsident „seinen kindlichen Willen“ durchsetzen wollte. Auch auf der anderen Seite sehen die Austausch-Teilnehmenden ganz klar Donald Trumps gefährliche Rolle.
Luke Anderson
Der ebenfalls 20-jährige Luke Anderson lebt in Louisville, wo im März 2020 die Afro-Amerikanerin Breonna Taylor von einem Polizisten in ihrer Wohnung erschossen wurde und das danach zu einem der Epizentren der Black-Lives-Matter-Bewegung wurde: „Das Handeln der Trump-Verwaltung war ein Angriff auf die Rechte und die Existenz jeder Minderheiten-Gruppe in den Vereinigten Staaten.“
Shaunae Hayes
Und die von Trump vorangetriebene Teilung des Landes werde fortbestehen, vermutet die 19-jährige Shaunae Hayes: „Weil das Land so gespalten ist, fürchte ich, dass Gewalt noch schlimmer als bei den Ereignissen am 6. Januar in der Hauptstadt ausbrechen könnte. Ich habe Angst vor Randale und Brutalität, hervorgerufen, weil die Sicht der Menschen auf die Dinge so völlig unterschiedlich ist.“
Melinda Sterrett
Und die schon immer existenten Vorbehalte innerhalb der amerikanischen Gesellschaft, die in den vergangenen vier Jahren massiv geschürt wurden, sind nur durch aktives Handeln zu überwinden, ist sich Melinda Sterrett als eine der amerikanischen Leiterinnen des Austauschs sicher: „Diese Ideologie des Hasses ist verbreiteter als ich es verstanden habe, und es liegt in meiner Verantwortung, mich weiterzubilden und mich stärker in die politischen Prozesse in diesem Land einzubringen.“
Dabei gilt die UCC ohnehin als sehr politisch bewusste Kirche in den USA. Nicht umsonst gab deren Kirchenleitung vergangene Woche eine Warnung heraus. Ohne überreagieren zu wollen, warne man die eigenen Gemeinden, dass liberale Kirchen rund um die Vereidigung möglicherweise Anschlags-Ziele sein könnten: „Wir empfehlen dringend, euch um die Sicherheit für Pfarrerschaft und Gemeindemitglieder zu kümmern, auch wenn dies bedeutet, dass ihr euch diese Woche auf eine andere Weise als persönlich im Kirchengebäude trefft.“ Nicht wegen Corona, sondern wegen Sicherheits-Bedenken wurden die Gemeinden ermutigt, Präsenzgottesdienste ausfallen zu lassen.
Daniel Seyfried
Für Daniel Seyfried, Chef vom Kirchenkreis-Kompetenzzentrum für Kinder-, Jugend- und Familienarbeit, der seit zwei Jahren das Young-Ambassadors-Programm in Wittgenstein leitet, sind durch seine Arbeit die USA sehr viel näher an ihn herangerückt. Melinda Sterrett wurde Anfang 2020 Patin der zweiten Tochter von Daniel und Claudia Seyfried. Aufmerksam hat der Gemeindepädagoge über die Jahre das Wirken von Donald Trump beobachtet, mehr als interessiert verfolgte er die Wahlen sowie den unentschuldbaren Tabubruch am 6. Januar: „Und natürlich haben wir mit unseren Freunden Kontakt aufgenommen, um zu hören, wie es ihnen geht. Nachdem sie uns ihre Sorgen und Ängste mitteilten, baten sie uns: ‚Betet für uns und unser Land.‘ Ein Aufruf, dem wir als Familie - ja auch unsere Töchter - gern gefolgt sind. Täglich schließen wir die Situation in Amerika in unsere Abendgebete ein.
Und genau, dass ist es was Freundschaft ausmacht. Wir leben die Partnerschaft des Kirchenkreises Wittgenstein mit der UCC Indiana/Kentucky sehr bewusst. Für uns ist Freundschaft und Partnerschaft mehr als nur ein Treffen, um eine schöne Zeit miteinander zu erleben. Partnerschaft zeichnet sich vor allem dadurch aus, voneinander zu lernen, Anliegen miteinander zu teilen, sich mit zu freuen und mit zu leiden und vor allem füreinander zu beten.“
Dankbar für die Gemeinschaft
Und für Luke Anderson steht fest, dass in diesen Zeiten des Aufruhrs das Young-Ambassadors-Programm ein Segen war: „Ich denke, diese schwierigen Zeiten haben mich nochmal dankbarer gemacht für die Gemeinschaft und haben mich vertrauensvoller Erfahrungen austauschen lassen, persönlich oder virtuell.“ Denn auch wenn das direkte deutsch-amerikanische Treffen vergangenes Jahr verschoben werden musste, so gab es doch über den Atlantik hinweg Video-Konferenzen und -Gottesdienste.
Sehr zur Freude von Melinda Sterrett: „Wenn all die wichtigen Leute in Washington DC bei einem Zoom-Meeting der Young Ambassadors dabei sein könnten, würden unsere Jugendlichen sie schnell auf den richtigen Weg bringen. Ich glaube, unsere Jugendlichen könnten zeigen, dass Brücken durch harte Arbeit, ehrliches Miteinander-Reden und im Anerkennen unserer Unterschiedlichkeit mit einem Geist des Einander-Annehmens gebaut werden.“
Die kompletten Texte von Daniel Seyfried sowie von Luke Anderson, Shaunae Hayes und Melinda Sterrett im englischen Original können auf der Kirchenkreis-Homepage nachgelesen werden.