Bad Berleburg. Dr. Holger Finkernagel fordert, dass niedergelassene Ärzte und ihr Personal stärker bei der Coronaschutzimpfung berücksichtigt werden.

Der Hals kratzt. Die Nase läuft. Man fühlt sich müde und schlapp. Also ab zum Arzt und sich einmal durchchecken lassen. Ist es eine Grippe? Oder steckt hinter den Symptomen eine Corona-Infektion? "Es vergeht kein Tag, an dem ich keine Abstriche mache", sagt Dr. med. Holger Finkernagel aus Bad Berleburg. Er selbst macht die Abstriche bei seinen Patienten - und das aus gutem Grund. "Ich möchte meine Mitarbeiter vor einer Infektion mit dem Coronavirus schützen."

Mit einem Leserbrief an diese Zeitung macht der Allgemeinmediziner darauf aufmerksam, wie schwer es ist, an Impfstoff für das Praxispersonal zu kommen und was passiert, wenn die Praxen coronabedingt schließen müssen. "Wenn der Arzt oder sein Personal sich ansteckt, dann schließt die Praxis mindestens für drei Wochen, angeordnet vom Gesundheitsamt. Und wenn die Häufigkeit der Infektionen durch das neue Virus exponentiell zunimmt und immer mehr Arztpraxen schließen müssen? Wer versorgt die Lungenentzündung, die Gallenkoliken, die Herzbeschwerden, den Rückenschmerz?"

Täglich werden Abstriche gemacht

Tagtäglich kommen die Patienten mit den unterschiedlichsten Symptomen und Beschwerden zu ihm. "Je 19 von 20 infizierten Patienten stellen sich erst einmal beim Hausarzt vor in der Annahme, er könne eine Grippe haben. Er wird dort untersucht, ein Schnelltest wird gemacht, zunehmend häufig ist er positiv", so Dr. Finkernagel. "Das Infektionsrisiko für uns Ärzte und unsere Mitarbeiter ist enorm hoch." Gerade deshalb sei es extrem wichtig, dass das Personal rechtzeitig geimpft werde.

Doch das ist nicht so einfach. "Es ist sehr schwer, an genügend Impfstoff zu kommen." Er selbst sei Ende Februar an der Reihe. Um seine Mitarbeiter aber habe er große Sorge. "Es ist schon spannend, wenn man den Impfterminrechner aufruft, den ein bekannter Programmierer entwickelt hat. So habe ich die Hoffnung bis Ende Februar die erste Impfung zu bekommen, damit ich niemanden in der Praxis anstecke, niemanden in der Familie. Natürlich bekommen erst ganz hoch betagte Menschen die Impfung, schließlich wollen wir Leben retten. Und alle im Krankenhaus, in Pflegeeinrichtungen sollten auch an erster Stelle geimpft werden. Aber wann - und warum dauert das so lange?"

Er wünscht sich, dass die niedergelassenen Ärzte und ihre Angestellten besser beim Thema Impfung berücksichtigt werden. "Ich bin Betreuer des Wachkomazentrums - gerade dort könnte man doch erwarten, dass es genügend Impfstoff für die Patienten und das Personal gibt." Doch das ist nicht der Fall.

Impfung sollte auch bei Hausärzten möglich sein

Und noch etwas kritisiert der Allgemeinmediziner: Dass der Impfstoff lediglich in sogenannten Impfzentren verabreicht wird. "Routine haben doch die Hausärzte und die könnten inzwischen schon ein Vielfaches an Impfungen gemacht haben. Dagegen spricht auch nicht der Impfstoff und seine Kühlkette", so Dr. Finkernagel, der sich genauer mit der Materie beschäftig hat. "Ich habe mich über die speziellen Kühlschränke und der Lagerung des Impfstoffes informiert. Er muss vor der Verabreichung fünf Stunden aufgetaut werden. Wenn man einen solchen Kühlschrank in ein bis zwei Apotheken aufstellen würde, könnten die niedergelassenen Ärzte in Wittgenstein ebenfalls den Impfstoff verabreichen." Dann, davon ist der Allgemeinmediziner überzeugt, wären auch mehr Menschen bereit, sich impfen zu lassen.

Zudem müssten die Menschen dann nicht so weit bis zum nächsten Impfzentrum fahren. "Ältere und kranke Menschen können nicht mal eben nach Siegen-Eiserfeld fahren. Da hilft es auch nicht zu sagen, man zahle die Taxen. So viele Taxen haben wir gar nicht." Bis Ende 2020 wurden laut Dr. Finkernagel zirka 25 Millionen Grippeimpfungen gemacht, ohne, dass der Praxisablauf dadurch gestört wurde. "Und so fürchtet man die Kosten für die Impfungen? Diese könnte man ja steuern und so wie es jetzt läuft, ist es chaotisch."

Und noch etwas beunruhigt ihn. "Was wird sein, wenn die neue Variante bei uns angelangt ist? Dann rechnet man mit einer Vervielfachung der Infektionen. Wer traut sich dann noch zum Arzt? Die Arztpraxen könnten leer werden, was grundsätzlich ja nicht schlimm wäre - die Wartezeiten würden sich verkürzen. Wir machen uns alle keine Gedanken, beugen nicht vor, verhalten uns wie Lemminge, lassen einfach alles auf uns zu kommen. Eigentlich unterscheiden wir uns doch vom Tier, indem wir vorausschauende Entscheidungen treffen können. Im Moment zeigt sich aber wie wir erstarren in Ängsten, die unsere Entscheidungen zunehmend lähmen", schreibt er in seinem Leserbrief an diese Zeitung. "Nicht alleine die Politiker sind überfordert, auch wir Ärzte versagen, indem wir nicht nach vorne sehen, Pläne machen für den Fall, dass die Uhren stillstehen und niemand mehr versorgt werden kann. Den Ärzten im Krankenhaus ist diese Verantwortung nicht auch noch aufzubürden."