Erndtebrück. Zwischen 14.15 Uhr und 14.30 bombardierten und beschossen die Alliierten vor 75 Jahren Erndtebrück. Zwei Zeitzeugen erinnern sich noch genau.

15 Minuten sind nicht viel Zeit. Heute vor 75 Jahren aber haben sie gereicht, um Erndtebrück beinahe völlig zu zerstören. Karl-Otto und Helga Lange waren damals acht Jahre alt und können sich noch genau an den verheerenden Bombenangriff der Alliierten erinnern, der 82 Menschen das Leben kostete.

„Die Angst von damals ist bis heute geblieben“, berichtet die heute 83-jährige Helga Lange. An dem Tag, ein Samstag, war mittags Schule und sie ging mit ihrem Tornister auf dem Rücken entlang der heutigen Pulverwaldstraße – früher hieß sie noch Hindenburgstraße, erinnert sich Helga Lange.

Auf dem Schulweg

Es war ein nebliger Tag und obwohl Erndtebrück in den Monaten zuvor bereits mehrfach beschossen und bombardiert wurde, rechneten die wenigsten am 10. März wegen des Nebels mit einem Angriff. An der Schule angekommen, stand die damals Achtjährige vor verschlossenen Toren. „Ich bin dann wieder nach Hause gegangen, aber meine Mutter sagte ,Das kann doch nicht sein’ und ging nochmal mit mir zur Schule.“

Es waren nur 200 bis 300 Meter vom Wohnhaus bis zum Schulgebäude, doch dort kamen Mutter und Tochter nicht mehr an, denn es war kurz nach 14 Uhr und die ersten Tiefflieger waren am Himmel über Erndtebrück zu sehen. „Wir sind dann in einen Hausflur geflohen“, erinnert sich Helga Lange. Dort harrten sie aus, während die Bomben fielen.

In den Keller geschleudert


Ein Einschlag ganz in der Nähre verursachte einen derartig starken Luftdruck, dass die Achtjährige rückwärts die Treppen hinunter in den Keller geschleudert wurde. „Ich hatte nur Angst, einfach nur Angst. Es war alles voller Staub“, blickt Helga Lange zurück. Sie erlitt bei dem Sturz Prellungen und rannte gemeinsam mit der Mutter nach der zweiten Angriffswelle zurück nach Hause – das stand nämlich noch.

Die Chronik Erndtebrücks weist folgende Zahlen auf: 49 Gebäude des kleines Ortes waren nach Kriegsende komplett zerstört, 121 schwer und mittelschwer, 160 waren leicht beschädigt – und das von 430 Gebäuden im Ort. Das bedeutet, dass nur 23 Prozent der Gebäude unversehrt blieben.

Am Markt

„Hätten an diesem Tag alle Bomben ihr Ziel getroffen, wäre ganz Erndtebrück zerstört worden“, ist Helga Langes Ehemann Karl-Otto Lange überzeugt. Er wohnte damals, ebenfalls im Alter von acht Jahren, in der Nähe des Bahnhofs am Erndtebrücker Markt. „Mein Vater wusste schon vorher, dass Erndtebrück bombardiert wird“, erinnert sich Lange – sein Vater hörte heimlich englisches Radio und ahnte, was bevorstand.


Noch vor der ersten Angriffswelle war die Familie auf dem Weg in die Katzenbach zu Bekannten, weg vom Bahnhof, der das vornehmliche Ziel der Alliierten war.

Niemand überlebte

„Da sind wir aber nicht mehr hingekommen, das hat nicht geklappt“, erzählt Lange und berichtet, dass in dem Haus, das eigentlich der Anlaufpunkt der Familie gewesen war, niemand den Angriff überlebte.

An der Hand der Großmutter ging es also in den bereits vollen Keller des eigenen Hauses. Eine Bombe schlug direkt hinter dem Gebäude ein. „Das Dach war weg. Wir konnten da nicht mehr wohnen.“ Der nächste Schockmoment ereilte Lange, als er aus dem Keller kam. „In dem kleinen Korridor lag ein toter deutscher Soldat. Ich weiß nicht, ob er dort gestorben ist oder ob ihn dort jemand abgelegt hat“, so Lange.

Särge in der Kirche

Es war der einzige Soldat, der in Erndtebrück an diesem Tag starb – insgesamt kamen am 10. März 1945 86 Menschen ums Leben, davon waren 67 Menschen Erndtebrücker, 14 waren Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene. Der Soldat kam aus Düsseldorf. „Ich habe die vielen Särge in der Kirche gesehen“, berichtet Lange, der die Totenglocke per Hand läutete.

Über 300 Verletzte

In den folgenden Tagen beteiligte sich Karl-Otto Langes Vater an den Aufräumarbeiten und kümmerte sich mit der Sanitätskolonne um die Verletzten – über 300 nahmen in den 15 Minuten, die der Angriff dauerte, Schaden. „Ich habe in diesen Tagen meinen Vater gar nicht gesehen, er war immer im Einsatz“, erinnert sich Lange.


Das „Sanitätshaus“ lag in Trümmern, die transportfähigen Verletzen wurden in der Volksschule versorgt – und das ohne elektrischen Strom oder fließend Wasser. Als die Dunkelheit einbrach, wurde bei Kerzenlicht weitergearbeitet – von außerhalb kam erst sehr spät Hilfe an. Die Sanitätskolonnen aus Berleburg und Laasphe stellten ihre Einsatzkraft zur Verfügung.