Bad Berleburg. Grünen-Landtagsabgeordneter Johannes Remmel spricht in Bad Berleburg über Klimaschutz. Einigen Zuhörern gehen die Ausführungen nicht weit genug.
Als „bittersüß“ empfand Johannes Remmel, Landtagsabgeordneter der Grünen und ehemaliger Minister für Klimaschutz in NRW, den Freitag, der gleich mit zwei Paukenschlägen daherkam: Dem globalen Klimastreik, der auch in Bad Berleburg Menschen vereinte und vor das Rathaus brachte, und das von der Bundesregierung verabschiedete Klimapaket.
Im Rahmen des globalen Klimastreiks war er von den Bad Berleburger Grünen in die Aula des Johannes-Althusius-Gymnasiums für einen Vortrag und eine offene Diskussion eingeladen worden – während er auch immer wieder Applaus von den Zuhörern bekam, waren nicht alle zufrieden mit einigen Aussagen des Politikers.
Beeindruckt zeigte er sich von den Menschenmassen, die weltweit am Freitag für das Klima auf die Straße gegangen waren, sowohl von den insgesamt etwa 1,4 Millionen in ganz Deutschland als auch von denen, die kurz vor der Veranstaltung im JAG noch vor dem Berleburger Rathaus demonstriert hatten (wir berichteten).
„Das ist ermutigend und ein tolles Zeichen. Das hätte man so vor etwas mehr als einem Jahr nicht prognostizieren können. Die gesellschaftliche Bewegung in dieser Sache war das, was noch gefehlt hat“, sagte Remmel.
Enttäuscht war er hingegen vom Klimapaket, dass die Bundesregierung am selben Tag verabschiedet hatte: „Ich weiß nicht, was die große Koalition da geritten hat, das ist dermaßen unter dem, was zu erwarten war.“
CO2-Ausstoß massiv verringern
Dabei sollte keine Zeit verloren werden in Sachen Klimaschutz, machte Remmel deutlich. „Wir sind in NRW derzeit bei 15 Tonnen CO2 pro Kopf im Jahr. 2030 sollten wir so weit sein, dass wir pro Person zwei Tonnen CO2 im Jahr ausstoßen – das ist das Level Indiens derzeit“, betonte der Landtagsabgeordnete. Nur so könnten die Pariser Klimaziele erreicht werden – und ohne NRW ginge das nicht. „Kein Klimaschutz ohne NRW. Allein rein mathematisch sind wir schon in der Pflicht, etwas dazu beizutragen“, mahnte Remmel davor, die Verantwortung anderen zuzuschieben.
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Merkbar sei die Veränderung des Klimas auch in Siegen-Wittgenstein schon seit einer Weile, gab Remmel zu bedenken. „Das, was uns schon jetzt Tränen in die Augen treibt, nämlich der sich verschlechternde Zustand des Waldes, wird noch weitergehen“, sagte er. Die kurzen und starken Regengüsse mit langen Trockenperioden dazwischen gehörten ebenfalls dazu, genauso wie Stürme. „Wir fangen an, diese Dinge wieder zu verdrängen, dabei war Kyrill zum Beispiel ein apokalyptischer Sturm, ein Zeichen, dass sich da etwas verändert“, sagte Remmel. Die Menschen seien genetisch so geprägt, Katastrophen zu verdrängen. „Das hindert uns jetzt“, sagte der Politiker.
Klimaschutzprojekt Siegen-Wittgenteins hat keine klare Zielsetzung
Siegen-Wittgenstein könnte noch viel mehr tun, um sich am Klimaschutz zu beteiligen, gab Remmel zu bedenken. „Es gibt zwar ein Klimaschutzprojekt in Siegen-Wittgenstein, aber es hat keine Verbindlichkeit. Es gibt keine klare Zielsetzung und auch keine klare Überprüfung der Maßnahmen“, mahnte er. Vielmehr sollten in allen Sektoren des Lebens, wirtschaftliche wie private, Maßnahmen ergriffen werden. „All diese Maßnahmen müssen dann miteinander verknüpft werden“, machte Remmel deutlich und forderte, das der Klimaschutz zur kommunalen Pflichtaufgabe werden sollte – neben Abfallbeseitigung, Trinkwasser- und Energieversorgung.
Es müsse ein Umdenken stattfinden, was Strukturen und Systeme betreffe. „Das bisherige Energieversorgungssystem beruht auf Zentralität: Zentrale Kraftwerke versorgen die Fläche. Alter Wein geht nicht in neue Schläuche“, erklärte er, dass zum Beispiel Windkraft stattdessen dezentral funktioniere und demnach die Strukturen angepasst werden müssten.
Neue Rahmenbedingungen für Industrie
Dasselbe gelte auch für die Automobilindustrie. „Wir müssen an das Grundsystem, wie die Automobilindustrie ihr Geld verdient“, forderte der Grünen-Politiker.
Die Industrie brauche neue gesetzliche Rahmenbedingungen, allein sei sie nicht in der Lage, sich umzustellen. So könne man sich die Strategie anderer Länder zum Vorbild nehmen und die Firmen fördern, die bis zu einem bestimmten Prozentsatz emissionsfrei produzieren.
„Ein totaler Widerspruch“
Nicht weit genug gingen die Aussagen Remmels Taliesin Matthes: „Ihre Ausführungen darüber, was wir hier vor Ort machen müssen und die globale Verantwortung betreffen, sind sinnvoll und logisch. Es ist sehr löblich, wenn Sie sagen, dass die Dinge hier lokal und dezentral gelöst werden müssen. Andererseits ist das jedoch ein totaler Widerspruch, einerseits die dezentrale Energieversorgung betreiben zu wollen und dann weiter zentral arbeitende Firmen haben zu wollen, in diesem Zusammenhang steht auch Ihre Liebelei mit der Automobilindustrie“, kritisierte der 17-Jährige. In einer endlichen Welt könne wirtschaftlicher Wachstum nicht weiter fortgeführt werden.
„Meine Devise: Klimaschutz ist Anti-Kapitalismus. Ich kann mir nicht vorstellen, wie man einerseits kapitalistische Weltmacht bleiben will und gleichzeitig den pro-Kopf-Wert Indiens mit zwei Tonnen CO2 im Jahr erreichen will. Das ist einfach nicht möglich“, bezog Matthes Stellung und schlug Restriktionen bei der Autoproduktion vor, die die Menschen dazu zwinge, alte Autos zu reparieren statt neue zu kaufen: „Im Sinne der Gemeinwohlökonomie“, schloss der 17-Jährige, der forderte, sich „vom unfreien Denken zu lösen“.
Nicht die Hoffnung, das kapitalistische rechtzeitig System zu ändern
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Während er dem Thema nicht ausweichen wollte, antwortete Remmel, dass er in dieser Sache anderer Meinung sei. „Ich setze mich durchaus dafür ein, überall die Gemeinwohlökonomie und andere Lebensstile zu fördern, aber ich habe nicht die Hoffnung, dass wir in der Zeit, die wir noch haben, die kapitalistische Wirtschaftsweise überwinden können. Deshalb müssen wir die politischen Rahmenbedingungen schaffen. Wir sollen wir es in dem bestehenden System anders machen? Ich weiß darauf keine Antwort“, so Remmel.
Streit um erneuerbare Energien
Auch um erneuerbare Energien entbrannte eine Diskussion. Ein Besucher forderte, dass Industriehallen und versiegelte Flächen mit Photovoltaikanlagen ausgestattet werden – Remmel begrüßte dies zwar, vertrat aber auch die Meinung, dass dies nicht reiche und an Windkraft festgehalten werden müsse. Dies gefiel einigen Zuhörern nicht, die den Vogelschutz bedroht sahen.
„Auf der Straße sterben viel mehr Vögel“, sagte Remmel, während Dr. Felix Riedel von den Bad Berleburger Grünen darauf hinwies, dass es im Bezug auf Fledermäuse, die viel mehr von Windrädern bedroht seien als Vögel, bereits Systeme gebe, mit deren Hilfe Windräder in Flugzeiten der Fledermäuse abgestellt werden könnten. Die Kritik aus den Zuschauerreihen: Dieses System gebe es hier in Siegen-Wittgenstein nicht, es sei abgelehnt worden.
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Die weit vorangeschrittene Uhrzeit nötigte schließlich die Teilnehmer der Veranstaltung, den Heimweg anzutreten, trotz längt nicht erschöpften Diskussionsbedarfs. „Ich würde für eine Fortsetzung wiederkommen“, kündigte Remmel an.