Bad Berleburg. Im Interview berichten Anke Kaiser und Torsten Vogt über Job-Perspektiven durch diese Fortbildung und die Bedeutung für die Wittgensteiner Firmen.

Wittgensteiner Unternehmer haben lange dafür bei der Industrie- und Handelskammer Siegen-Wittgenstein/Olpe geworben, neben den umfangreichen Weiterbildungsmöglichkeiten in Siegen auch dezentral Angebote im Bildungszentrum Wittgenstein (BZW) in Bad Berleburg zu schaffen. Inzwischen ist das berufsbegleitende Weiterbildungsangebot zum Industriefachwirt erfolgreich angelaufen. Der erste Lehrgang mit 21 Teilnehmern macht im Herbst die abschließende Prüfung und ein zweiter läuft mit elf Teilnehmern. Ein dritter startet im Oktober dieses Jahres. Das ist Grund genug, mit den beiden Lehrgangsleitungen Anke Kaiser und Torsten Vogt über Vorteile, Voraussetzungen und Perspektiven zu sprechen.

Torsten Vogt kennt diese Fortbildung aus eigener Erfahrung.
Torsten Vogt kennt diese Fortbildung aus eigener Erfahrung. © Julien Gillner | Julien Gillner

Welches berufliche Weiterbildungsangebot bietet das bbz Siegen in Wittgenstein an?

Anke Kaiser Der Industriefachwirt ist der Generalist unter den Fachwirten und keine Spezialisierung wie zum Beispiel der Fachwirt für Güterverkehr und Logistik. Damit kann man in vielen Bereichen arbeiten, diese Weiterbildung ist sehr breit aufgestellt.

Torsten Vogt Man kann nachher in allen Bereichen eines Industrieunternehmens arbeiten: Im Einkauf, in der Produktionswirtschaft, im Marketing, im Controlling, in der Finanzbuchhaltung. Das ist das Schöne. Je nachdem, in welchem Alter man das macht, hat man sich ja auch noch nicht ganz festgelegt. Wir haben viele jüngere Teilnehmer und da weiß ich, dass sich die wenigsten festgelegt haben.

Damit kann ich später auch meinen Arbeitsbereich im Unternehmen wechseln, bin vielseitiger einsetzbar?

Dirk Pöppel: „Riesenchance für Wittgenstein“

„Diese ‘Meisterschule für Kaufleute’ ist eine Riesenchancen für Wittgenstein. Wir haben lange dafür gekämpft, dass wir dieses Bildungsangebot hierhin bekommen“, erklärt Dirk Pöppel, beim Berleburger Schaumstoffwerk für Aus- und Weiterbildung zuständig. „Es geht insgesamt darum, dem Akademisierungstrend etwas entgegen zu setzen, die gewerbliche und kaufmännische Ausbildung attraktiver zu machen. So können wir die Menschen im Unternehmen und in der Region halten.“ Pöppel berichtet davon, dass zunächst Überzeugungsarbeit bei der Industrie- und Handelskammer und dem Berufsbildungszentrum (bbz) geleistet werden musste. „Wir brauchen das bbz. Dadurch haben wir einen erfahrenen hochklassigen Bildungsträger mit im Boot“, so Pöppel. Mit Dozenten aus Wittgenstein und den Räumen im Berufsbildungszentrum Wittgenstein kommt ein weiter Faktor hinzu.

Das sieht auch Ingo Miss von Bikar-Metalle aus Raumland so: „Wir profitieren von diesem Angebot“, sagt der für Aus- und Weiterbildung zuständige Prokurist. Aus dem Unternehmen sind in den ersten beiden Kursangeboten vier Mitarbeiter dabei. BSW konnte fünf entsenden.

„In Deutschland herrscht Fachkräftemangel. Die Unternehmen bilden ihren Nachwuchs selbst aus und da sind solche Fortbildungsangeboten sehr willkommen“, erläutert Ingo Miss und unterstreicht, wie wichtig das regionales Angebot für die Wittgensteiner Wirtschaft sei: „Weite Fahrten sind ganz klar ein Ausschlusskriterium. Durch das Kursangebot in Bad Berleburg können die Mitarbeiter die Fortbildung neben ihrer Regelarbeitszeit wahrnehmen.“ Davon profitierten Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichermaßen. Hinzu komme, dass man vielfach Kursteilnehmer und auch Dozenten kenne. Auch das sei ein Vorteil, ist sich Miss sicher.

Torsten Vogt Genau! Bei mir war das so, dass ich in der Produktionswirtschaft gearbeitet habe und bin dann kurz nach dem Fachwirt ins Controlling gewechselt. Das wurde durch diese Fortbildung erst möglich.

Anke Kaiser Wir haben auch Teilnehmer aus dem Baubereich. Diese sind zwar eigentlich im Handwerk beheimatet, aber für solche Firmen ist das sehr interessant, weil sie dann wissen, wie Industrieunternehmen ticken.

Welche Voraussetzungen muss ich für eine Fortbildung mitbringen?

Torsten Vogt Der Industriefachwirt ist die klassische Weiterbildung des Industriekaufmanns. Aber wenn ich eine kaufmännische oder verwaltungsmäßige Ausbildung aus einem anderen Bereich habe, dann habe ich auch die Zugangsvoraussetzung.

Anke Kaiser Wir haben in den beiden aktuellen Lehrgängen Versicherungskaufleute, Groß- und Einzelhandelskaufleute, Bürokaufleute dabei.

Torsten Vogt Wichtig ist, dass man bis zur Prüfung drei Jahre Berufspraxis im kaufmännischen oder verwaltenden Bereich nachweisen kann. Die Zugangsvoraussetzungen sind über die Industrie- und Handelskammer festgelegt.

Viele Branchen bieten auf sie zugeschnittene Fortbildungen zum Fachwirt an – zum Beispiel Sparkassenfachwirt. Welchen Stellenwert haben diese Qualifikationen außerhalb des ursprünglichen beruflichen Kontextes?

Anke Kaiser

s ist ein IHK-Zertifikat, das erworben wird. Und dementsprechend bundeseinheitlich gültig, sagt Anke Kaiser.
s ist ein IHK-Zertifikat, das erworben wird. Und dementsprechend bundeseinheitlich gültig, sagt Anke Kaiser. © Julien Gillner | Julien Gillner

Es ist ein IHK-Zertifikat, das erworben wird. Und dementsprechend bundeseinheitlich gültig.

Torsten Vogt Es wird Deutschland weit zum gleichen Termin die gleiche Prüfung geschrieben. Dadurch ist eine Vergleichbarkeit möglich. Ich kann mich mit Absolventen in Hamburg oder Bayern vergleichen.

Die Angebote im bbz gelten auch als Alternativen zum berufsbegleitenden Studium, wie sehen die beruflichen Perspektiven anschließend aus?

Anke Kaiser Ich schließe auf Bachelor-Niveau ab. Das ist vergleichbar. Außerdem kann es direkt weiter zum Betriebswirt gehen. Das ist dann Masterniveau. Das zeigt sehr gut auch die Durchlässigkeit unseres Bildungssystems.

Das ist attraktiv für Menschen, die kein Abitur gemacht haben. Die können dann über den Beruf und die Fortbildung einen dem Studium vergleichbaren Abschluss machen?

Torsten Vogt Genau. Ich habe die klassische Industriekaufmann-Lehre gemacht, weil ich Geld verdienen wollte. Mit 25 Jahren habe ich dann den Fachwirt gemacht und den Betriebswirt hinten drangehängt. Laut dem Deutschen Qualifizierungsrahmen bin ich jetzt auf Masterniveau. Der große Vorteil gegenüber einem reinen Studium ist, dass hier Berufserfahrung dazu kommt. Ich bin zum Beispiel 30 Jahre alt, habe neben meinem Betriebswirt IHK auch 13 Jahre Berufserfahrung.

Details zum Weiterbildungsangebot

Der nächste Lehrgang zum Geprüften Industriefachwirt startet am 25. Oktober. Er dauert bis zum 8. Oktober 2021 und findet im ersten Jahr dienstags und donnerstags zwischen 17.30 und 20.45 Uhr und im zweiten Jahr samstags von 8 bis 13 Uhr im Bildungszentrum Wittgenstein in Bad Berleburg statt

Die Kosten für den Kurs belaufen sich auf 3850 Euro. Eine Bafög-Unterstützung kann beantragt werden.

Claudia Erickson vom bbz Siegen berät Interessenten unter 0271/89057-22 oder per E-Mail an erickson@bbz-siegen.de

Weitere Aus- und Fortbildungsangebote und Tagesseminare im BZW und im Rumilingene-Haus in Raumland dienen der Vorbereitung zur Ausbildereignungsprüfung, oder bieten Technikwissen für Kaufleute.

Mehr dazu unter www.bbz-siegen.de

Anke Kaiser Ein wesentlicher Vorteil der berufsbegleitenden Weiterbildung ist, man bleibt im Thema, im Berufsleben, in der Firma.

Wie viel Praxis oder Beispiele aus dem Berufsalltag stecken in der Fortbildung?

Anke Kaiser Hier sitzen die Lehrgangsteilnehmer nicht den ganzen Abend und werden zugetextet. Es geht neben aller Theorie auch um Beispiele aus der Praxis für die Praxis. Im Bereich Unternehmensführung oder Mitarbeiterführung zum Beispiel wurden Anforderungsprofile erstellt, Mitarbeitergespräche und Bewertungen geübt.

Wie ist der zeitliche Ablauf dieser Fortbildung?

Torsten Vogt Standardmäßig beginnt ein Kurs im Herbst eines Jahres und dauert rund zwei, zweieinhalb Jahre. In der Summe sind es derzeit 678 Unterrichtseinheiten zu 45 Minuten. Im ersten Jahr gibt es zwei Mal die Woche abends Unterricht dienstags und donnerstags von 17.30 bis 20.45 Uhr. Im zweiten Jahr ist einmal im Monat samstags von 8 bis 13 Uhr Unterricht.

Wie sehen die Prüfungen aus?

Torsten Vogt Es gibt zwei Prüfungsphasen vor dem Prüfungsausschuss der IHK – eine schriftliche Prüfung nach dem ersten Jahr des Lehrgangs und eine weitere schriftliche, sowie eine darauffolgende mündliche nach dem zweiten Jahr.

Mit Anke Kaiser und Thorsten Vogt sprach Lars-Peter Dickel