Siegen-Wittgenstein. Für Wittgenstein weist die Statistik einen starken Anstieg der angezeigten Fälle aus. Wir haben die Zahlen für die drei Kommunen angeschaut.

Es gibt wenig Gutes an dieser Statistik: Die Zahlen von Kindswohlgefährdungen in Nordrhein-Westfalen steigen innerhalb eines Jahres um rund 10 Prozent auf 43.375 Fälle. Im Kreis Siegen-Wittgenstein dagegen bleiben sie konstant bzw. sinken auch ganz leicht. Allerdings verzeichnet das Jugendamt des Kreises Siegen-Wittgenstein einen erheblichen Anstieg der Fallzahlen in Bad Berleburg und Bad Laasphe. Der Kreis ist für zehn der elf Kommunen in Siegen-Wittgenstein zuständig. Lediglich die Stadt Siegen verfügt über ein eigenes Jugendamt.

Stadt-Land-Gefälle

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Vergleicht man die Zahlen des Landesamtes für Datenverarbeitung und Statistik, dann laufen dort die Zahlen des Kreisjugendamtes und der Stadt Siegen zusammen. Die Großstadt mit ihren rund 100.000 Einwohnern stellt aber weniger als ein Drittel der Fälle in dem 278.000 Einwohner zählenden Kreis. Es lässt sich anhand der Fallzahlen also kein „Stadt-Land-Gefälle“ konstruieren. Im Gegenteil: Die aktuell starken Anstiege zum Beispiel in Wittgenstein ließen einen anderen Schluss zu. Nimmt man die Fallzahlen im Verhältnis zu den Einwohnerzahlen, dann liegt die Stadt Siegen mit 0,22 Prozent klar unter dem Wert des Kreises von 0,25 Prozent.

Bad Berleburg

Wie Jugendämter bei einer Kindswohlgefährdung vorgehen

Wie gehen Jugendämter mit dem Verdacht auf Kindswohlgefährdung um?

Meistens werden Mitarbeiter des Jugendamtes durch Polizei, Nachbarn, Lehrer oder Erzieher auf den Verdacht der Kindswohlgefährdung aufmerksam gemacht. Um einschätzen zu können, ob tatsächlich eine Gefährdung vorliegt, schickt das Jugendamt einen Mitarbeiter in die Familie, der die Situation überprüft.

Nach welchen Kriterien entscheiden Jugendamtmitarbeiter, ein Kind aus der Familie zu holen?

Findet der Jugendamtmitarbeiter das Kind eingesperrt oder verwahrlost vor oder stellt er fest, dass das Kind misshandelt wird oder durch Mangelernährung oder Ungeziefer in der Wohnung die Gesundheit des Kindes gefährdet ist, trifft er die Entscheidung über eine Inobhutnahme.

Wann entscheiden sich die Jugendamtmitarbeiter für eine Inobhutnahme?

Das Jugendamt darf grundsätzlich nur dann tätig werden, wenn die Betroffenen ihr Einverständnis erklärt haben. Bei einer akuten Gefährdung des Kindes holen zwei Mitarbeiter des Jugendamts zusammen mit der Polizei das Kind aus der Wohnung der Eltern. Nach zwei Tagen muss ein richterlicher Beschluss vorliegen, gegen den die Eltern klagen können. Da eine Inobhutnahme zu einer Traumatisierung des Kindes führen kann, versucht das Jugendamt eine solche Entscheidung zu vermeiden. Zuerst wird geklärt, ob das Amt die Eltern unterstützen kann, dass das Kind keiner Gefährdung mehr ausgesetzt ist. Ist das nicht möglich, wird das Kind in Obhut genommen. Die Entscheidung über eine Inobhutnahme ist für die Mitarbeiter des Jugendamts oftmals eine Gratwanderung.

Was passiert nach einer Inobhutnahme mit dem Kind?

Nach der Inobhutnahme kommen die Kinder in eine Bereitschaftspflegefamilie oder in ein Kinderheim. Wenn der Konflikt in der Familie geklärt werden kann, kehren die Kinder nach Hause zurück. Ist das nicht möglich, wird eine Pflegefamilie gesucht, die das Kind aufnehmen kann.

Wie lange dauert eine Inobhutnahme?

Über die Dauer der Inobhutnahme entscheidet das Vormundschaftsgericht zusammen mit den Eltern und dem Kind. Liegt eine Gefährdung des Kindswohls vor, entscheidet das Vormundschaftsgericht alleine über Dauer und weitere Vorgehensweisen, notfalls auch gegen den Willen der Eltern. Für die Dauer der Inobhutnahme hat das Jugendamt für das Wohl des Kindes zu sorgen.

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43 Fälle weist die Statistik für 2018 aus. Das sind 19 mehr als 2017. Die Verteilung entspricht aber mit knapp der Hälfte aller für Wittgenstein registrierten Fälle auch der Einwohnerverteilung. Mit einer Fallzahl von 0,2 Prozent der Gesamtbevölkerung von 19.400 steht Bad Berleburg trotzdem unter dem Durchschnitt des Kreises.

Bad Laasphe

36 Fälle wurden hier registriert. Das sind 15 mehr als im Vorjahr. Bad Laasphe, das rund 13.500 Einwohner zählt, liegt damit bei dem Fallzahlen-Vergleich von 0,26 Prozent sogar über dem Kreisdurchschnitt

Erndtebrück

13 Fälle waren es in der Edergemeinde. Hier kam nur ein Fall hinzu. Erndtebrück hat damit, gemessen an der Gesamteinwohnerzahl von 7000, sogar den besten Wert: 0,17 Prozent.

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Bei aller Besorgnis ist es wichtig festzuhalten, dass es zunächst nur um gemeldete Fälle geht, von denen mehr als die Hälfte später entweder gar keine Kindswohlgefährdung oder lediglich einen Hilfebedarf zum Ergebnis haben. Von den insgesamt 92 Verdachtsfällen in Wittgenstein haben sich etwas mehr als ein Drittel als unbegründet erwiesen. Das heißt, es hat dort weder eine latente noch eine akute Kindswohlgefährdung noch einen Hilfebedarf gegeben. Bei einem weiteren knappen Drittel haben die Ermittlungen des Jugendamtes zumindest Hilfebedarf festgestellt. Nur in ebenfalls einem Drittel haben die Ermittler eine latente oder sogar akute Kindswohlgefährdung festgestellt.

Was die Ursachen für die Entwicklung der Fallzahlen in den Kommunen angeht, mochte der Kreis Siegen-Wittgenstein keine Stellung beziehen: „Weil wir dazu keine gesicherten Erkenntnisse haben, sondern spekulieren müssten“, so Torsten Manges von der Pressestelle des Kreises, die auf Nachfrage der Redaktion die Landesdaten um die Zahlen für Wittgenstein ergänzte.