Wittgenstein. . Achde basse! Vor einer Woche hätte ich nur Bahnhof verstanden, wenn mich jemand im Wittjestener Platt angesprochen hätte.
Achde basse! Vor einer Woche hätte ich nur Bahnhof verstanden, wenn mich jemand im Wittjestener Platt angesprochen hätte. Gut, viel beherrsche ich immer noch nicht von dem Dialekt, aber mittlerweile kann ich wenigstens einige Wörter einordnen, wenn ich mich beim Zuhören darauf konzentriere. Anke Althaus-Aderhold, Künstlerin und Mundart-Expertin, trägt einen großen Teil dazu bei. Bekannt ist sie für ihre Mundart-Poster, die sie für Wittgenstein erstellt hat. Sie hat versucht, mir das Wittjestener Platt näher zu bringen.
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Ich muss gestehen, alles habe ich bei ihrer Lehrstunde nicht verstanden. Vor allem als sie mir die sprachlichen Unterschiede der einzelnen Ortsteile erklärt, bin ich raus. Zu meiner Verteidigung: Ich bin komplett ohne Dialekt großgeworden, ich behaupte, dass ich in Goslar reines Hochdeutsch gelernt habe.
Die reinste Form des Hochdeutsches
Die Hannoveraner werden bestimmt etwas Anderes sagen, denn sie sind der Ansicht, dass nur sie die reinste Form der Standardsprache gebrauchen. Gut, manchmal ertappe ich mich dabei, dass ich anstelle von Geburtstag „Gebortstag“ sage und bei mir die Birne schon einmal zur „Börne“ wird. Diese Lautverschiebungen sind aber alles. Eigens gebildete Wörter haben wir in Goslar nicht. Deswegen bin ich mit Abweichungen vom Hochdeutschen nicht vertraut. Trotzdem war ich neugierig, einige neue Wörter und vielleicht sogar Sätze zu lernen.
Anke Althaus-Aderhold hat zum Erklären ihre Plakate und Postkarten dabei. Im Wörter-Wirrwarr versuche ich, Begriffe zu finden, die ich mir herleiten kann. So einfach ist das nur selten. Manchmal sind nur einzelne Buchstaben anders, wie beim Wort Brieweträjer, so dass ich schnell weiß, dass es sich um einen Briefträger handeln muss. „Bei einigen ist es so gut wie unmöglich“, stimmt mir Althaus-Aderhold zu. So wie bei dem Wort Ilme, bei dem ich sofort an den Fluss bei Hannover denke. Aber nein, der ist nicht gemeint. Ilme steht im Wittgensteiner Platt für Feuersalamander.
Beim Lesen der Begriffe fällt mir auf, dass viele Buchstaben, die im Hochdeutschen eher selten vorkommen, hier umso mehr verbreitet sind. Dabei meine ich vor allem das W, J und Z. Konsonanten sind gefühlt willkürlich aneinander gereiht, so dass nur beim Gedanken an das Wort ein Knoten in meiner Zunge entsteht.
Als ich versuche, Wörter einfach nur abzulesen, weist mich Althaus-Aderhold auf einen Fehler hin. „Es bringt nichts, den Dialekt nur mit Büchern oder Plakaten zu lernen. Man braucht schon jemanden, der das sprechen kann, um es nachzumachen“, sagt sie. Nur so könne ich die genaue Aussprache und die Melodie verinnerlichen. Ich frage meine Lehrerin nach theoretischen Regeln des Dialektes, so nach dem Motto, „der Buchstabe wird so ausgesprochen und der so“. Aber das ist nicht so leicht, denn in verschiedenen Kombinationen werden die einzelnen Buchstaben immer anders ausgesprochen. Manchmal lassen sich auch einige Parallelen zum Französischen finden. Mein großes Latinum bringt mir hier leider nichts.
Das klingt wie eine Fantasiesprache
Für mich klingt das Wittjestener Platt immer noch wie eine Fantasiesprache. Einige Wörter sind so abgehoben, dass ich manchmal bezweifle, dass die überhaupt jemand kennt oder verwendet. Als ich mich aber in der Redaktion umhöre, erfahre ich, dass viele der Begriffe tatsächlich geläufig sind, auch wenn meine Kollegen nicht zu jedem eine Übersetzung parat haben. Aber das ist ja auch nicht schlimm, denn zu Althaus-Aderholds Plakaten gibt es passende Übersetzungen, die den Betrachtern zur Seite stehen, wenn sie mit ihrem Platt am Ende sind.
Meine Lieblingsbegriffe
1. Wemm best Dü da?
So begrüßen sich Menschen, die sich noch nicht kennen. Mit diesem Satz kann ich mein Gegenüber dazu auffordern, mir seine Lebensgeschichte zu erzählen. Die Frage deckt unter anderem Informationen über die Herkunft, die Familie und den Gemütszustand ab.
2. Schitzegebrirrer ageträre:
Schützenbrüder angetreten. Die Wortkombination klingt beeindruckend, wenn es Einheimische aus Wittgenstein sagen. Wenn ich versuche es nachzusprechen, klingt es eher danach, als ob ich Schmerzen hätte. Bis in vier Wochen in Goslar eins der größten Schützenfeste Niedersachsens anfängt, habe ich aber noch etwas Zeit zu üben.
3. Läbbsch
Fades, nicht gewürztes Essen. Eine meiner großen Leidenschaften ist das Essen: Also muss ich dem Koch ja auch gleich auf Wittgensteinisch eine Rückmeldung geben können. Außerdem gefällt mir der Klang so gut, dass ich mir vorstellen kann, das Wort auch in andere Bereiche zu übertragen. Der Tag ist läbbsch oder mir ist läbbsch. Ob das aber richtig ist, weiß ich gar nicht...
4. Liwwer fer sood net leje, als fer Hunger net schloofe!
Lieber vollgefuttert im Bett liegen, als vor Hunger nicht schlafen können. Da haben wir auch schon wieder mein Lieblingsthema: Essen. Diese Redewendung könnte auch glatt zu einem Lebensmotto von mir werden, denn wer möchte denn schon hungrig ins Bett gehen?
5. Blolabbt
Stellenweise blauer Himmel. Wenn wir nicht wissen, worüber wir uns unterhalten sollen, dann am besten übers Wetter – auch wenn es abgedroschen klingt, tun wir es trotzdem immer wieder. Blolabbt steht sinnbildlich für blaue Lappen, die den Himmel bedecken. Kreativ, oder?
6. Es äss, wie’s äss!
Sieh den Tatsachen ins Auge! Dabei handelt es sich um den ersten Artikel des Wittgensteiner Landrechts, der sich auch gut in andere Regionen übertragen lässt.
7. Hückelgeschläckertse
Froschlaich: Das ist ein Wort, dass ich auf Hochdeutsch eigentlich noch nie gebraucht habe. Aber wissen ist besser als brauchen. Ich freue mich schon darauf, meine GZ-Kollegen raten zu lassen, worum es sich bei diesem Wort handelt.
8. Zügelöfene
Diesen Status habe ich in Bad Berleburg noch nicht erreicht. Ich war ja nur für eine Woche zu Besuch hier. Aber sag niemals nie, vielleicht bin ich ja irgendwann eine Zügelöfene.