Bad Berleburg. . Michael Weißleder und Sofia Trapp sind Orthopädietechniker im Sanitätshaus Kienzle. Sie schätzen die Mischung aus Idealismus und Handwerk.
„Das Schöne an dem Beruf ist, dass er das Handwerkliche mit dem Idealistischen verbindet. Man kann den Menschen helfen.“ Kurz und knapp beschreibt Michael Weißleder (53) seine Tätigkeit als Orthopädietechniker-Meister beim Sanitätshaus Kienzle. Der Beruf beinhalte ein vielfältiges Aufgabenspektrum, das nicht nur in der Werkstatt stattfinde.
Denn während die Mitarbeiter Kundenkontakt haben, seien sie auch häufig Seelentröster. Weißleder erklärt: „Die Kunden erzählen von ihrem Krankheitsverlauf oder ihrem Unfall. Wir hören zu und sind auch ein Stück weit Psychologen.“ Entsprechend groß seien am Ende Wertschätzung und Dankbarkeit, wenn „man einen Menschen mit Handicap wieder ans Laufen bekommt“.
Der technischer Fortschritt
Von Prothesen aus Holz über Carbon-Prothesen bis hin zu mikroprozessorgesteuerten Kniegelenken hat der 53-Jährige schon mit vielen verschiedenen Materialien gearbeitet und einen „erheblichen Fortschritt“ in den letzten Jahrzehnten miterlebt.
„Es hat sich extrem viel geändert – zum Vorteil der Betroffenen“, sagt Weißleder. Ein Beispiel: Für Schuheinlagen werden mittlerweile digitale Abdrücke gemacht, deren Messwerte in der CNC-Fräse verarbeitet werden können. Die direkte Anpassung passiere zwar noch durch den Handwerker, aber die Arbeit sei in vielen Bereichen schneller und effizienter geworden.
Auch für Orthesen und Prothesen sei eine Form des digitalen Ausmessens möglich, erklärt der Orthopädietechniker-Meister. Das funktioniere dann ähnlich wie mit einem 3D-Drucker: In vielen Bildern wird das entsprechende Körperteil gescannt und ein originalgetreues Modell angefertigt. Neben dieser Vermessungsart arbeitet das Team auch noch nach der klassisch handwerklichen Methode.
Eine Mitarbeiterin des Sanitätshauses betritt die Werkstatträume. Sie sagt, dass ein Kunde im Nebenraum sitze und eine neue Orthese brauche. Doch damit diese angefertigt werden kann, muss Weißleder erst einen neuen Gipsabdruck von dem Bein des Kunden machen. „Der Herr hatte vor zwölf Jahren einen Schlaganfall“, erklärt er. Dies sei seitdem bereits seine dritte neurologische Orthese. „Sie sind zwar sehr langlebig, aber wenn man sie jeden Tag trägt, braucht man eben irgendwann eine neue.“
Der Gipsabdruck
Gezielt sucht Weißleder alles zusammen, was er für den Gipsabdruck braucht und bringt die Utensilien in den Nebenraum: einen Eimer mit Wasser, drei Gipsbinden, einen Lederriemen, ein Nylonsöckchen, ein Handtuch, eine weiße Plane und eine oszillierende (Anm. Red.: schwingende) Gipssäge mit einem runden, flachen Kopf.
Er breitet die Plane unter den Füßen des Kunden aus. Dieser sitzt auf einem Stuhl, hat bereits Schuh und Strumpf ausgezogen und sein linkes Hosenbein hochgekrempelt. Weißleder zieht das Nylonsöckchen über das Bein, um „ihn nicht zu epilieren“. Darüber legt er entlang des Schienbeins den Lederriemen, der später beim Entfernen des Gipses helfen soll. Dann geht es los. Er tunkt die erste Gipsbinde in den Eimer und beginnt damit, sie um den Fuß und die Wade des Kunden zu wickeln.
„Der Gips muss gleichmäßig dick aufgetragen werden“, erklärt er. Eine Binde nach der anderen wickelt er rasch und routiniert um das Bein. Nach wenigen Minuten ist der Gips bereits trocken und Weißleder sägt mit der kleinen Säge vorsichtig von oben nach unten entlang des Lederriemens, um das Gipsnegativ wieder zu entfernen.
„Diesen Beruf wird es immer geben.“
Im Sanitätshaus Kienzle fertigen die Orthopädietechniker Prothesen, Orthesen, Bandagen, Korsetts und Rumpfprothesen an.
Der Unterschied zwischen Orthesen und Prothesen: Orthesen stützen, Prothesen ersetzen eine (Teil-)Extremität.
Die Ausbildung dauert insgesamt drei Jahre.
Wie in vielen anderen Bereichen zeichnet sich auch in diesem Handwerk ein Fachkräfte-Mangel ab. Trapp und Weißleder sind sich sicher, dass dies ein Job mit Perspektive ist.
„Diesen Beruf wird es immer geben. Denn Menschen, die auf unsere Arbeit angewiesen sind, wird es immer geben“, sagt der Orthopädietechniker-Meister.
„Man darf nicht zu lange warten, sonst wird es schwer, den Gips runter zu kriegen“, weiß der Orthopädietechniker-Meister. In weiteren Arbeitsschritten wird der Gipsnegativ wieder verschlossen und mit Gips gefüllt, so dass eine originalgetreue Nachbildung des Fußes, das so genannte Gipspositiv, entsteht.
Der Traumjob
Nebenan in einem der Werkstatträume steht Orthopädietechnikerin Sofia Trapp (24) vor einem großen Ofen – 170 Grad Celsius steht auf der Anzeige. Sie schiebt eine Kunststoffplatte in den Ofen. „Was hier hinten gemacht wird, weiß eigentlich keiner“, erzählt sie. Der Beruf sei ihrer Meinung nach sehr vielseitig, aber leider viel zu unbekannt.
„Die Mischung aus sozialen Aspekten, Medizin und Handwerk macht die Orthopädietechnik für mich zum Traumjob“, ergänzt sie. Nach einem Praktikum beim Sanitätshaus Kienzle entschied die 24-Jährige vor sieben Jahren, hier ihre Ausbildung zu machen.
Wenige Minuten später überprüft sie den Kunststoff im Ofen: „Wenn er durchsichtig ist, kann ich ihn mit der Folie in Karbonoptik einfärben.“ Die Kunden können entscheiden, ob ihre maßangefertigten Orthesen durchsichtig, hautfarben oder eine andere Optik – wie in diesem Fall Karbon – haben sollen. „Es soll schließlich schön aussehen“, sagt Weißleder, der für den nächsten Arbeitsschritt die Türe hereinkommt.
Die Maßanfertigung
Auf einer Werkbank klemmt an einer Eisenstange eine Gipsnachbildung von einem Fuß. Die eingefärbte Kunststoffplatte ist mittlerweile so weich, dass sie in Teamwork von Trapp und Weißleder mit eingeübten Handgriffen über das Modell gezogen werden kann – dies muss schnell geschehen, bevor der Kunststoff wieder erhärtet.
Ein Schlauch geht von der Metallstange, die in dem Gips verankert ist, zu einem brummenden Gerät. „Das ist eine Vakuumpumpe“, erklärt der Orthopädietechniker-Meister. Durch den Unterdruck wird der Kunststoff wie eine zweite Haut an das Gipsmodell gezogen, damit die Orthese dem Kunden exakt passt.
Sechs Stunden dauert es, bis der Kunststoff wieder vollständig erhärtet ist und der letzte Feinschliff sowie die exakte Anpassung am Kunden stattfinden kann. Wenn dann alles passt, sind auch die Orthopädietechniker zufrieden – und die Arbeit beginnt mit dem nächsten Auftrag wieder von vorne.
Alle weiteren Folgen der Serie „Handwerk in Wittgenstein“ gibt es hier.