Wittgenstein. . Wir haben mit der Ausländerbehörde und den drei Kommunen gesprochen und uns bei Wirtschaft und Berufskolleg umgehört.

Was bedeutet der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union für Wittgenstein? Die stärksten Veränderungen werden die britischen Staatsbürger zu spüren bekommen. Aber auch die Deutschen werden von einer geringeren Freizügigkeit, Reise- und Handelseinschränkungen etwas mitbekommen. Die Redaktion hat sich zum Thema Brexit umgehört.

107 britische Staatsbürger

leben aktuell im Kreis Siegen-Wittgenstein, berichtet eine Sprecherin der Kreisverwaltung. Im Kreishaus bleibt man wegen der geringen Zahl an Betroffenen gelassen, was mögliche Auswirkungen zum Aufenthaltsrecht der dann „Nicht-EU-Ausländer“ angeht: „Da lediglich 107 Personen mit britischer Staatsangehörigkeit gemeldet sind, wird hier derzeit weiter abgewartet, bis eine endgültige Entscheidung in Sachen Brexit ergangen ist. Aufgrund der relativ geringen Anzahl an Briten im Kreis Siegen-Wittgenstein dürfte eine Bearbeitung von Anträgen auf Aufenthaltsgenehmigungen im vom Bundes-Innenministerium angesteuerten Übergangszeitraum von drei Monaten möglich sein.“

9 britische Staatsbürger leben aktuell in Bad Berleburg.

24 britische Staatsangehörige leben in Bad Laasphe

Die Stadt Bad Laasphe schreibt diese Menschen mit Pass aus Großbritannien nicht eigens wegen des Brexits an. Aber, so Monika Treude vom Standesamt der Stadt Bad Laasphe, wie alle EU-Bürger werden auch die britischen Staatsbürger angeschrieben und auf die bevorstehende Europawahl im Mai hingewiesen, damit sie sich rechtzeitig in ein Wählerverzeichnis eintragen können. „Wenn der Brexit zum 29. März kommt, wären die britischen Staatsbürger aber nicht mehr wahlberechtigt“, so Treude.

11 britische Staatsangehörige leben in Erndtebrück

Die Edergemeinde hat damit gemessen an der Gesamtbevölkerung den größten Anteil an Briten in Wittgenstein.

Das sagt die Wirtschaft

Professionelle Gelassenheit zeichnet die Unternehmerschaft in Wittgenstein aus.

„Wir sehen das mit einem lachenden und einem weinenden Auge, weil auch wir eine ganze Menge Geschäfte in Großbritannien machen. Der Brexit ist bedauerlich für den Zusammenhalt Europas. Wirtschaftlich gesehen ist er eher eine logistische Herausforderung. Wir sehen das am Beispiel Schweiz. Auch dort hat es ewig Schlagbäume und Abkommen gegeben. Das wird auch im Falle des Brexits mit England so kommen.“

Dirk Pöppel, Berleburger Schaumstoffwerk (BSW). Der Hersteller von Sportböden und Schutzmatten und Schwingungsisolierungen verfügt über weltweite Handelsbeziehungen.

Innenministerium bemüht sich um Lösungen

Im Aufenthaltsrecht plant das Bundesinnenministerium (BMI) zum Zeitpunkt des Austritts freizügigkeitsberechtigt in Deutschland lebende Briten und ihre Familienangehörigen vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels für drei Monate durch Ministerverordnung des BMI ohne Zustimmung des Bundesrates zu befreien (§ 99 Abs. 4 AufenthG).

Eine Verlängerung der Frist ist mit Zustimmung des Bundesrates möglich. Zugleich soll die Verordnung den Arbeitsmarktzugang und eine Antragsstellung im Inland ermöglichen.

Das BMI rechnet mit einer kurzfristigen Umsetzung der Ministerverordnung, so dass ein Inkrafttreten zum Austrittsdatum gewährleistet sei soll. Für den weiteren Aufenthalt nach Ende der Übergangszeit benötigen britische Bürger einen Aufenthaltstitel für Drittstaatsangehörige.

Zu den Wittgensteiner Unternehmen, die eine Produktionsstätte in England unterhalten, zählt auch das Erndtebrücker Eisenwerk. Der Hersteller von Spezialrohren verfügt seit 2014 über einen Produktionsstandort im Nordosten Englands am Fluss Tee. EEW Offshore Structures produziert dort Röhren für Windkraftanlagen. Doch was der Brexit für das Geschäft bedeuten könnte, dazu hält sich das Erndtebrücker Eisenwerk auf Nachfrage bedeckt. Noch viel zu viel am Brexit und seinen möglichen Folgen sei unklar, heißt es aus der Firmenzentrale.

Ein weiteres prominentes Unternehmen mit Produktionsstandort in Großbritannien ist die AST-Kunststoffverarbeitung GmbH. Die Erndtebrücker besitzen seit 2012 ein Werk in Wrexham in Nord Wales, das vor allem für den britischen Markt produziert und laut Verkaufsleiter Henrik Zepp sehr gut ausgelastet ist. Dort werden vielseitig verwendbare Kunststoffbehälter zum Beispiel für den Transport von Lebensmitteln oder Chemikalien hergestellt. Eine Herausforderung wird der Brexit, weil der Rohstoff HDPE nach Großbritannien importiert werden müsse. Auf diesen Import und auch auf die Waren-Exporte der AST-Kunden könnten sich Handelsbeschränkungen und Zölle auswirken. Aber in Wrexham sei man vorbereitet, habe die Rohstofflager gefüllt und könne abwarten, so Zepp. Er rechnet damit, dass sich auch nach einem Brexit vieles wieder normalisieren werde.
„Es wird sich alles regeln. Weder Großbritannien, noch die EU haben ein Interesse daran sich zu isolieren.“

Hendrik Zepp, Verkaufsleiter bei AST-Kunststoffverarbeitung GmbH.

„Wir schauen sehr genau auf die vielen Baustellen in dieser Welt, natürlich auch mit Sorge, weil EJOT in der globalisierten Welt unterwegs ist, und es immer wieder Entwicklungen gibt, die uns auch unmittelbar betreffen. Die Lage in Großbritannien ist deshalb so schwierig, weil niemand weiß, was die Briten wirklich wollen und es keinen Plan gibt, auf den man sich einstellen kann. Insofern warten wir ab, wie viele andere auch. Letztendlich stehen wir im Hinblick auf die Problemstellung als EJOT aber nicht an erster Front. Was kommen wird, ist erhöhter Bürokratieaufwand z.B. bei der Abwicklung von Zollformalitäten – das wird man hinbekommen. Man wird sich auch Vorgänge in der Logistik ansehen, mit geänderter Lagerbevorratung.“

Andreas Wolf, EJOT. Der Verbindungselemente-Hersteller produziert Lösungen für die Automobil- und Bauindustrie.

Erasmus-Praktika

Der bevorstehende Brexit betrifft auch das Berufskolleg Wittgenstein in Bad Berleburg, das im Rahmen des Erasmus-Programms Auslandspraktika für den „Europass Mobilität“ anbieten. Elf angehende Industriekaufleute waren im Herbst 2018 für drei Wochen zu einem Praktikumsaufenthalt in London. Das BKW hat sich aber bereits informiert: Eine Fortführung der Erasmus+-Praktika ist sichergestellt. Falls London als Prakti­kumsort wegen des Brexits nicht mehr in Frage kommt, ist ein Ausweichen auf Dublin möglich. Denn auch dort besteht mit dem ADC College London, dem Partner des BKW, eine Kooperation. Für das im Herbst 2019 geplante Prak­tikum kann man sich noch bis zum 1. März anmelden.