Bad Berleburg. . Journalistik-Student Jan Lukas Winter aus Bad Berleburg versucht mit seinem Dokumentarfilm „Hier“ Klischees und Vorurteile aufzubrechen.

„Syrien ist ein wunderschönes Land. Jetzt ist es leider kaputt. Das war vorher nicht so. Vorher war es – super.“ Manars Blick geht zu Boden. Dann schaut er wieder in die Kamera. Sein Lächeln wirkt angestrengt. Manar ist zu diesem Zeitpunkt 18 Jahre alt und lebt seit fast zwei Jahren in Deutschland. Er und sein Freund Esmail mussten ihre Heimat Syrien verlassen, flohen für ein besseres Leben nach Europa und landeten schließlich in Dortmund. Ihre Familien sitzen bis heute in dem vom Bürgerkrieg traumatisierten Land fest. Manar und Esmail sprechen darüber, was es heißt, Abschied zu nehmen und in einem Land anzukommen, das darüber diskutiert, ob Fremde überhaupt willkommen sind. Jan Lukas Winter (26) aus Bad Berleburg hat mit Manar und Esmail gesprochen statt über sie; und ihnen die Möglichkeit gegeben, ihre Geschichte auch anderen Menschen zugänglich zu machen. Das Ergebnis ist „Hier“: ein 50-minütiger Dokumentarfilm, den Winter im Rahmen seines Journalistik-Studiums an der TU Dortmund produziert hat. Für Winter ist der Film aber mehr als nur seine Abschlussarbeit. „Ich wünsche mir, dass die Zuschauer ins Nachdenken kommen und in den Dialog treten. Dass eine Auseinandersetzung mit dem Thema Migration stattfindet und sich die Zuschauer basierend auf den Erzählungen von Manar und Esmail eine Meinung bilden – egal, wie diese ausfällt.“

A wie Ansichten.

Jan Lukas Winter (26) hat im Rahmen seiner Abschlussarbeit an der TU Dortmund den Dokumentarfilm
Jan Lukas Winter (26) hat im Rahmen seiner Abschlussarbeit an der TU Dortmund den Dokumentarfilm "Hier" produziert, in dem er zwei Flüchtlinge aus Syrien porträtiert. © Britta Prasse

Zwischen der ersten Idee zum Film bis zur Kino-Premiere in Dortmund sind fast zwei Jahre vergangen. Als Winter im Dezember 2016 von seinem Auslandsemester in Australien zurückkehrt, merkt er, dass sich etwas verändert hat in Deutschland. Der terroristische Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz ist erst ein paar Tage her, die Willkommens-Kultur scheint Risse bekommen zu haben. Die öffentliche Debatte über Flüchtlinge ist aufgeheizt. „Selbst aus meinem Umfeld habe ich Kommentare gehört, die mich erschrocken haben. Von Leuten, von denen ich das nie gedacht hätte“, erzählt Winter. Das seien vor allem Ansichten gewesen, die unreflektiert übernommen wurden, sei es von Social-Media-Plattformen oder von Sätzen, die man eben auf der Straße so aufgeschnappt habe. „Das hat mir letztendlich den Impuls für den Film gegeben. Ich wollte dokumentieren – nicht bewerten. So verstehe ich meine Rolle als Journalist“, sagt Winter. Gerade in der „Krisenzeit“ 2015/2016 sei ihm aufgefallen, dass die mediale Berichterstattung über Flüchtlinge stattgefunden habe – nicht aber mit ihnen.

U wie ungewiss.

„Hier“ war für Winter ein Experiment. Ein Versuch, von dem er nicht wusste, ob er gelingen würde. „Ich hatte zwar ein Thema, aber ich habe den Verlauf bewusst offen gehalten.“ Ob er einen Protagonist hat, zwei oder mehrere Personen zu Wort kommen lässt, das war ihm zum Projektstart noch nicht klar. „Ich hatte Vereine und ehrenamtliche Helfer in der Flüchtlingsarbeit angefragt, ob sie mir Kontakte vermitteln können von Leuten, die bereit wären vor der Kamera über ihre Geschichte zu sprechen“, erinnert sich Winter. Das sei vor allem deswegen schwierig gewesen, weil die Geflüchteten einerseits wieder ihre traumatischen Erlebnisse vor Augen geführt bekommen, andererseits haben viele von ihnen bereits schlechte Erfahrungen mit Journalisten gemacht.

T wie totale Kontrolle.

Kommende Vorstellungen

„Hier“ wird am heutigen Samstag ab 18 Uhr im Capitol-Kino-Center in Bad Berleburg gezeigt. Der Eintritt kostet 4 Euro.

Am Dienstag, 26. Februar, wird der Film in der Aula des JAG in der 5. und 6. Schulstunde vorgeführt.

Und am Samstag, 9. März, wird der Film auch im Kino Babylon in Hagen zu sehen sein.

Über den Dortmunder Verein „Projekt Ankommen“ lernte Winter schließlich Manar und Esmail kennen. Über drei Monate traf er sich regelmäßig mit den beiden syrischen Männern, um sie besser kennenzulernen. Er begleitete sie beim Bus fahren, beim Fußball spielen oder in die Bibliothek. Er sammelte zunächst nur Eindrücke, ohne Kamera und Aufnahmegerät. Schließlich erklärten sich Manar und Esmail bereit, ihre Geschichte vor der Kamera zu erzählen. „Und auch dann habe ich ihnen nochmal Bedenkzeit gegeben“, meint Winter. „Ich wollte sichergehen, dass sie verstehen, welche Auswirkungen eine Veröffentlichung für sie haben kann.“ Manar und Esmail sollen zu jeder Zeit die Kontrolle über ihre Geschichte haben. So wird zum Beispiel nie erwähnt, woher die beiden genau aus Syrien stammen; gleichzeitig war es Winter wichtig, dass „Hier“ auch nie auf kostenlosen Videoplattformen wie YouTube verfügbar oder auf DVD erhältlich sein wird.

O wie ohne Vergleich.

Manar in der Bibliothek
Manar in der Bibliothek © Privat

„Manar und Esmail erzählen nicht dramatisch, ihnen laufen auch keine Tränen über die Wangen. Aber man hängt an ihren Lippen, man hört ihnen aufmerksam zu“, sagt Winter. Die Erzählung widerspreche den gängigen Seherfahrungen aus Film und Fernsehen. Die Interviewszenen dauern zum Teil mehrere Minuten, Parallelmontagen gibt es nicht. „Ich hatte erst Bedenken, ob der Film so funktioniert – aber er tut’s.“ In dieser Woche wurde der Film bereits den Oberstufenschülern der Kreuztaler Gesamtschule gezeigt. 50 Minuten lang Stille.

R wie Ruhe.

Auch wenn die Dreharbeiten mit Manar und Esmail längst abgeschlossen sind, steht Winter mit den beiden noch immer im engen Kontakt. „Manar macht zum Beispiel gerade Abitur und hat gefragt, ob ich mal über die ein oder andere Bewerbung schauen kann, um sie Korrektur zu lesen“, erzählt Winter. Manar möchte danach studieren, sich eine berufliche Zukunft aufbauen. „Mein Vater hat viel für uns gemacht – und deswegen muss ich jetzt gut sein“, sagt Manar gegen Ende des Films. Er habe Hoffnung, dass morgen ein besserer Tag sei; dass er dafür aber auch arbeiten muss. Sein Lächeln wirkt zuversichtlich.

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