Bad Berleburg. . Jens Steinhoff stellt das neue Entwicklungskonzept vor: Die Wohn- und Aufenthaltsqualität „im Viertel“ soll erhalten und verbessert werden.
Diplom-Agraringenieur Jens Steinhoff vom Institut für Regionalmanagement und Mitglied im Team der Leader-Region Wittgenstein hat den Berleburger Politikern das Entwicklungskonzept für die Stadt der Dörfer präsentiert. Wir haben nachgehört.
Stadtentwicklung und Dorferneuerung – was muss man sich darunter vorstellen?
Jens Steinhoff: Beide Begriffe werden durch einen Gewohnheitsausdruck sehr passend erklärt: „bei uns im Viertel“. Im Grundsatz geht es ja darum, dass Menschen ihr Zuhause auch immer durch die Umgebung definieren, in der sie wohnen, sich nachbarschaftlich treffen, einkaufen oder den Arbeitsplatz haben. Das gemeinsame Ziel von Stadtentwicklung und Dorferneuerung ist es dabei, Wohn- und Aufenthaltsqualität „im Viertel“ zu erhalten oder zu verbessern. Dabei kann es sich um jüngere Ortsteile oder um Dörfer mit alter Bebauung handeln. Bekanntermaßen wirkt sich der demografische Wandel durch die Alterung der Bevölkerung auf alle Lebensbereiche aus, das heißt auf Wohnsituation, Versorgungsmöglichkeiten, Mobilität, Arbeiten oder auch Freizeit.
Wie kann man darauf reagieren?
Da die Menschen vor Ort natürlich selber am besten wissen, welche Veränderungen in „ihrem Viertel“ in den nächsten Jahren Not tun, werden weitere Planungen für die Stadtentwicklung und die Dorferneuerung mit den Bürgern aufgestellt. Die Planungen sind sozusagen „der rote Faden“ für die Weiterentwicklung in der Stadt und den Ortsteilen. In Bad Berleburg sind sie zusammengefasst in dem „Leitbild 2030“, das ja mit breiter öffentlicher Beteiligung aufgestellt worden ist. Ebenso bilden die Planungen die Grundlage für öffentliche Förderungen von Maßnahmen, so z.B. in Bad Berleburg zur Modernisierung öffentlicher Bürgereinrichtungen, zur Verbesserung von Fußwegen, Dorfplätzen und Spielplätzen oder zur Umgestaltung von ehemaligen Schulen.
Bad Berleburg war im Jahr 2011 Vorreiter in der Bürgerbeteiligung zum Leitbild. Welche der da entwickelten Ideen und Anregungen sind in den Prozess bislang eingeflossen?
Viele Ideen, welche der Leitbildprozess zusammen mit der Bürgerschaft ergeben hat, sind bereits durch konkrete Maßnahmen aufgegriffen worden. Dabei stehen wichtige Themenfelder des Leitbildes von Bad Berleburg im Mittelpunkt. Einige Aktivitäten neben vielen anderen möchte ich exemplarisch nennen, die für alle Ortsteile in Bad Berleburg von großer Bedeutung sind: Die Initiative zur Fachkräftesicherung mit dem Projekt Standortpaten ist ein modellhaftes Beispiel.
Können Sie das kurz erläutern?
Die Stadt als Maßnahmenträgerin kooperiert hier mit Klinikeinrichtungen und weiteren Partnern und beschäftigt seit Herbst 2018 zudem zwei Fachkräfte in der Verwaltung, die das Standortpatennetzwerk aufbauen. Dabei wird das Standortpatenprojekt mit öffentlichen Fördermitteln aus dem LEADER-Prozess der Region Wittgenstein unterstützt. Ein weiteres Beispiel ist der Aufbau von nachhaltigen Strategien und Umsetzungslösungen zur Digitalisierung auf der öffentlichen und privaten Ebene. Auch dieses Thema spielt eine zentrale Rolle in dem Leitbildprozess der Stadt Bad Berleburg. Um die Entwicklung in Bad Berleburg voranzubringen, muss das Thema Digitalisierung vor Ort entwickelt werden. Daher hat die Stadt zusammen mit dem Forschungskolleg Siegen eine Fachkraft eingesetzt, die zur Hälfte bei der Stadtverwaltung angesiedelt ist.
Eine Ihrer Aufgaben ist es, Fördermittel zu generieren. Ist das wie Klinkenputzen?
Hier kommt es nach meiner Erfahrung besonders darauf an, ob die Förderung an eine öffentliche Stelle geht, in der Regel an die Kommune, oder an private Stellen, z.B. an Vereine. Ein erhebliches Problem ist der zunehmende bürokratische Aufwand, der mit Förderungen verbunden ist. Hier beklagen nicht nur Kommunen, mit ihren Personalmöglichkeiten häufig an Grenzen zu stoßen. Die meisten Privaten sehen sich gar nicht in der Lage, die umfangreiche Verwaltungsarbeit aus eigener Kraft zu stemmen, die ein Förderantrag mit sich bringt. Natürlich hilft es nichts, wieder den Zustand aus den 80er Jahren zu wünschen, als Förderformalitäten in der Regel mit wenigen Seiten erledigt waren. Denn gesetzliche Standards sind ja zurecht erhöht worden, um z.B. ordnungsgemäße Verwendung von Fördermitteln oder Beachtung von Umweltschutz und Verkehrssicherheit gewährleisten zu können. Aber die Bürokratie in der Förderverwaltung droht überhand zu nehmen, und deshalb hat zum Beispiel das Land NRW den Bürokratieabbau zur Chefsache gemacht. In einer Kommune wie Bad Berleburg kommen Entlastungen durch Bürokratieabbau nach meiner Erfahrung aber noch nicht an.
Mit welcher Konsequenz?
Daraus ergibt sich eine Schieflage: der Umfang von Förderprogrammen von EU, Bund, Land und anderen Stellen für ländliche Kommunen nimmt weiter zu, aber hohe bürokratische Hürden führen dazu, dass für viele notwendige Investitionen Förderungen nicht gezielt eingesetzt werden können. Dieses Problem betrifft in besonderem Maße die aktiven Vereine und anderen bürgerschaftlichen Organisationen auch in der Region Wittgenstein.
Wie kann man da die Menschen mitnehmen?
Viele stehen der Teilnahme an Förderprogrammen skeptisch gegenüber, denn es braucht heute in der Regel einen langen Atem, bis beantragte Fördermittel dann auch tatsächlich fließen. Für private Antragsteller ist es daher sehr wichtig, von den Verwaltungen und den Förderbehörden mit Rat und Tat unterstützt zu werden. Idealerweise stehen den Betroffenen vor Ort weitere Fachleute als Förderlotsen zur Verfügung, die dabei helfen können, die „Fördermittel-PS auf die Straße zu bringen“. Solche Fachleute sind beispielsweise in Planungsbüros mit Erfahrung zu finden, und in der Region Wittgenstein auch in den Ansprechpartnern im Regionalmanagement der LEADER-Region Wittgenstein. Also nicht den Kopf in den Sand stecken!
Gibt es bereits Schwerpunkte bei etwaigen Fördergebieten?
Ein Schwerpunkt betrifft den Kernort, beispielsweise durch Verbesserung von fußläufigen Verbindungen zwischen Unterstadt und Oberstadt, sowie durch weitere Aufwertung der historischen Altstadt, beispielsweise Verbesserung der Fußgängerfreundlichkeit und des Parkraummanagements oder Unterstützung von Eigentümern von historischen Gebäuden bei notwendigen Modernisierungen. Ein weiterer Schwerpunkt des Städtebauförderkonzeptes betrifft die Ausrichtung auf die Gesamtstadt, indem alle Ortsteile mit Funktionen als Versorgungsschwerpunkte auch als Fördergebiete vorgesehen sind. Auf der Grundlage können dort beispielsweise öffentliche Bürgereinrichtungen mit Städtebaufördermitteln modernisiert werden.
Wie können Sie auf den demografischen Wandel reagieren?
Die Frage möchte ich als Erstes so beantworten: „Den demografischen Wandel darfst du nicht als Bedrohung sehen, sondern als Herausforderung zur Veränderung“. Darunter verstehe ich, dass es auf den Blick nach vorne ankommt, ohne die gewachsenen Strukturen und Werte zu vergessen. Ich halte es für besonders wichtig, junge Leute und junge Familien in der Region Wittgenstein zu halten und neu Zuziehende zu gewinnen. Das bedeutet, junge Menschen müssen bei Entscheidungen über künftige Entwicklungen in den Ortsteilen und Dörfern der Wittgensteiner Kommunen intensiv eingebunden werden.
Das Programm ist bis auf das Jahr 2030 angelegt. Wie sieht es dann in der Stadt der Dörfer aus?
Selbstverständlich kann keiner von uns aus der Glaskugel lesen. Ich gehe davon aus, dass die Bevölkerung tatsächlich „älter, kleiner und bunter“ wird, aber die Dörfer mit ihren starken Dorfgemeinschaften weiter verstehen werden, sich zu organisieren und zu bestehen. Digitalität wird in den Dörfern nach aller Voraussicht umfassend verbreitet sein im Jahr 2030. In der Gesamtbetrachtung wird Digitalität dann Mehrnutzen für die Menschen bringen zuvorderst bei der Kommunikation, der Versorgung, der Mobilität und dem Wohnkomfort.
Schlägt Ihr Herz für Bad Berleburg?
Ja, das kann ich mit Rückblick auf rund zehn Jahre beruflicher Tätigkeit für die Stadt- und Dorfentwicklung in Bad Berleburg mit Überzeugung sagen. Viele Menschen in den Ortsteilen und Dörfern habe ich mittlerweile kennen- und schätzen gelernt. Deren Wesensart finde ich absolut sympathisch, bei der Offenheit und Gradlinigkeit den Ton angibt und auch Bedächtigkeit eine Menge zählt (gegenüber dem eher Sprunghaften des rheinischen Naturells). Mich freut dabei besonders, dass in den letzten Jahren eine enge und partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Menschen aus den unterschiedlichen Gruppen der Bevölkerung entstanden ist. Besonders diese Erfahrung hat mich im Jahr 2016 auch motiviert, dem Regionalmanagement der LEADER-Region beizutreten und die Zusammenarbeit in Zukunftsprojekten für alle drei Wittgensteiner Kommunen zu unterstützen.