Bad Berleburg. . Bündnis-Grüne begrüßen den jungen Flüchtling Amed Sherwan. Mit dem Berleburger Ethnologen Dr. Felix Riedel spricht der 19-Jährige über sein Leben

Eigentlich, so erinnert sich Amed Sherwan (19) zurück, sei er ein ganz normaler Junge gewesen. Er habe Computerspiele gespielt, Freunde getroffen und sei fünf Mal am Tag in die Moschee gegangen. Als dann der scheinbar so behütete Alltag in seiner irakischen Heimatstadt entgleiste, war er gerade mal 15 Jahre alt. An jene Zeit vor fast fünf Jahren in Kurdistan erinnert sich Sherwan im Berleburger Hof – ohne eine Spur von Hass oder auch Selbstmitleid. Vielmehr ist es das Unverständnis, das ihn jahrelang so zermürbt habe.

Gastspiel unter Polizeischutz

Samstagnachmittag im Berleburger Hof an der Ederstraße: Der Bad Berleburger Ortsverband von Bündnis 90/Die Grünen hat den kurdischen Atheisten eingeladen, über sein bisheriges Leben zu erzählen. Die Woche über war Sherwan noch auf der Frankfurter Buchmesse ein gern gesehener Referent, in Berleburg wartet ein gutes Dutzend Menschen im Speisesaal des Lokals auf den Beginn des Podiumsgesprächs, das der Bad Berleburger Ethnologe Dr. Felix Riedel führt. Für das beschauliche Wittgenstein ist es ein skurriles Bild: Draußen steht ein voll besetzter Streifenwagen der örtlichen Polizei, die Tür des Saales wird sicherheitshalber abgeschlossen – für Sherwan sind diese Vorkehrungen seit nunmehr drei Jahren, in denen er in der Öffentlichkeit aktiv ist, Alltag.

Unverständnis über die Strukturen

Im Gespräch äußert Amed Sherwan sein Unverständnis über die Strukturen in seiner Heimat, die laut Bundesregierung in Berlin als eigentlich liberaler Teil des Iraks gilt – wo er selbst aber wegen eines kritischen Posts über den muslimischen Glauben auf Facebook verhaftet, gefoltert und verstoßen wurde.

Sherwans Geschichte ist in erster Linie ein Kampf für die Meinungsfreiheit, die alle Menschen etwas angeht – allerdings ebenso ein ganz persönlicher Zwist, der den damals Minderjährigen auf der Suche nach einer Heimat begleitet.

Die Einleitung übernimmt ein eingespielter Film, in dem sich Sherwan selbst über sein bisheriges Leben interviewt: Er berichtet über seine strenggläubige Familie, die ihn nach den Ereignissen an die Polizei verriet und sogar verstieß, später jedoch seine Flucht finanzierte. „Einerseits, weil ich in Erbil in Gefahr war und andererseits weil ich eine Schande war und so aus ihrem Leben gestrichen werden konnte“, erklärt Sherwan, der sich mittlerweile völlig vom muslimischen Glauben losgelöst hat.

Fast täglich Mord-Drohungen

Mit Hilfe von Schleusern kam Sherwan 2013 über die Türkei, Bulgarien und Österreich in Deutschland an, wo er in Flensburg als minderjähriger Flüchtling registriert wurde. Sherwan lebt in einem Kinderheim, wo er „etwas Deutsch“ lernt, ehe er später in einer Notunterkunft für Flüchtlinge als Übersetzer tätig ist. Doch auch in Deutschland akzeptiert nicht jeder seinen Standpunkt: Nach einem Zwischenfall mit einem Arbeitskollegen aus dem Jemen, der ihm ob seiner Ungläubigkeit drohte, den „Hals abzuschneiden“, entschließt sich Sherwan, in die Öffentlichkeit zu gehen.

Fortan hält er Vorträge, verfasst islamkritische Artikel, etwa für die Huffington Post, in Blogs – und erhält weiterhin fast täglich Mord-Drohungen. Der Besuch des Christopher Street Day in Berlin geht wegen einer Solidaritätsbekundung für muslimische Homosexuelle nur unter Polizeischutz – zu viele Muslime erachten Sherwans Aktionen als Provokation.

Kein Weg zurück in die ursprüngliche Heimat

„Wieso hast du das so provokant gemacht? Das hätte man doch auch anders machen können“, meint ein Zuhörer im Saal. „Manchmal ist es notwendig, Grenzen zu überschreiten – auch wenn sich Millionen Muslime beleidigt fühlen. Das muss in einem Land wie Deutschland doch möglich sein“, antwortet Sherwan bestimmt. Für den Kurden gibt es somit keinen Weg zurück in seine ursprüngliche Heimat, die er im übrigen sowieso „nicht vermisst“. Deutschland sei jetzt seine neue Heimat – auch wenn es selbst hier manchmal nicht so einfach ist.

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