Wittgenstein. . Drei Wittgensteiner Dörfer wurden beim Projekt „Digitale Dorf.Mitte“ der Uni Siegen als Modelldörfer ausgewählt. Digitalisierung als Chance.

Analog trifft Digital: Bei dem Forschungsprojekt „Digitale Dorf.Mitte“ sollen bestehende Dorfstrukturen mit digitalen Alltagsangeboten erweitert werden. Durchgeführt wird das Projekt vom Lehrgebiet Stadtplanung und Planungsgeschichte der Universität Siegen, das von der Stadtplanerin und Professorin Hilde Schröteler-von Brandt geleitet wird. Im Auswahlverfahren für die Umsetzung eines digitalen Treffpunkts ist die Wahl auf die drei Wittgensteiner Ortschaften Puderbach, Arfeld und Raumland gefallen. Dana Kurz, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Siegen und Projektleiterin von „Digitale Dorf.Mitte“, erklärt, worin die Chancen für digitalisierte Dörfer liegen und wie die Lebensqualität auf dem Land langfristig gesichert werden kann.

Sie werfen bei dem Projekt „Digitale Dorf.Mitte“ selbst die Frage auf, ob Digitalisierung die Abwärtsspirale aufhalten kann, in dem sich der ländliche Raum befindet. Wenn ich diese Frage an Sie zurückspiele: Würden Sie sagen, dass Digitalisierung ländliche Räume wieder attraktiver und lebenswerter machen kann?

Dana Kurz ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Siegen im Fachbereich Bildung, Architektur und Künste
Dana Kurz ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Siegen im Fachbereich Bildung, Architektur und Künste © Universität Siegen

Dana Kurz: Auf jeden Fall ist Digitalisierung eine Chance. Richtig eingesetzt, kann sie zum Beispiel helfen, Distanzen zu überwinden. Das bedeutet aber auch, dass Digitalisierung viel mehr als nur Breitbandausbau ist. Im Idealfall sollen die Menschen erkennen, wie sie die Technik in ihrem Alltag nutzen können, dass sie durch sie mehr Lebensqualität gewinnen. Das Analoge soll mit dem digitalen Angebot auch nicht abgeschafft, sondern ergänzt werden.

Wie könnte so eine Nutzung für den Dorfalltag aussehen?

Eine Überlegung ist, eine zusätzliche digitale Kommunikationsplattform zu erschaffen. Das könnte zum Beispiel so aussehen, dass Veranstaltungstermine im Dorf für Jeden auf dieser Plattform jederzeit einsehbar sind – auch für Weggezogene, die sich dem Dorf noch verbunden fühlen.

Das wäre dann eine zentrale Online-Sammelstelle, auf die jeder Zugriff hat. Damit könnten wiederum die Ehrenamtlichen entlastet werden, weil sie die Informationen an den vielen Schwarzen Brettern im Dorf nicht mehr händisch verteilen und ändern müssten.

Warum wurden gerade Puderbach, Arfeld und Raumland als Modelldörfer für das Projekt ausgewählt?

http://Wie_Technik_das_Landleben_für_Senioren_schöner_macht{esc#210871811}[news] Wir haben uns zunächst alle 53 Ortschaften in Wittgenstein angeschaut und anhand ihrer Struktur überprüft, welche Dörfer überhaupt für das Projekt in Frage kommen. Die Kernstädte waren dafür schon zu urban organisiert, bei Dörfern unter 500 Einwohnern hatten wir Zweifel, dass die Digitale Dorf.Mitte belebt genug würde. Da fiel schon mal über die Hälfte der Ortschaften aus dem Raster. Im zweiten Schritt haben wir uns die technische Infrastruktur angeschaut, ob es eine gute Mobilfunkanbindung sowie Datengeschwindigkeiten von 50 Mbit/s gibt – da blieben letztendlich nur noch acht Dörfer übrig. Die Auswahl erfolgte dann letztendlich nach qualitativen Kriterien.

Veränderung hat auch immer etwas mit Arbeit und vielleicht sogar auch Unannehmlichkeiten zu tun. Auf wie viel Akzeptanz sind Sie in den Dörfern gestoßen?

http://Projekt_Cognitive_Village-_Technik_für_und_mit_Senioren{esc#210661837}[news] Wir haben im Vorfeld mit den Bürgermeistern und den jeweiligen Ortsvorstehern gesprochen, um abschätzen zu können, welche Dorfgemeinschaft wirklich Lust auf dieses Projekt hat, wo es am ehesten auf fruchtbaren Boden stößt. Im Gegensatz zu unserem Vorgänger Projekt – „Cognitive Village“ – richtet sich die „Digitale Dorf.Mitte“ nicht nur an Senioren, sondern auch an die jungen Leute. Anfangs ist man dem Projekt vielleicht etwas zurückhaltend oder skeptisch entgegengetreten, aber den älteren Dorfbewohnern ist es schon bewusst, dass sie in manchen Lebensbereichen abgehängt sind. Wenn die Jungen den Älteren jedoch spielerisch zeigen, welche Vorteile eine digitale Plattform mit sich bringt, erwächst daraus ein starker Zusammenhalt. Wichtig ist, dass die Technik nicht als Selbstzweck verstanden wird, sondern als Werkzeug. Für die Leute wird es dann interessant, wenn es konkret wird und wenn sie den Nutzen für sich im Alltag erkennen.

Was wünschen Sie sich mit diesem Projekt zu erreichen?

Team
Team "Digitale Dorf.Mitte": Christine Schulze (links) und Prof. Hilde Schröteler-von Brandt © Universität Siegen

Natürlich soll das Leben auf dem Land ein Stück weit attraktiver gemacht werden, dass die Menschen nicht mehr das Gefühl haben, abgehängt zu sein. Eine Vision wäre, dass die jungen Leute nicht mehr abwandern, oder dass sie nach Studium oder Ausbildung wieder zurückkommen. Dass ältere, pflegebedürftige Menschen länger zu Hause bleiben können. Gerade das ist im Hinblick auf den demografischen Wandel eine große Herausforderung. Derzeit besteht in der Region Siegen-Wittgenstein noch ein 1:2-Verhältnis zwischen alten, potenziell pflegebedürftigen Menschen und jungen Menschen, die sich um sie kümmern können. Das wird in den nächsten Jahren auf ein 1:1-Verhältnis hinauslaufen, wodurch das Ehrenamt noch stärker gefragt sein wird. Wir müssen jetzt anfangen die Ehrenamtlichen zu entlasten, damit es zu keinem Zusammenbruch kommt.

Das Projekt ist insgesamt ausgelegt auf 2 ½ Jahre, in der eine digitale Dorfstruktur aufgebaut werden soll. Wie soll es nach Projektende weitergehen?

Team
Team "Digitale Dorf.Mitte": Dana Kurz (links) und Marina Schürmann © Universität Siegen

In der Projektphase möchten wir unter anderem Techniknutzer-Cafés aufbauen, in denen es einen Austausch zwischen Jung und Alt geben soll. Außerdem möchten wir vor dem Hintergrund der Nachhaltigkeit auch ein Mentoring-System für die digitale Kommunikationsplattform etablieren, also feste Ansprechpartner haben, die die Plattform pflegen. Wir stehen zum Beispiel im guten Kontakt zu den Verantwortlichen des Projekts „Digitale Dörfer“ in Betzdorf und tauschen uns aus, wie die Umsetzung nachhaltig wirken kann. Außerdem haben wir die LEADER Region Wittgenstein und die Regionale Südwestfalen 2025 mit ihrem Schwerpunkt Digitalisierung als Kooperationspartner, wir ziehen also alle an einem Strang. Im Idealfall haben wir mit den Dörfern Puderbach, Arfeld und Raumland ein Modell erschaffen, das im Schneeballprinzip auf die ganze Region übertragen werden kann.