Haben Sie auch das Fernsehduell zwischen Merkel und Schulz am letzten Sonntag gesehen? Es war ja insgesamt weder überraschend noch aufregend. An einer Stelle aber wurde es für mich doch sehr spannend. Nach etwa einer halben Stunde nämlich passierte Folgendes: Sandra Maischberger, eine der Moderatorinnen, fragte im Anschluss an den bis dahin recht berechenbaren Austausch über Migration, Islam und dessen Verfassungskonformität: „Kurze Zwischenfrage, weil wir gerade über Religion geredet haben: Heute ist Sonntag. Ist einer von Ihnen beiden in der Kirche gewesen heute?“ Beide Kanzlerkandidaten kommen prompt aus dem Tritt fertiger, eingeübter Antworten und wirken unsicher. Frau Merkel antwortet zuerst mit einer schlichten Verneinung, Herr Schulz führt dann an, dass er nicht in der Kirche, aber auf einem Friedhof in einer Kapelle gewesen sei, wo er an seinen verstorbenen Freund Frank Schirrmacher gedacht hätte. Darauf ergänzt die Kanzlerin, sie sei gestern, an dem Todestag ihres Vaters, in der Kirche gewesen, die er mit aufgebaut habe. Als unvollständigen Satz fügt Herr Schulz noch an: „Wahrscheinlich aber im stillen Kämmerlein beide gebetet.“ Das Ganze hat keine Minute gedauert, war aber ein Paukenschlag der Irritation. Beide wirkten wie ertappt, drucksten herum, als müssten sie sich entschuldigen. Warum ist eine Antwort hier so schwer? Warum verkrampfen die beiden so dabei? Wenn sie die Frage als zu persönlich empfunden haben und als unangebracht in dieser Diskussionsrunde, hätten sie sie als gewohnte Redner ja ablehnen können. Auch eine einfache Antwort wie „Nein, der Gottesdienstbesuch ist mir nicht so wichtig“ hätte ich nicht so peinlich gefunden wie dieses Rumgeeiere. Dabei haben doch beide offensichtlich einen Glauben, von dem sie erzählen können. Er scheint ihnen in der Trauer um Familienangehörige und Freunde und in dem Umgang mit dem Tod eine Stütze zu sein. Auch scheinen beide eine persönliche Gebetspraxis zu leben. Aber warum kann man das nicht sagen „Ich bete. Und das ist mir wichtig“? Stattdessen so ein in der Luft hängendes „Wahrscheinlich gebetet“. Die aktuelle Auseinandersetzung mit einer anderen Religion, dem Islam, stellt nicht nur in Politikerrunden die Frage nach dem eigenen Bekenntnis. Darüber zu reden, ist ja in Deutschland auch nicht verboten, wie in anderen Ländern dieser Welt wie Nordkorea, China, Somalia oder dem Iran. Da muss man dafür manchmal mit der Freiheit oder dem Leben bezahlen. Aber es scheint auch bei uns zumindest viel Überwindung zu kosten. Haben wir es uns abgewöhnt, über das zu reden, was uns in der Tiefe unseres Empfindens ausmacht? Wieso ist es so peinlich über die eigene Gottesbeziehung zu reden? Auch wenn ich mir als Pfarrerin natürlich hier manch fröhliches Bekenntnis wünsche, brauche ich keine schnellen Antworten und will ich schon gar keine abgewägten Richtigkeiten, die uns für das Umfeld wählbar halten. Unerträglich finde ich aber diese Sprachlosigkeit oder das ausweichende Gestammel. Gerne mag ich darüber diskutieren, wie Glauben verstanden wird, von mir aus auch, ob der Gottesdienstbesuch dazu gehört oder nicht. Aber gar nicht darüber zu reden, das geht für mich nicht. Deshalb kurze Schlussfrage, weil wir gerade über den Kirchgang der Kanzlerkandidaten geredet haben: Gehen Sie morgen in den Gottesdienst? Claudia Latzel-Binder, Pfarrerin in Bad Berleburg
Haben Sie auch das Fernsehduell zwischen Merkel und Schulz am letzten Sonntag gesehen? Es war ja insgesamt weder überraschend noch aufregend. An einer Stelle aber wurde es für mich doch sehr spannend. Nach etwa einer halben Stunde nämlich passierte Folgendes: Sandra Maischberger, eine der Moderatorinnen, fragte im Anschluss an den bis dahin recht berechenbaren Austausch über Migration, Islam und dessen Verfassungskonformität: „Kurze Zwischenfrage, weil wir gerade über Religion geredet haben: Heute ist Sonntag. Ist einer von Ihnen beiden in der Kirche gewesen heute?“ Beide Kanzlerkandidaten kommen prompt aus dem Tritt fertiger, eingeübter Antworten und wirken unsicher.
Frau Merkel antwortet zuerst mit einer schlichten Verneinung, Herr Schulz führt dann an, dass er nicht in der Kirche, aber auf einem Friedhof in einer Kapelle gewesen sei, wo er an seinen verstorbenen Freund Frank Schirrmacher gedacht hätte. Darauf ergänzt die Kanzlerin, sie sei gestern, an dem Todestag ihres Vaters, in der Kirche gewesen, die er mit aufgebaut habe. Als unvollständigen Satz fügt Herr Schulz noch an: „Wahrscheinlich aber im stillen Kämmerlein beide gebetet.“
Das Ganze hat keine Minute gedauert, war aber ein Paukenschlag der Irritation. Beide wirkten wie ertappt, drucksten herum, als müssten sie sich entschuldigen. Warum ist eine Antwort hier so schwer? Warum verkrampfen die beiden so dabei? Wenn sie die Frage als zu persönlich empfunden haben und als unangebracht in dieser Diskussionsrunde, hätten sie sie als gewohnte Redner ja ablehnen können. Auch eine einfache Antwort wie „Nein, der Gottesdienstbesuch ist mir nicht so wichtig“ hätte ich nicht so peinlich gefunden wie dieses Rumgeeiere. Dabei haben doch beide offensichtlich einen Glauben, von dem sie erzählen können. Er scheint ihnen in der Trauer um Familienangehörige und Freunde und in dem Umgang mit dem Tod eine Stütze zu sein. Auch scheinen beide eine persönliche Gebetspraxis zu leben. Aber warum kann man das nicht sagen „Ich bete. Und das ist mir wichtig“? Stattdessen so ein in der Luft hängendes „Wahrscheinlich gebetet“.
Die aktuelle Auseinandersetzung mit einer anderen Religion, dem Islam, stellt nicht nur in Politikerrunden die Frage nach dem eigenen Bekenntnis. Darüber zu reden, ist ja in Deutschland auch nicht verboten, wie in anderen Ländern dieser Welt wie Nordkorea, China, Somalia oder dem Iran. Da muss man dafür manchmal mit der Freiheit oder dem Leben bezahlen. Aber es scheint auch bei uns zumindest viel Überwindung zu kosten. Haben wir es uns abgewöhnt, über das zu reden, was uns in der Tiefe unseres Empfindens ausmacht? Wieso ist es so peinlich über die eigene Gottesbeziehung zu reden?
Auch wenn ich mir als Pfarrerin natürlich hier manch fröhliches Bekenntnis wünsche, brauche ich keine schnellen Antworten und will ich schon gar keine abgewägten Richtigkeiten, die uns für das Umfeld wählbar halten. Unerträglich finde ich aber diese Sprachlosigkeit oder das ausweichende Gestammel. Gerne mag ich darüber diskutieren, wie Glauben verstanden wird, von mir aus auch, ob der Gottesdienstbesuch dazu gehört oder nicht.
Aber gar nicht darüber zu reden, das geht für mich nicht. Deshalb kurze Schlussfrage, weil wir gerade über den Kirchgang der Kanzlerkandidaten geredet haben: Gehen Sie morgen in den Gottesdienst? Claudia Latzel-Binder, Pfarrerin in Bad Berleburg