Bad Laasphe. . Amerikanische Jugendliche schlagen Camp in Schloss Wittgenstein auf - und bekommen einen Crash-Kurs in deutscher Kultur und Politik.

  • 49 junge Stipendiaten aus den USA bereiten sich auf Schloss Wittgenstein auf Deutschland vor
  • Die Themen in den Seminarwochen reichten von deutscher Kultur über Politik bis zu Klischees
  • Zehn Monate können die Jugendlichen dank Patenschaftsprogramm Deutschland erkunden

Vor einem Jahr hat Griffin fleißig Klinken geputzt. Der amerikanische Präsidentschaftswahlkampf neigte sich dem Höhepunkt zu und Griffin war mit seinen 16 Jahren schon mittendrin: als Wahlkampf-Helfer der Demokratischen Partei. „Ich zog von Tür zu Tür, um die Leute davon zu überzeugen, für Hillary Clinton zu stimmen“, berichtet der Jugendliche aus Kentucky.

Ein Jahr nach dem harten Wahlkampf erlebt Griffin erneut eine aufregende Zeit mit vielen neuen Eindrücken: Griffin hat über das Parlamentarische Patenschafts-Programm (PPP) ein Deutschland-Stipendium erhalten – gemeinsam mit 48 weiteren amerikanischen Jugendlichen zwischen 15 und 18 Jahren. Zehn Monate lang werden sie Bekanntschaft mit Land und Leuten machen, sie werden in Gastfamilien leben und deutsche Schulen besuchen. Auf Schloss Wittgenstein in Bad Laasphe absolvierten die Stipendiaten ein vierwöchiges Seminar zur Vorbereitung auf den Alltag in Deutschland. Offiziell begrüßt wurden sie im Laaspher Rathaus von Bürgermeister Dr. Torsten Spillmann. Am Wochenende zogen die Jugendlichen – verteilt über ganz Deutschland – bei ihren Gastfamilien ein.

Das Camp

Vormittags Unterricht, nachmittags Freizeit oder Aktivitäten mit den Betreuern – so sah für die Stipendiaten der Tagesablauf während des Vorbereitungsseminars aus, das von den Beteiligten auch als „Camp“ bezeichnet wird. Deutsch als Fremdsprache (DaF) sowie deutsche Geschichte und Politik waren zwei Unterrichtschwerpunkte, die ein vom PPP engagiertes sechsköpfiges Lehrerteam mit den Jugendlichen behandelte. Und auch interkulturelle Bildung kam in dem „Camp“ nicht zu kurz: Teils spielerisch wurden Klischees thematisiert und hinterfragt – nach dem Motto „Break Stereotypes“ („mit Stereotypen brechen“). Darüber hinaus stand eine Unterrichtseinheit zum Thema Umwelt auf dem Programm, in der die Amerikaner unter anderem mit dem deutschen Mülltrennsystem vertraut gemacht werden.

Die Deutschkenntnisse der Stipendiaten variierten stark. Deshalb wurden verschiedene Kurse gebildet: Für Anfänger, für Fortgeschrittene in unterschiedlichen Stufen und auch für diejenigen, die die deutsche Sprache schon fast fließend beherrschten. Nachmittags erkundeten die Jugendlichen Bad Laasphe oder kamen zu Aktivitäten mit ihren Betreuern („Teamern“) zusammen: Elf jungen Erwachsenen, die sich ehrenamtlich für

Organisation sucht Gastfamilien

Wer Stipendiaten aufnehmen möchte, kann sich mit der Geschäftsstelle von Experiment e.V. in Bonn in Verbindung setzen, 0228/957220, E-Mail: gastfreundlich@experiment-ev.de.

Weitere Infos im Internet: www.experiment-ev.de. Neben vier PPP-Teilnehmern suchen momentan noch 20 weitere Austauschjugendliche aus anderen internationalen Austauschprogrammen, an denen Experiment e.V. mitwirkt, eine dauerhafte Gastfamilie.

die Austausch-Organisation „Experiment e.V.“ engagieren und selbst Austausch-Erfahrungen haben. Sie arbeiteten eng mit den DaF-Lehrkräften zusammen, organisierten Spiele mit den Jugendlichen und unternahmen eine Menge.

Ein Ausflugsziel war Marburg. Die Stadt hat mit ihrem historischen Charme vielfach einen tiefen Eindruck bei den jungen Amerikanern hinterlassen. Überhaupt gibt es unter den Stipendiaten ein verbreitetes Faible für Historisches. Beispielsweise beschreibt es die 16-jährige Keagan aus Tennessee als interessantes Erlebnis, in einem Schloss zu wohnen. Sie freut sich darauf, in ihrer Gastfamilie in Flensburg das Reiten zu lernen.

Die Erwartungen

Die mit dem Stipendium verbundenen Pläne und Erwartungen der Jugendlichen sind völlig unterschiedlich. Die 16-jährige Adriana aus North Carolina hofft, dass ihr das Stipendium dabei hilft, eine „Weltbürgerin“ zu werden. Cyrus (17), ebenfalls aus North Carolina, erhofft sich viele kulturelle Einblicke. Er will „Erfahrungen sammeln“, „Deutschland sehen“, aber zunächst einmal in seiner Gastfamilie ankommen. Die lebt in Heppenheim – „da, wo dieser Rennfahrer herkommt.“

Kultur hat auch für Hailey (16) einen ganz hohen Stellenwert. Sie kommt ebenfalls aus North Carolina. Hellauf begeistert ist sie von der Stadt Marburg – wie auch die gleichaltrige Erin aus Alabama. Für Erin bedeutet das Stipendium eine Rückkehr in ein Land, in dem sie einen Teil ihrer bisherigen Jugend verbracht hat: Im Alter von zwölf bis 14 Jahren lebte sie im Landkreis Esslingen/Baden-Württemberg, wo ihr Vater als Angehöriger der Air Force stationiert war. Aus dieser Zeit erwuchs eine Sehnsucht: „Ich wollte nochmal nach Deutschland und Europa kommen“, sagt Erin.

Jetzt, nach ihrer Rückkehr, falle ihr auf, dass ihr Deutsch schon mal besser gewesen sei. „Es ist schon sehr komisch, wie schnell man eine Sprache vergisst.“ Weil sie bislang vor allem den Süden Deutschlands gesehen hat, will Erin diesmal verstärkt den Norden kennenlernen. Später möchte sie vielleicht in Bremen studieren. Die Uni dort sei prädestiniert für das Fach Meeresbiologie – seit ihrem achten Lebensjahr weiß Erin, dass die Ozeane ihr Arbeitsplatz sein sollen.

Die Politik

Viele in der Stipendiaten-Gruppe sind politisch interessiert. Immer wieder zeigt sich, dass den Jugendlichen Umweltschutz und Energiewende besonders am Herzen liegen. Themen, die auch ihr Interesse an der deutschen Politik ausmachen. Die deutsche Umwelt- und Energiepolitik wird von den Stipendiaten vielfach als fortschrittlich wahrgenommen – zumal in Zeiten der Präsidentschaft Donald Trumps, der sich von den Klimazielen seines Amtsvorgängers Barack Obama verabschiedet hat. Griffin, der bekennende Anhänger der Demokraten, bezeichnet Umweltschutz und Klimawandel als „die wichtigsten politischen Themen für mich.“

Nicht alle politisch interessierten Stipendiaten sind so klar auf eine Partei festgelegt wie Griffin. Und es spricht auch nicht jeder so offen über Politik – was nicht zuletzt daran liegt, dass die Stipendiaten als junge Botschafter der politischen und kulturellen Werte ihres Landes gelten. Die eigene Meinung und zugleich ein Land vertreten, kann ein Spannungsfeld sein – auch für Jugendliche. Griffin geht es unverkrampft an: Politische Standpunkte macht er auf eine lockere Art kenntlich. Im vergangenen Jahr musste Griffin schwere Niederlagen seiner Partei miterleben: Weder gelang es den Demokraten, den Republikanern die Mehrheit im Senat abzunehmen, noch konnte sich Hillary Clinton gegen den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump durchsetzen; Trump siegte auch in Griffins Heimat Kentucky. Den Willen, etwas zu bewirken, hat Griffin über diese Enttäuschungen hinweg beibehalten: Er möchte einmal im Außenministerium arbeiten. Mehr über die deutsche Politik zu erfahren, ist sein Ziel für die nächsten zehn Monate. Er schätzt das deutsche Parteiensystem: In den USA gebe es mit den Demokraten und den Republikanern nur zwei große Parteien; dagegen sei die deutsche Parteienlandschaft deutlich vielfältiger: „Hier hat man mehr Optionen“, sagt Griffin.

Die Interessen

Auch der 18-jährige Dalton kann sich eine spätere Tätigkeit im Außenministerium gut vorstellen. Er kommt ebenfalls aus Kentucky und hat Deutschland schon bei seiner Ankunft als ein sehr vielfältiges Land wahrgenommen – kulturell vielfältiger als seine Heimat Kentucky, wie er sagt. Er stelle aber nicht nur Unterschiede fest, vieles sei eben doch „sehr ähnlich“ – eine Sicht, die auch die 18-jährige Carolina aus Virginia teilt. Sie hat gerade die High School beendet, möchte kulturelle Erfahrungen sammeln und die deutsche Sprache lernen. Auch Carolina gibt sich als politisch interessiert zu erkennen; die deutsch-amerikanischen Beziehungen sind ihr wichtig. Ihr politisches Interesse resultiere schon aus der Nähe ihrer Heimatstadt Fairfax zur Hauptstadt Washington (circa 20 Meilen), sagt sie.

Politisch etwas weniger interessiert ist der 18-Jährige Jacob aus West Virginia. „Ich interessiere mich mehr für Kultur und Sprachen als für Politik“, sagt er – und hofft gleichwohl, „noch ein bisschen mehr über Politik zu lernen.“ Denn trotz seines nachrangigen Politikinteresses reizt ihn eine spätere Tätigkeit als Diplomat. Wie für Carolina ist das Stipendium für Jacob ein sogenanntes „Gap Year“: ein Jahr zwischen zwei Lebensabschnitten. Jacob hat jetzt ebenfalls den High School-Abschluss in der Tasche und möchte nach seinem Deutschland-Aufenthalt in Yale studieren – voraussichtlich Informatik. Ganz sicher ist er sich aber noch nicht. Für seine Zeit in Deutschland hat er sich jedenfalls vorgenommen, an einem Tanzkurs teilzunehmen. Und er will viel schwimmen – „weil ich in meinem Dorf Rettungsschwimmer bin.“ Deutsch spricht er schon fast fließend – dank einer Brieffreundschaft, einer Sprach-App und zweier „echter deutscher Freunde“, die er an der High School kennen lernte.