Jüdisches Leben in Westfalen - Einladung zur Spurensuche
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Bad Berleburg. . Ein Handbuch, an dem 150 Autoren in 270 Artikeln die Geschichte der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen-Lippe zusammengetragen haben.
15 Jahre sind eine lange Zeit. Aber gemessen an der Spanne, in der jüdisches Leben und dessen Kultur seit dem Mittelalter Spuren in Westfalen hinterlassen hat, doch eine recht kurze Zeit. Die Historische Kommission für Westfalen hat diese anderthalb Jahrzehnte genutzt, um intensiv zu forschen. Das Ergebnis ist ein Handbuch, an dem 150 Autoren in 270 Artikeln die Geschichte der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen-Lippe zusammengetragen haben. Dieses Buch wurde am Mittwochabend im ehemaligen Landratsamt Wittgenstein in Bad Berleburg der Öffentlichkeit vorgestellt.
Das Buch soll nicht nur Nachschlagewerk sein, es soll laut Prof. Dr. Wilfried Reininghaus auch Ausgangspunkt für weitere intensive lokale Forschungen sein: „Auf diese Weise wird sich die Möglichkeit eröffnen, das Wissen über die Leistungen und Bedeutung der Juden und ihrer Gemeinschaften dauerhaft im kulturellen Gedächtnis von Westfalen Lippe zu verankern.“
Ab 17. Jahrhundert in Wittgenstein
Der Bad Berleburger Historiker Dr. Johannes Burkardt hat mitgewirkt an dem Band. In seinem Vortrag erinnert er an die Anfänge jüdischen Lebens in Wittgenstein, dass sich Anfangs des 17. Jahrhunderts nachweisen lässt. Die ersten Juden kommen 1635 aus Hessen nach Laasphe. 1640 leben Juden in Berleburg, 1685 in Feudingen und 1768 in Erndtebrück. Aber, das macht Burkardt deutlich, sie machen auch zur Hochzeit jüdischen Lebens in Wittgenstein, Mitte des 18. Jahrhunderts, nur etwas mehr als ein Prozent der Bevölkerung aus. Bemerkenswert hoch war der Anteil in Elsoff, dort waren 20 Prozent der um 1800 etwa 320 Einwohner zählenden Bevölkerung Juden. Aber das ist die Ausnahme.
Jüdisches Leben in Wittgenstein
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Sicher abseits des 30-jährigen Kriegs
Die Juden waren in Wittgenstein anfänglich den gleichen Repressalien ausgesetzt wie andernorts. Sie mussten Aufnahmegelder an die Grafenhäuser zahlen und jährliche Schutzgelder entrichten. Dennoch war das Leben in Wittgenstein am Rande des 30-Jährigen Krieges sicherer als andernorts. Zunehmend normalisierte sich das Zusammenleben von Christen und Juden. Assimilation und Integration sind die Stichworte.
Elsoff ist ein wichtiger Ort für die jüdische Geschichte in Westfalen
In Elsoff war einst die zweitgrößte jüdische Gemeinde in Westfalen ansässig. 20 Prozent der Elsoffer gehörten dieser Glaubensgemeinschaft an. Der Anteil war so hoch wie an kaum einem anderen Ort, weiß der Historiker Prof. Wilfried Reininghaus. Im heute beschaulichen Berleburger Ortsteil Elsoff gibt es noch immer einige – aber eben meist versteckte – Zeugnisse dieser Zeit. Das weiß der Vorsitzende des Heimatvereins, Georg Braun. Er führte eine kleine Schar von Wissbegierigen auf den jüdischen Friedhof, einen von zweien im Stadtgebiet, und berichtet auch von den halbrunden Fenstern, die in einem Wohnhaus verbaut sind. Sie gehörte einmal zum jüdischen Gebetsraum im Dorf. Die Exkursion führt von der Ortsmitte auch vorbei an „Rechels“-Haus, das seinen Namen von Rachel Holländer hat. Die jüdische Familie Holländer lebte noch bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts dort.
Vorschlaghämmer wüten 1938
Auf dem jüdischen Friedhof, der am Hang des Heiligenberges liegt, fanden laut Braun etwa 200 Menschen ihre letzte Ruhe. Heute steht dieser Ort unter Denkmalschutz und gehört ebenso wie der Berleburger Friedhof der jüdischen Kultusgemeinde Dortmund. Grabsteine erinnern noch heute an Familien wie die Holländers, die Honys oder die Sterns. Das letzte jüdische Begräbnis fand hier laut Braun im Jahr 1937 statt. In den Kriegsjahren 1942 wurden – allerdings sehr wahrscheinlich ohne rituelle Handlungen – zuletzt jüdische Frauen bestattet.
Ein Stein, der von Veronika Hony, ist Sinnbild der Barbarei. Das Grabmal wurde wie viele in der Reichspogromnacht 1938 von SA-Männern mit Vorschlaghämmern geschändet. Heute liegt der Friedhof wieder ruhig und versteckt da. Aber während sich nur wenige Christen hierhin verirren, kommen immer mehr Juden aus den USA und Kanada auf Spurensuche hierher.
Das gemeinsame Vereinsleben bei Schützen oder im Sport, der gemeinsame Kriegsdienst, die Freiwillige Feuerwehr, sie alle fördern das Miteinander, das dann mit der Naziherrschaft jäh abbricht. Das für seine religiöse Toleranz gepriesene Ländchen beweist mit dem auch von Wittgensteinern unterstützen Rassenwahn, „wie groß die Schere zwischen Toleranz und Menschenverachtung an ein und der selben Stelle aufgehen kann.[...] Werte wie Toleranz sind fragil, sie müssen gepflegt und notfalls verteidigt werden“, formuliert Burkardt die Lehre daraus.
Vor 75 Jahren wurden die letzten Wittgensteiner Juden deportiert. Mit Julius Goldschmidt kam nur einer dauerhaft nach Berleburg zurück. Dennoch gibt es über die Friedhöfe, Häuser, Stolpersteine und Straßenschilder hinaus viele Zeugnisse ihrer Kultur. Und mit den Namen Emil Wolff, der als ausgewanderter Kaufmann aus New York seine Heimat beispielhaft unterstützte, gibt es auch viele bedeutende, positive Zeugnisse. Wolff ist unter anderem einer der Finanziers des ersten Kreiskrankenhauses in Wittgenstein gewesen und somit über die Auswanderung hinaus eng mit seiner Heimat verflochten.
Das im Ardey Verlag erschienene „Historische Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe“ ist im Buchhandel erhältlich: ISBN 978-3-87023-284-9, Preis: 79 Euro.
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