Siegen-Wittgenstein. . Zu spät, zu langsam, zu unzuverlässig? Ein Selbstversuch mit der RB 93 von Siegen nach Wittgenstein. Drei Wochen lang, hin und zurück.
- Experiment „Pendeln extrem“: Drei Wochen ausschließlich mit der RB93
- Am langsamsten geht’s durch Erndtebrück
- Fazit: langsamer und teurer als mit dem Auto
„Und wie willst du das machen ohne Auto?“ – Die Kollegen sind skeptisch. Herausforderung angenommen. Die Aufgabe: Pendeln mit der Bahn, drei Wochen lang. Zwischendurch mal das Auto nehmen ist nicht erlaubt. Es geht von Siegen nach Bad Berleburg und zurück, fünf Tage die Woche, plus einen Sonntagsdienst. „Ehrgeizig“, sagen die einen, „verrückt“ sagen die anderen. Die Schauergeschichten reißen nicht ab: zu spät, zu langsam, zu unzuverlässig, zu nichts zu gebrauchen. Das Experiment „Pendeln Extrem“ beginnt.
Der erste Schlag kommt auf der Homepage der ZWS: der Preis. Ein Wochenticket kostet 60,50 Euro, Preisstufe 5. Immerhin spart man im Vergleich zu den Einzeltickets 34,50 Euro – pro Strecke kostet es nämlich 9,50 Euro. Für drei Wochentickets zahle ich 181,50 Euro. Vielleicht trotzdem eine günstigere Variante als Autofahren?
Nein. Drei Wochen Autofahrt von Siegen nach Bad Berleburg und zurück kosten 110,88 Euro (bei einem Benzinpreis von 1,40 Euro und durchschnittlichem Verbrauch von 5,5 Litern).
Zwischenfazit
Langsamer und teurer: Bis hierhin bietet die Bahn keine attraktive Alternative zum Auto. Vielleicht liegen die Vorteile ja hinter den piependen Automatiktüren. Also: einsteigen, losfahren, überraschen lassen.
Ein Beispieltag
>>> HINFAHRT
7.59 Uhr: Zwei Stufen auf ein Mal, los, schnell! Der nächste kommt erst wieder in einer Stunde! Mit Schweiß auf der Stirn und leicht keuchend komme ich auf Gleis 2 an – gerade noch pünktlich. Nur...der Zug nicht. Die Ansage: „RB 93 Richtung Bad Berleburg – Abfahrt 7.59 Uhr. Heute voraussichtlich 5 Minuten später.“ Okay, durchatmen.
8.05 Uhr: Der Zug rollt ein. Die Wartenden positionieren sich mittig vor der Tür. Wer aussteigen möchte, muss erst mal einen Slalom um die Einsteigwilligen machen. Die Deutschen werden es nie lernen. Aber immerhin kann man sich den Sitzplatz aussuchen.
8.23 Uhr: „Nächster Halt: Kredenbach. Dies ist ein Bedarfshalt. Zum aussteigen, bitte Haltewunschtaste drücken.“ Keiner steigt aus, keiner steigt ein. Trotzdem bleibt die Bahn für etwa zwei Minuten stehen. Muss man nicht verstehen.
9.01 Uhr: Wir werden langsamer und langsamer. Am Erndtebrücker Eisenwerk drosselt die Bahn ihr Tempo auf Zeitlupe, auf der parallel verlaufenden B 62 ziehen Autos und Lkws an uns vorbei. Irgendwie...macht das nervös. Und ungeduldig.
9.12 Uhr: Dieses Tuten! Unrhythmisch, unmelodisch, unschön. Vor allem bei unbeschrankten Bahnübergängen wie bei Aue-Wingeshausen trötet der Lokführer in einer Tour. Also: Kopfhörer auf, Musik an!
9.29 Uhr: Ankunft in Bad Berleburg. Naja, nicht ganz pünktlich, aber kein Grund zum Aufregen. Außerdem ist Berleburg ja Endstation, von hier geht’s zur Fuß in die Redaktion. „Mit dir hätte ich noch nicht gerechnet“, meint der Kollege. Ich wünsche dir auch einen guten Morgen!
>>> RÜCKFAHRT
18.20 Uhr: Die Ausgabe ist noch nicht ganz fertig, trotzdem ist für mich Feierabend. Der letzte Zug kommt in neun Minuten. Ich könnte auch eine Stunde später fahren – dann allerdings mit drei Mal umsteigen, in Erndtebrück, Marburg und Gießen. Nach dreieinhalb Stunden würde ich in Siegen ankommen. Äh – nein! Also schnell zusammenpacken, Treppen ‘runter sprinten und ab zum Bahnhof.
18.29 Uhr: Der Zug kommt doch nicht – beziehungsweise später. Die drei älteren Damen neben mir am Gleis nehmen es gelassen: „Nur fünf Minuten Verspätung? Das verzeihen wir ihnen!“ Ob sie auch nach Siegen müssen?
18.49 Uhr: Müssen sie nicht. Sie steigen in Aue-Wingeshausen wieder aus. Zeit zu lesen.
19.01 Uhr: Wir tuckern wieder, dazu dieses markerschütternde Hupen, das aus dem Halbschlaf reißt. Autos überholen uns, wir liefern uns ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit einem Trecker. Die Tacho-App auf dem Handy zeigt: 24 km/h! Läuft Usain Bolt nicht irgendwas mit 40 km/h...?
19.38 Uhr: Stillstand in Hilchenbach. Seit knapp zehn Minuten. Keine Durchsage, wir stehen. Einfach so. Die paar Fahrgäste – zehn oder elf? – starren entweder auf ihr Handy oder blättern die Seite ihres Buches um. Scheint niemanden zu stören. Einfach akzeptieren und – warten.
20.11 Uhr: An der Ziellinie. „Bitte alle Fahrgäste aussteigen!“ Um die Uhrzeit endet der Zug in Siegen. Elf Minuten später als geplant. Aber man ist ja dankbar, dass es nur anderthalb Stunden gedauert hat – und nicht dreieinhalb Stunden.