Wittgenstein/Detmold. . Im Westfälischen Freilichtmuseum Detmold warten Wittgensteiner Höfe, Scheunen und Bienenhäuser auf den Wiederaufbau. Wurden sie vergessen?
- Gebäude schon vor über 53 Jahren abgebaut
- Zwei Bienenhäuser zählen zu historischen Raritäten der Region
- Wiederaufbau scheitert an Kosten und politischem Willen
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) betreibt in Detmold das größte Freilichtmuseum Deutschlands. Auf einer Fläche von über 90 Hektar sind dort mehr als 100 historische Gebäude aus ganz Westfalen nach dem Abbau an ihren ursprünglichen Standorten im original Zustand wieder aufgebaut worden. Ganz Westfalen?
„Nein, nicht ganz Westfalen“, räumt der für die LWL-Forschung verantwortliche Bauhistoriker Dr. Hubertus Michels ein und muss im Gespräch mit der Wittgensteiner Heimatzeitung zugeben: „Bis heute ist es uns nicht gelungen, die bei uns eingelagerten vier Gebäude aus Wittgenstein wieder zu errichten.“ Das sei mit Kostengründen verbunden, sei eine Frage der Prioritäten und hänge nicht zuletzt vom politischen Willen in der Region ab.
Alte Fachwerkbalken in Detmold luftig aufgestapelt
So lagern die Balken und baulichen Reste vier Gebäude aus Wittgenstein auf einer Freifläche des Museumsgeländes. Dr. Michels: „Die Bauten liegen luftig aufgestapelt unter Planen, sind mit Metallplaketten nummeriert und kommen auf manchmal bis zu 200 einzelnen Holzteilen.“ Geordnet sind diese Teile nach speziellen Nummern-Plänen, die es ermöglichen, die Gebäude liegend aufzumessen.
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Auf Anfrage der Westfalenpost verrät der Bauhistoriker, welche in Wittgenstein weitgehend vergessene Häuser im Lipperland seit Jahrzehnten auf ihren Ausbau warten. Es sind Hof Weiland (Pete), Peteweg in Girkhausen – dazu eine gegenüberliegende Scheune des Hofes; das Wohnhaus Baetzel, Brunnenweg in Feudingen, das Bienenhaus vom Hof Dreisbach in Rinthe sowie das Bienenhaus vom Hof Schediwy Balde.
Das Bienenhaus aus der Balde ist bereits im Jahr 1963 abgebaut und nach Detmold transportiert worden. Was wäre, wenn sich heute der ursprüngliche Besitzer oder ein Heimatverein dafür interessieren und einen Wiederaufbau am alten Platz (oder in der Nähe) beantragen würden? LWL-Pressesprecher Markus Fischer winkt ab. „Wir hüten diese Exponate wie einen Augapfel. An solche Originale ist ja nirgends mehr dranzukommen.“
Wiederaufbau der Relikte aus Wittgenstein eine Kostenfrage
Die Gebäude seien eben deshalb ins Museum gekommen, weil dort zum Dorfplan „Siegerländer Weiler“ (ehemaliges Dorf Obernau) eine Baugruppe „Wittgensteiner Hof“ entstehen solle. Seinerzeit habe das Westfälische Museum für Volkskunde „pro Objekt zwischen 500 und 800 Mark“ bezahlt. Hinzugekommen seien Kosten für die Ausstattung im Originalzustand sowie der jeweilige Abbau und der Transport nach Detmold.
„Eine Translozierung kostet immer viel Geld,“ macht Dr. Michels deutlich, betont aber gleichzeitig, dass es wünschenswert wäre – falls möglich, weitere, zusätzliche Gebäude aus dem ehemaligen Wittgensteiner Landkreis in das Freilichtmuseum zu holen.
„Hatte das Haus überhaupt schon Strom?“
Wie dort ein etwaiger Wiederaufbau erfolgen kann, umreißt der Bauhistoriker so: „Beim Abbau der Gebäude sind Quellenforschungen betrieben und Interviews mit den Menschen vor Ort geführt worden. Auf dieser Grundlage wird eine Präsentation eines Gebäudes erstellt. Der Aufbau dauert zwei Jahre, hinzu kommt die Restaurierung des Fachwerks...“. Auch müsse die vorhandene Infrastruktur geprüft werden: „Hatte das Haus überhaupt Strom?“
Die vier Wittgensteiner Gebäude haben es übrigens geschafft, im Jahr 1985 in einem Buch Berücksichtigung zu finden. Doch leider ist „Westfälische Bauernhäuser. Vor Bagger und Raupe gerettet“ längst vergriffen.
Bienenhaus Hof Schediwy in Balde
Verhandelt, verkauft, vermessen, abgebaut und nach Detmold transportiert. Das ist dem ehemaligen Bienenhaus auf dem Hof Schediwy in der Balde innerhalb weniger Tage widerfahren.
Im Abbaubericht des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe heißt es am 7. August 1963 zu dem „vorzüglich erhaltenen“ Gebäude: „Einzelne Gefügeeinheiten blieben als Gesamtstück, zum Teil mit der Lehmflechtwerkfüllung, erhalten, um für den Wiederaufbau Zeit zu sparen und Original-Wandfüllungen zu behalten.“ Nun ja - das mit dem Zeit sparen hat bis zum heutigen Tage zu nichts geführt...
Bedauert wird das u.a. auch von Elisabeth Knebel. Sie lebt heute mit ihrem Mann Udo auf dem elterlichen Hof, der erstmals bereits im Jahr 1531 erwähnt ist und in und um Balde unter dem Hausnamen „Häcklersch“ bekannt ist.
Die Landwirtschaft und natürlich auch die Imkerei im Bienenhaus wurde auf dem Hof von Ludwig und Wilhelmine Bald, den Großeltern von Elisabeth Knebel betrieben. Dann heiratete Franz Schediwy Luise Bald und übernahm mit ihr das Anwesen.
Das trug damals die Hausnummer „Balde 3“ und lag an einem Feldweg, der in Richtung Rohrbach/Rinthe führte. Die Flurbezeichnung in dem Bereich nannte man „Herschte“, worauf sich die heutige, postalische Adresse „An der Hirste 2“ begründet. Die breite Fahrbahn der „Rinther Straße“ trennt heute praktisch das Anwesen Schediwy, denn das Backhaus auf der anderen Seite der Straße gehört ebenfalls noch zum ursprünglichen Hofgelände.
Zweimal vergeblich im Museum
Im Familienkreis, so berichten Elisabeth und Udo Knebel, werde „wie in anderen Familien auch immer mal wieder über alte Zeiten gesprochen“. Kein Wunder, denn Schwester Christa, die älteste von vier Kindern der Eheleute Schediwy, wohnt ein paar Häuser weiter. Und dann komme auch das Bienenhaus zur Sprache, vom dem Christa dann noch als Kind ein wenig weiß.
Schon zweimal ist Udo Knebel im Westfälischen Freilichtmuseum in Detmold gewesen – zuletzt 1996. „Aber jedes Mal musste ich feststellen, dass unser Bienenhaus immer noch nicht aufgebaut worden ist.“
Wenn das die Vorfahren geahnt hätten! Wer weiß, ob sie 1963 überhaupt verkauft hätten; denn Unterlagen besagen, dass der Landschaftsverband Westfalen-Lippe mehrmals zu Verhandlungen in die Balde gekommen ist. Bis die Balds und Schediwys ihr Bienenhaus samt Inventar abgegeben haben.
Bauernhaus und Scheune Weiland aus Girkhausen
Von 1710 bis zum Jahr 1965 hat er existiert – dann haben Bagger und Handwerker den Hof Weiland an der Odeborn in Girkhausen behutsam abgebaut; denn auch dieses Gebäude sollte im Freilichtmuseum Detmold wieder aufgebaut werden. Doch darauf wartet das im Volksmund als „Pete“ bekannte Haus samt einer im Peteweg benachbarten Scheune aus dem 19. Jahrhundert bis heute.
Zeitzeugin erinnert sich
Käthe Wandel, geborene Weiland, ist in dem Haus aufgewachsen, lebt heute gemeinsam mit ihrem Mann Horst nur wenige Meter neben der nicht wieder bebauten Lücke. „Ich kann mich noch genau an das Vieh und die Landwirtschaft dort erinnern“, berichtet die 82-Jährige Zeitzeugin. Sie weiß auch noch, dass damals beim Transport des Hauses nach Detmold allerhand Hausrat für das Museum mitgegeben wurde und: „Auch das Brautkleid meiner Oma Elisabeth Weiland aus der Zeit vor 1900 wird in Detmold aufbewahrt.“
n der Museumsbeschreibung des Hofes Weiland wird angeführt, dass zahlreiche Gebäude in Girkhausen in Folge der Aussiedlungsmaßnahmen abgebrochen werden. Obwohl das Haus Weiland „in den letzten Jahren im Erdgeschoss und im Innern verändert wurde“, sei es „als Typ eines wittgensteinischen Ernhauses mit Giebeleingang sehr charakteristisch und von besonderer handwerklicher Qualität“. So hat es der damalige LWL-Beauftragte Josef Schepers am 23. November 1961 bei einer Ortsbesichtigung notiert.
Zur Scheune schreibt er: Am Rande des Hofes, hoch über dem Bachufer der Odeborn, stand der vier Meter breite und 5,60 Meter lange Schuppen, der wie ein Speicher wirkt. Das Untergeschoss des Wandständerbaus nahm einst die Schafe auf, das Drempelgeschoss bis unter den First die Heuvorräte.
Der ehemalige Girkhäuser Ortsvorsteher Albrecht Sauer (†) hat sich als Wittgensteiner Heimatpfleger ebenfalls nach den in Detmold eingelagerten Gebäuden aus Wittgenstein erkundigt. Wenige Tage vor seinem Tode sagte er: „Wir sind mal da gewesen, damit endlich Bewegung in die Sache kommt. Wenn man unsere Häuser für wertvoll hält, dann müsste ein Wiederaufbau ja auch im Interesse des Landschaftsverbandes sein.“
Dem kann sich der heutige Ortsvorsteher Eberhard Lauber nur anschließen. Ebenso der Verkehrs- und Heimatverein. Immerhin ist der mit vielen Mitgliedern im vergangenen Jahr im Detmolder Museum gewesen – aber der Hof Weiland liegt ja unter Planen.
Haus Baetzel aus der Lämmergasse in Feudingen
Als „Wohnhaus Baetzel“ in Detmold archiviert ist das Haus Nr. 6 aus dem Feudinger Brunnenweg. Dort in Färje ist das Gebäude, in dem Familie Bald bis 1980 wohnte, besser als „Gordebalds“ bekannt. „Oma Bald war eine geborene Baetzel“, weiß Küsterin Angela Heinrich, die den nicht wieder bebauten, leeren Platz des Gebäudes in unmittelbarer Nachbarschaft hat.
Im Buch „Westfälische Bauernhäuser. Vor Bagger und Raupe gerettet“ (1983) heißt es zu dem um 1757 erbauten Haus: „Die Geschichte des zweigeschossigen Traufenhauses Brunnenweg 6 ist noch nicht erforscht.“
Für ein Handwerker- oder Tagelöhnerhaus spricht die geringe Grundfläche von ca. 6 mal 7 Metern. Die linke Hälfte enthält im Erdgeschoss die große Stube, darüber eine Kammer. Die rechte Haushälfte teilen sich im Erdgeschoss Flur und Küche, im Obergeschoss zwei Kammern.
Eine Inschrift von 1821 weist auf einen Umbau hin. Im späten 19. Jahrhundert wurde eine Fachwerkwand durch Backstein ersetzt. Die Untersuchung aller Decken und Wände mit zum Teil mehr als 60 Anstrichen pro Wand ergaben, dass im frühen 19. Jahrhundert beige, grau und grau-blau besonders beliebte Anstriche waren. Aber auch weiße, braune, rote und ocker-farbene Wände und Decken gab es. Das Haus Baetzel in der Lämmergasse wurde im Jahr 1980 abgebaut.
Bienenhaus vom Hof Dreisbach in Rinthe
Eines der ältesten Bauernhäuser in Wittgenstein ist das Hauptgebäude auf dem Hof Dreisbach in Rinthe. Laut Balkeninschrift über der Eingangstür ist es am 6. Mai 1692 errichtet worden. Zum Hof gehörte bis ins Jahr 1964 auch ein Bienenhaus. Es stand an einem kleinen Verbindungsweg, der zu einem, ebenfalls alten Backhaus führte. Der Bau des Bienenhauses wird im 18. Jahrhundert vermutet.
Das LWL-Museum in Detmold beschreibt das dort eingelagerte Gebäude so: „Wuchtige, überbreite Hölzer bilden das Gerüst des kleinen Bienenhauses. Es ruht auf durchlaufenden Eckständern, denen Schwellriegel zwischengezapft sind. Das einstige Strohdach ist einer Schieferdecke gewichen.“ Mit dem Bienenhaus wurde auch eine ganze Wagenladung Hausrat und Gerät für das Museum erworben, vom einfachen und geschnitzten Ochsenjoch über Haspeln, Tonkrüge bis zum kompletten Webstuhl mit zwei Inschriften.
Aufsatz im Heft „Wittgenstein“
Vier Jahre nach dem Abbau hat die Zeitschrift „Wittgenstein“ des Wittgensteiner Heimatvereins einen Aufsatz von Joachim Naumann † (Laasphe) veröffentlicht. Naumann würdigt im Nachhinein die Seltenheit des Gebäudes und kommt 1968 zu dem wohl sehr subjektiven Schluss: „Heute steht an seiner Stelle eine an Häßlichkeit kaum zu überbietende, aus Hartfaserplatten errichtete Garage“.