Bad Laasphe. . Seit 25 Jahren existiert der Freundeskreis für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Bad Laasphe. Ein Interview über Bemühungen und Erfolge.
- Christlich-jüdischer Freundeskreis arbeitet seit 25 Jahren zusammen
- „Ehrliches Aufeinanderzugehen“ ist die wichtigste Voraussetzung
- “Wer Brücken bauen will, muss beide Ufer kennen“
Der Holocaust hat auch in Wittgenstein und in Bad Laasphe viele Menschen das Leben gekostet, Familien auseinandergerissen und Überlebende zu Waisen und Heimatlosen gemacht. Seit 25 Jahren arbeitet der Freundeskreis für christlich-jüdische Zusammenarbeit gegen das Vergessen und für die Aussöhnung. Wir haben mit dem Vorsitzenden Rainer Becker und Schriftführer Heinrich Höse über das emotionale Verzeihen, das erfolgreiche Brückenbauen und die Zukunft ohne Zeitzeugen gesprochen.
Welche Bedeutung hat der Besuch aus Bad Laasphe vertriebener Juden in ihrer früheren Heimatstadt für beide Seiten?
Rainer Becker: Es hat eine enorme Bedeutung. 1988, als der damalige Bürgermeister Otto Duisberg die Überlebenden des Holocaust nach Bad Laasphe eingeladen hatte, war das Haus des Gastes gerappelt voll. Das Mitgefühl der Menschen war groß und es hat neben der Feierstunde auch noch einen Gesprächsabend gegeben.
Welche Bedeutung hat es für die Opfer und ihre Angehörigen?
Rainer Becker: Einer von denen, die 1988 nach Bad Laasphe gereist waren, Josef Gunzenhäuser, hat gesagt, ‚wir wollen heute nicht nur einen neuen Monat im jüdischen Kalender beginnen, sondern auch einen neuen Anfang zwischen uns allen machen‘. Und 1991 schrieb Lutz Alexander Präger (nicht unmittelbar verwandt mit Max Präger/d. Red.): ‘Vielen Dank für ihre Briefe über die Gründung des Freundeskreises‘. Lutz Alexander Präger war 1988 in Bad Laasphe gewesen und hatte seinem Vater Leopold darüber berichtet. Und Lutz Alexander schrieb weiter: ‚Es freut mich, dass die Stadt einen Freundeskreis gründet. Natürlich werde ich gerne Mitglied in solch einem Verein als Stellvertreter meines Vaters‘.
Hedwig Heineberg schrieb 1991 an Bürgermeister Düsberg: Ich begrüße Ihre Bemühungen, die Nazivergangenheit Deutschlands ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu stellen und danke Ihnen recht herzlich.“
Was ist Ihnen aus 25 Jahren Freundeskreis besonders positiv in Erinnerung geblieben?
Rainer Becker: An erster Stelle natürlich die persönlichen Begegnungen. Bei all den Gesprächen stand anfangs natürlich das Leid im Vordergrund, aber nachdem ich Herbert Präger besser kennen gelernt hatte, wurden auch heitere Anekdoten erzählt. Herbert Präger hat mich im wahrsten Sinne des Wortes geprägt. So sehr, dass ich bis heute im Freundeskreis mitarbeite.
Wann und wo haben Sie Herbert Präger kennen gelernt?
Rainer Becker: 1983. Herbert Präger war Jahrgang 1923 und kam 1983, 40 Jahre nach seiner Deportation, erstmalig nach Bad Laasphe zu Besuch. Wittgenstein hat ihn nie ganz losgelassen. Er war Briefmarkensammler und ihn verband eine Freundschaft mit Kurt Bätzel, ein Laaspher, der eine jüdische Mutter hatte.
Eine ganz besondere Familiengeschichte
Die Geschichte der Familie Beifus ist eine besondere. Herz Beifus war zuvor bereits verheiratet gewesen und hatte aus dieser Ehe drei Söhne (zwei Töchter). Sie wurden deportiert und getötet. Herz Beifus und seine Frau Minna wurden von den Nazis zuerst ins Konzentrationslager Theresienstadt und später ins Vernichtungslager Treblinka gebracht.
Beide starben ebenso wie die beiden Töchter, die sich in den Niederlanden in Sicherheit bringen wollten und zuletzt in Amsterdam gelebt hatten. Die Vier Söhne aus dieser Ehe überlebten den Holocaust, sahen sich aber 1988 bei dem Treffen in Bad Laasphe zu dem Otto Dü(ui)sberg eingeladen hatte zum ersten Mal nach über 40 Jahren wieder. Einer dieser Söhne ist Berthold Beifus, der nach Israel ging und sich dort Baruch Lavi nannte.
Wie baut man Brücken zwischen Menschen, die verfolgt worden sind und solchen, die Angehörigen von NS-Tätern oder Mitläufern sein können?
Rainer Becker: Da fällt mir ein Satz von Heinz Schindler ein: ‚Wer Brücken bauen will, muss beide Ufer kennen.’ Das haben wir getan und sind 1993 nach Israel gefahren. Herbert Präger war 1988 und 1992 in Bad Laasphe gewesen und hatte das Schild am Max-Präger-Weg enthüllt. Wir kannten uns also schon und ich habe ihn angerufen und von unserem geplanten Besuch erzählt. Herbert fragte nur: Wie viele seid ihr? Wir waren vier, Heinz Schindler, Helma Sauer, Lotte Stöcker und ich. Da hat Herbert gesagt, dann kommt doch zu mir. Wir waren als Freunde willkommen.
Der Holocaust darf nicht vergessen werden. Wie kann es dennoch ein Verzeihen oder eine Versöhnung geben?
Rainer Becker: Durch ehrliches Aufeinanderzugehen. Ich erinnere mich an den Gesprächsabend 1988 im Gemeindehaus. Pfarrer Kunze aus Fischelbach stand damals auf, bekannte sich zu seiner SA-Vergangenheit und zu seinem Versagen. Und er bat um Vergebung. Dann sind Herbert Präger und Simon Burg aufgestanden und haben ihm die Hand gegeben.
Sie waren mit dem Freundeskreis in Israel. Wie begegnet man den Deutschen dort?
Rainer Becker: Wir waren dort als Freunde willkommen. Wir besuchten mit Herbert Präger sogar in der Synagoge. Dort lehrte ein Rabbi mit Wurzeln in Bad Berleburg.
Heinrich Höse: Daran sieht man, dass eine gemeinsame Herkunft verbindet.
Rainer Becker: Die Wurzeln sind präsent. Minna Stein, geb. Gunzenhäuser wohnte früher in der Wasserstraße und ist als 84-Jährige noch einmal nach Bad Laasphe gekommen. Siegbert Marburger, ein in den USA lebender Laaspher Jude, hatte kein Verständnis für ihre Reise, aber Minna Stein hat gesagt: Mich zieht es hin, ich will noch einmal die Tannennadeln riechen und die Laaspher Luft atmen.
Mit Heinz Schindler, Helma Sauer und Gisela Ingrid Weissinger spielen drei Pfarrer auf Bad Laaspher Seite eine wesentliche Rolle bei der Gründung und der Fortführung des Freundeskreises. Sie – Herr Becker – sind der einzige religiöse Laie. Hat das für den Freundeskreis eine Bedeutung?
Rainer Becker: Um unsere Satzungsgemäßen Ziele zu verfolgen ist es nicht Voraussetzung Pfarrer zu sein. Aber ich habe es immer positiv gesehen. Es haben mit Manfred Dinger und Dieter Kuhli ja auch noch weitere Pfarrer im Vorstand mitgewirkt.
Heinrich Höse: Das zentrale Thema ist das Miteinander. Konfessionen spielen da keine Rolle.
Es gibt nur noch wenige Überlebende des Holocaust. Welche Rolle spielt dies für den Fortbestand des Freundeskreises?
Rainer Becker: Sicherlich werden wir sie vermissen. Seit Jahren kommen nicht mehr viele. Ruth Werth, geb. Präger, ist jetzt 96. Sie hat uns zuletzt 2013 geschrieben. Mit Fritz Hess haben wir noch Kontakt.
Heinrich Höse: Wir sind ein Verein, der für die Erinnerungskultur gegen das Vergessen arbeitet. Wir hoffen darauf, dass die Bad Laaspher Schulen sich diesem Thema stärker annähern. Wir haben sie im März angeschrieben, aber bislang keine Rückmeldung erhalten. Dabei ist das ein spannender Ansatz für einen lebendigen Unterricht. Aber wir setzen auch auf den Austausch mit den Hinterbliebenen.
Rainer Becker: Ein gutes Beispiel ist Dalia Lavi. Sie ist die Tochter von Baruch Lavi und lebt in einem Kibbuz in Israel. Ihre Großeltern hießen Herz und Minna Beifus und lebten in Laasphe. Wir haben Dalia Lavi angeschrieben. Sie hat uns alte Familienfotos für die Ausstellung geschickt und sie wird nach Bad Laasphe kommen um die Wurzeln ihrer Familie kennen zu lernen.