Bad Berleburg. . Die Hauptschule in Bad Berleburg wird erst 2017/2018 barrierefrei sein. Für die Inklusionsziele des Landes NRW wird Wittgenstein noch Jahre brauchen.

  • Davin Bruch ist mit einem offenen Rücken zur Welt gekommen
  • Der Zehnjährige ist im Alltag auf seinen Rollstuhl angewiesen
  • Hauptschule Bad Berleburg wird erst zum Schuljahr 2017/2018 barrierefrei sein

Unter leisem Brummen greifen die Radpaare die einzelnen Stufen. Die Treppensteighilfe ist im 45-Grad-Winkel nach hinten gekippt; Davin ist an diesen Balance-Akt mittlerweile gewöhnt. Der Zehnjährige sitzt auf einer gepolsterten Platte, mit der rechten Hand umklammert er die Lehne, seine linke Hand wird von seiner Integrationshelferin gehalten. „Manchmal fühle ich mich dabei nicht ganz so sicher“, gibt er zu. Allerdings ist er auf die mobile Treppensteighilfe – das Scalamobil – angewiesen. Der Schüler ist mit einem offenen Rücken zur Welt gekommen, im Alltag ist er an seinen maßgeschneiderten Rollstuhl gebunden. Was zu Hause schon eine große Herausforderung ist, nimmt an der Schule noch mal eine andere Dimension an.

„Massiver Qualifizierungsbedarf“

Stichwort: Inklusion. Bereits im Juli 2014 hat das Land NRW auf Basis der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) das „Gesetz zur Förderung kommunaler Aufwendungen für die schulische Inklusion“ beschlossen. Der aktuelle Inklusionsbericht des Kreises Siegen-Wittgenstein zeigt aber, dass es noch einen „massiven Qualifizierungsbedarf“ gibt und sich „viele Schulen beim Thema Inklusion alleingelassen fühlen“. Die Ludwig-zu-Sayn-Wittgenstein-Schule ist nur ein Beispiel von vielen; dass sowohl die Schulleitung als auch die Integrationskräfte bei der Einweisung des Scalamobils auf ein Interview lieber verzichten, zeigt, welchen emotionalen Stellenwert das Thema hat.

Im Schulalltag ist Davin auf das Scalamobil angewiesen.
Im Schulalltag ist Davin auf das Scalamobil angewiesen. © WP

In seinen ersten anderthalb Wochen als Fünftklässler wurde Davin von seiner derzeitigen Integrationskraft in den zweiten Stock zu seinem Klassenzimmer getragen. Zwei Mitschüler haben sich die Last des acht Kilo schweren Rollstuhls geteilt, treppauf und treppab. Drei Mal pro Tag, hoch und runter. Das Scalamobil ist im Vergleich dazu eine deutliche Erleichterung, schon in Davins Grundschulzeit war es täglich im Einsatz.

Vergangene Woche haben Davins Integrationskräfte und seine neue Klassenlehrerin an der Hauptschule eine Einweisung für das akkubetriebene Gerät bekommen. Seit Donnerstag ist es im Einsatz. Die Kosten für die Anschaffung hat die Krankenkasse übernommen, der Kreis hat die Anleitung für die Treppensteighilfe bezahlt. Davins Mutter, Marianne Bruch, gibt sich kämpferisch: „Ich habe durchboxen müssen, dass wir überhaupt ein Scalamobil für die Schule bekommen.“

Neue Integrationskraft ab Oktober

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Und die Frage, wie Davin mit seinem Rollstuhl überhaupt in den zweiten Stock kommen soll, war nicht die größte Belastung. Lange hat die Familie nach einer Integrationskraft gesucht, die Davin im Schulalltag zur Seite steht und auch kathetern kann, dafür also auch medizinisch ausgebildet sein muss (wir berichteten). Das Berleburger Vitus-Team hatte damals die Notsituation erkannt und Davin eine Pflegekraft für die Übergangszeit gestellt. „Dafür bin ich dem Team sehr dankbar“, sagt Marianne Bruch. Dann die erfreuliche Nachricht: Eine neue Integrationskraft aus Bad Laasphe hat sich gemeldet. Und: Sie darf sogar kathetern. „Sie lacht viel und gerne – ich denke, das wird ganz gut passen.“ Auch Davin scheint seine neue Integrationskraft, die ihn ab Oktober unterstützen wird, vom ersten Eindruck her zu mögen.

Für Marianne Bruch war der Weg oft nervenaufreibend, unzählige Telefonate hat sie mit Behörden geführt. Die schulische Inklusion in Wittgenstein muss sich noch ausformen – und das kann Jahre dauern. Für das Schuljahr 2017/2018 soll es einen Aufzug an der Hauptschule geben, mehr noch: Der ganze Gebäudekomplex soll barrierefrei sein. „Wir integrieren diese Maßnahme mit Priorität in den nächsten Haushaltsplan“, sagt Regina Linde, Sprecherin der Stadt Bad Berleburg. Unabhängig davon, ob das Land NRW zusätzliche Fördergelder für diese Baumaßnahme bewilligt: Die Barrierefreiheit ist klar kommuniziertes Ziel. „Ob alles pünktlich zum Schulstart 2017/2018 abgeschlossen ist, können wir allerdings nicht versprechen“, so Linde.