Erndtebrück. . Der Flüchtling Dilawar Ayoubi (24) aus Afghanistan kam vor mehr als zehn Monaten nach Erndtebrück. Nun erzählt er Senioren im „Klöneck“ seine Geschichte.
- Beschwerliche Reise durch acht Länder
- Von Taliban verfolgt
- Praktikum bei Autohaus in Aussicht
„Ich freu mich dick“, sprudelte es aus Dilawar Ayoubi schon heraus, bevor die eigentliche Veranstaltung überhaupt begonnen hatte. Der 24-jährige Afghane flüchtete vor knapp elf Monaten aus seiner Heimat nach Deutschland. Nun war er der mit Spannung erwartete Gast im gut gefüllten Erndtebrücker „Klöneck“, wo er vor dem wöchentlichen Seniorentreff seine aufwühlende Geschichte erzählte.
Noch vor einem Jahr war Ayoubi Student der Betriebswirtschaftslehre, arbeitete nebenbei als Buchhalter in seiner Heimatstadt Dschalalabad. Als er und sein 18-jähriger Bruder Ohmit von seinem Vater dann aber zu einer Religionsschule geschickt wurden, „um mehr über Glaube und die Menschen zu lernen“, kam der Bruder mit Taliban-Ausbildern in Kontakt. Sie wollten Ohmit zum Selbstmord-Attentäter ausbilden – ein Plan, der auch durch Dilawars Mithilfe in letzter Sekunde verhindert werden konnte.
Doch dafür zahlten die Geschwister einen hohen Preis. Plötzlich fielen Schüsse auf das Haus der Familie, einzelne Taliban-Kämpfer suchten Dilawar sogar an seiner Hochschule auf. „Es wurde überall nach uns gesucht“, erinnert er sich. Es folgte eine 44-tägige, mehr als strapaziöse Tour durch Afghanistan, Pakistan, den Iran, die Türkei, Bulgarien, Serbien, Ungarn und weite Teile der Bundesrepublik Deutschland. „Wir wurden immer wieder von Polizisten in Gewahrsam genommen und mussten Fingerabdrücke abgeben. Dies wollten wir aber nicht, weil wir Angst hatten, dass sie uns zurück nach Afghanistan schicken. Einmal habe ich starke Magenschmerzen vorgetäuscht, um weiter zu flüchten“, gibt Dilawar zu.
Zudem erzählt er von weiteren Gefangennahmen durch Taliban, Schläge von Polizisten sowie Autofahrten mit über 20 weiteren Flüchtlingen pro Gefährt. Wer an diesem heißen Mittwochnachmittag seiner Geschichte lauscht, der ist mitgerissen. Auch wenn die Erzählung zu großen Teilen noch auf Englisch vorgetragen wird. Immer wieder versucht Dilawar, deutsche Vokabeln in seine Sätze einzuwickeln. Wenn gar nichts mehr geht, unterstützt ihn Nadine Böhnert (28) mit deutschen Übersetzungen. Sie hilft ihm beim Erlernen der komplexen Sprache, und dies – wie sie betont – „völlig freiwillig“.
Schließlich führte sein Weg auf deutschem Boden über die Zwischenstationen Passau, Frankfurt, Unna und Dortmund-Wickede nach Erndtebrück. Obwohl eigentlich Schweden das Ziel seiner Flucht war, will er nun gar nicht mehr hier weg, wie er erzählt: „Es ist in Deutschland alles so anders als in meiner Heimat. Die Leute hier beachten die Menschenrechte und zeigen Respekt.“
Hinsichtlich seiner beruflichen Zukunft hat Dilawar einen Plan. So wie sein sechs Jahre jüngerer Bruder, der seinen Ausbildungsplatz nun schon in der Tasche hat, träumt er von einer Arbeit in der Auto-Branche. Nun beginnt er ein Praktikum bei einem großen Autohaus in Erndtebrück, irgendwann soll auch das abgebrochene Studium fortgesetzt werden.
„Ich hatte mich schon für BWL an der Uni Siegen beworben, doch leider ist dies ohne einen Ausweis nicht möglich“, bedauert er. Den Kontakt zur restlichen Familie in Afghanistan hält er telefonisch.
Das Wetter ist gewöhnungsbedürftig
Nach und nach gewöhnt sich der begeisterte Cricket-Spieler an die deutschen Gegebenheiten. Eine der größten Umstellungen bezieht sich auf das Wetter. „Zuhause haben wir in der Regel 45 bis 50 Grad, hier ist es meist schon sehr kalt. Und im letzten Winter habe ich zum ersten Mal in meinem Leben Schnee gesehen“, erklärt Dilawar und sorgt damit für Erheiterung im Raum.
Seine Kochkünste brachten schon einmal ein Lächeln auf viele Gesichter. Bei einer AWO-Veranstaltung zauberte er im letzten Sommer mit seinem Bruder ein besonderes Gericht. „Das sind Gewürze, die man hier sonst nicht schmeckt“, sagt einer der Zuhörer und fragt Dilawar direkt im nächsten Satz: „Wann kochst du denn mal wieder für uns?“ Dilawar lächelt. Nicht zum ersten Mal an diesem Tag.