Raumland. . Das Grubengelände in Raumland steht seit langem unter Naturschutz – und dafür gibt es gute Gründe.

In der Luft liegt ein leicht modriger Geruch, der Boden unter den Füßen ist vom Regen so aufgeweicht, dass sich der Schlamm unter den Schuhsohlen zur Seite wegdrückt. Die Gruppe wandert langsam die Blockschutthalde am Grubengelände Hörre hoch, das schwül-warme Wetter erschwert den Aufstieg ein wenig. Vorneweg geht Michael Frede von der Biologischen Station Siegen-Wittgenstein und hält am „Schlangenhügel“ an. Schlingnattern soll es hier geben – heute haben sich die Reptilien allerdings zwischen den brüchigen Schieferplatten verkrochen.

Im hohen Gras, direkt neben Walderdbeeren und Thymian, schießen hundertfach Margeriten aus dem Boden.
Im hohen Gras, direkt neben Walderdbeeren und Thymian, schießen hundertfach Margeriten aus dem Boden. © Britta Prasse

Mehr als 20 Wittgensteiner sind zur natur- und heimatkundlichen Führung nach Raumland gekommen. Auch Herbert Kroh, der mit seinem Heimatdorf Raumland eng verbunden ist. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich damals als Kind hier eine Kreuzotter gesehen habe“, erzählt er an der Halde. „Die war so dick“, sein Daumen und Zeigefinger zeigen einen etwa fünf Zentimeter großen Abstand. „Hier in Wittgenstein braucht niemand Angst haben vor der Kreuzotter – die gibt es hier nicht“, weiß Frede. Erst in der Umgebung von Biedenkopf gebe es die giftigen Schlangen in freier Wildbahn. „Vom Muster her sehen sich die Schlingnatter und die Kreuzotter allerdings sehr ähnlich; deswegen ist es wohl auch besser, vorsichtig zu sein.“ Denn beißen können beide Arten.

Eine Reise für alle Sinne

Sabine Portig von der Biologischen Station Siegen-Wittgenstein  macht die Gruppe auf die pflanzlichen Besonderheiten im Grubengelände aufmerksam. Viele Arten stehen hier sogar auf der Roten Liste.
Sabine Portig von der Biologischen Station Siegen-Wittgenstein macht die Gruppe auf die pflanzlichen Besonderheiten im Grubengelände aufmerksam. Viele Arten stehen hier sogar auf der Roten Liste. © Britta Prasse

Im Gegensatz zu den Tieren sind die einheimischen Pflanzenarten zeigefreudiger – sie können schließlich auch nicht weglaufen oder sich verstecken. Am verschlammten Wegrand macht Pflanzen-Expertin Sabine Portig auf eine seltene Art aufmerksam, an der die Gruppe fast vorbeimarschiert wäre: „Das ist das Kleine Wintergrün, gut zu erkennen an den rosafarbenen, kugeligen Blüten.“ Überhaupt gebe es hier auf der Hörre viele seltene Arten, die auf der Roten Liste stehen. Nicht umsonst wurde das Gelände bereits 1989 zum Naturschutzgebiet erklärt. Weiter oben, fast auf der Spitze der Halde angekommen, geht’s immer der Nase nach.

Auch interessant

Den Geruch kennt man doch aus der Küche? Etwas versteckt zwischen zwei Buschreihen führt ein schmaler Wiesenpfad auf eine wildbewachsene Lichtung – und hier ist auch die Quelle des Kräuterdufts. Sabine Portig geht in die Knie, pflückt einen kleinen Stängel mit lilafarbenen Blüten und zerreibt die winzigen Blätter zwischen ihren Fingerkuppen. „Man riecht es schon von Weitem: Das ist Thymian.“ Küchenkräuter direkt auf der Wiese; und wer genau hinschaut, findet auch winzige Walderdbeeren, die sich zwischen dem hohen Gras und den unzähligen Margeriten verstecken. Die Wanderung durch das Gelände entpuppt sich als eine kleine Reise für die Sinne: sehen, hören, fühlen, riechen – und jetzt auch schmecken.

Nostalgische Erinnerungen

Beim Rundgang werden sogar nostalgische Erinnerungen wach: „Den Baum da, den habe ich damals mit meiner Schulklasse gepflanzt. Das war 1958“, verrät Herbert Kroh und tätschelt fast liebevoll den Stamm. Mittlerweile ist aus dem kleinen Setzling ein stattlicher Baum geworden.

Und genau darum soll es auch bei dem Naturkunde-Rundgang gehen: zu zeigen, wie wichtig es ist, Artenvielfalt zu erhalten. Damit auch noch Krohs Ur-Enkel den Baum besuchen können.