Bad Berleburg. Frank Rother bietet Wanderungen jeglicher Art an – auch nachts durch die Straßen von Bad Berleburg.
Die Schlossuhr schlägt acht, es ist erstaunlich mild für einen herbstlichen Abendspaziergang. Der Nieselregen hat sich verzogen, ab und zu streift noch eine kühle Brise um die Ohren. Aus dem Schatten einer Straßenlaterne tritt der Nachtwächter hervor, mit schwingender Laterne und Filzhut. Sonst – sieht er eigentlich normal aus. „Wenn man erstmal die 40 überschritten hat, dann lässt man das Nachwächter-Kostüm besser zuhause. Sonst wird’s schnell lächerlich.“ Frank Rother ist ein Mann der klaren Worte.
Heute führt er die kleine Gruppe von neun Personen durch den historischen Stadtkern Berleburgs. Für uns geht’s immer dem Mann mit dem breiten Grinsen und gestutzten Ziegenbärtchen hinterher. „Und du? Du musst oder willst mit?“, fragt er Vivien, die mit ihren Eltern auf Nachtwanderung gegangen ist. „Will!“ – wie es sich für ein gut erzogenes Mädchen gehört.
Tuscheln in der Abendstille
Vom Kriegerdenkmal am Goetheplatz geht es bergab zur Evangelischen Stadtkirche, ganze 100 Meter dürften das sein. „Das ist dann heute aber auch die längste Strecke am Stück, ich will euch ja nicht zu viel zumuten“, sagt Frank Rother mit einem verschmitzten Lächeln, das man auch noch im Dunkeln erkennen kann. So langsam taut die Stimmung in der Gruppe auf, Getuschel und Gekicher durchbrechen die Abendstille.
Vor der erleuchteten Stadtkirche der erste versprochene Halt. Im Schein seiner Laterne wirken Frank Rothers Worte noch beeindruckender: „Der Beruf des Nachtwächters wurde schon in der Bibel beschrieben. Die Chroniken der Stadt Berleburg erwähnen den Nachtwächter zum ersten Mal im 17. Jahrhundert.“ Ein Berufsbild mit langer Tradition also, das mittlerweile von der Polizei oder Security-Diensten abgelöst wurde – und mit Frank Rother ein Revival im 21. Jahrhundert erlebt.
Wilde Kreaturen am Schloss
Wir schlendern den Berg hinauf über das unebene Kopfsteinpflaster, lassen die Kirche links von uns und bleiben stehen – vor einem Zaun. „Hier an der Zaunecke stand der frühere Wachturm der Stadt – was eigentlich überflüssig war, denn die Gegend hier war früher bitterarm, da gab’s sowieso nichts zu holen“, bringt es Frank Rother mit seinem trockenen Humor auf den Punkt. Bevor es weiter durch die dunkle Maueröffnung geht, kramt unser Wanderführer ein paar handliche Taschenlampen für uns aus seiner Jackentasche hervor. Ein Nachtwächter sorgt eben für die Sicherheit der Bürger.
Und da stoßen wir auch schon auf das erste wilde Tier! „Aufpassen, dass ihr nicht auf die Kleinen tretet!“ Sein Lichtkegel zeigt auf eine schwarz-gelb-gefleckte Gestalt am Boden, die sich langsam Richtung Gras schlängelt – ein Feuersalamander. Und der hat viele Freunde mitgebracht, die wir entlang der Stadtmauer noch alle kennenlernen dürfen. Manche Tierchen, die sich geradezu lebensmüde vor unsere Füße stürzen, bringt Frank Rother behutsam zurück auf die sichere Wiese. „Mich nennt man auch den Feuersalamander-Retter und Flüsterer“, witzelt er. Sogar die einheimischen Tiere sind nachts unter Frank Rothers Obhut in Sicherheit.
Die Taschenlampen sind ab jetzt nur noch auf den Boden gerichtet, vorbeischlendernde Feuersalamander immer im Blick. Unser Trampelpfad führt uns ums Schloss herum, auf der rechten Seite die Mauer, auf der linken Seite blicken wir in den schwarzen Abgrund. Hin und wieder zieht ein feiner Geruch von Basilikum in die Nase. Basilikum? „Da unten ist der Schlosspark. Früher wurde dort Rotwild gehalten und auch gejagt“, erklärt Frank Rother und zeigt ins Nichts.
Von geschwätzigen Weibern und Westerwälder Korn
Verlies mit dunkler Vergangenheit
Weiter geht’s im Zick-Zack um die Feuersalamander herum, vorbei an dem Münzhaus, wo das Fürstenpaar Benedikte und Richard wohnt. Der Kiesweg seitlich vom Schloss knirscht unter unseren Schuhsohlen, bis uns Frank Rother zu verstehen gibt, anzuhalten. „Wir stehen hier vor dem ehemaligen Verlies, in dem die Verbrecher früher eingesperrt wurden. Hier bekamen auch manche Frauen Schandmasken aufgesetzt.“ Schandmasken? „Für die geschwätzigen Weiber damals. Diese Masken gab es übrigens nur für Frauen – sollte man sich mal Gedanken machen,“ lässt Frank Rother den nächsten Witz vom Stapel. Er meint es ja nicht böse.
Bergab und über Stolpersteine
Bevor er sich noch weiter in pikanten Details der Stadtgeschichte verstrickt, geht er weiter den Kiesweg entlang Richtung Schlosshof; unter dem Lichtkegel seiner antiken Laterne leuchten die Steinchen in zartem Weiß. Das Schloss lenkt dann aber mit einer spektakuläreren Lichtkulisse ab: Die Bodenscheinwerfer tauchen das Anwesen in elegantes Gold, die Bäume zu den Seiten wirken erhaben, ja fast majestätisch. „Aber glaubt nicht, dass das alles von der Prinzenfamilie bewohnt wird. In diesem Trakt hier ist zum Beispiel nur Verwaltung untergebracht“, erklärt Frank Rother und zeigt dabei auf den Gebäudeteil, der rechts an den Platz grenzt. Trotzdem beeindruckend – schließlich können nicht viele ein Schloss ihren Arbeitsplatz nennen.
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Vom Wahrzeichen der Stadt bringt uns Frank Rother in eine spärlich beleuchtete Gasse hinter dem griechischen Restaurant „Poseidon“. Bergab und über Stolpersteine bahnen wir uns den Weg zwischen den mit Schiefer bedeckten Häuschen. „1825 wütete in Berleburg ein großer Brand, mehr als 200 Häuser brannten damals aus. Seitdem prägen Häuser mit Schieferfassaden das Stadtbild – das Material gilt nämlich als besonders brandsicher“, erklärt unser Wanderführer. Berleburger dürften das wissen, für die Tourteilnehmer von außerhalb ist es interaktiver Geschichtsunterricht.
Brennender „Gute-Nacht-Trunk“
Auch, wenn man nicht jedes Wort von Frank Rother auf die Goldwaage legen sollte, wie er selbst sagt: in erster Linie ist es ein unterhaltsamer Spaziergang bei Nacht, bei dem aus dem Nähkästchen der Stadtgeschichte geplaudert wird.
Mit dem Geruch von frischer Holzkohle in der Nase leuchtet uns Frank Rother den Weg zurück zum Goetheplatz. Am Kriegerdenkmal haben wir den Nachtwächter getroffen, hier verabschieden wir uns auch wieder von ihm – aber nicht ohne einen „Gute-Nacht-Trunk“. „Ich hab’ für euch Westerwälder Korn mitgebracht. Früher hatte ich Siegener Schnaps dabei, aber dafür hab’ ich irgendwann was auf die Rübe bekommen.“ Es geht doch nichts über regionale Sticheleien.
Nach besten Gastgeberqualitäten verteilt Frank Rother Plastik-Pinnchen, wir prosten uns mit dem Klaren in der Runde zu. Wem von dem Gebrannten noch nicht warm genug wurde, kann sich auch noch einen zweiten Schluck einschenken lassen – dann reicht’s aber auch.
Für heute verabschieden wir uns von Frank Rother. Seine leuchtende Laterne schwingt neben ihm her, das Licht erlischt, sobald er an der dunklen Ecke abbiegt. Vielleicht begegnen wir dem Wanderer an einem anderen Abend wieder – auf den Straßen in Bad Berleburg.