Bad Berleburg. .

Auch in Wittgenstein gibt es ungelöste Fälle, ja sogar zwei bislang noch unaufgeklärte Mordfälle. Aber Kriminalhauptkommissar Dieter Bald macht im Interview mit der Heimatzeitung auch klar, dass wir hier vergleichsweise sicher leben können, weil es an Odeborn, Eder und Lahn einerseits weniger Kriminalität gibt und andererseits die Aufklärungsquote hoch ist.

Tatort oder andere Krimis - müssen Sie oft schmunzeln, wenn sie solche TV-Sendungen sehen? Sind die Fälle realistisch?

Kriminalhauptkommissar Dieter Bald: In meiner Kindheit waren Krimis wie „Das Halstuch“ von Francis Durbridge die absoluten Straßenfeger, weil sie ebenso spannend wie selten waren. Tatort, Die Rosenheim Cops, Morden im Norden, Großstadtrevier, Cobra 11 und wie sie alle heißen: Das Angebot allein der deutschen Fernsehserien rund um Diebstahl, Mord und Totschlag hat sich in den letzten Jahren vervielfacht. Mit der Arbeit eines Kriminalkommissariats haben diese Krimis sehr wenig zu tun. Unser Arbeitsplatz ist oft genug der Schreibtisch, den die Fernseh-Ermittler meiden wie der Teufel das Weihwasser. Daneben fällt auf, dass einige Fernsehkommissare immer mal wieder Rechtsbrüche begehen, um zum Ziel zu kommen. Undenkbar in unserem Beruf, da wir absolut daran gebunden sind, rechtsstaatlich und fair zu handeln.
Aber um auf Ihre Frage direkt einzugehen: Ja, klar schaue ich mir auch gelegentlich Krimis an. Und ich mag, dass sie herausstellen, dass kein Ermittler als einsamer Wolf zielgerichtet nach dem Täter fahndet, sondern dass kriminalpolizeiliche Arbeit immer Teamarbeit ist.

Leben wir in Wittgenstein sicher?

Da sprechen Sie das Sicherheitsbedürfnis der Bürger an. Die Furcht, Opfer einer Straftat zu werden, hängt von vielen Faktoren ab. Wer sich rund um die Uhr von Krimis berieseln lässt, in der eine Vielzahl von meist gravierenden Straftaten gezeigt werden, wird häufiger angeben, sich unsicher zu fühlen oder sogar Angst zu haben. Wer selbst einmal Opfer einer Straftat wurde, wird dieses Gefühl auch nicht so einfach abschütteln, sondern sich in vergleichbaren Situationen unwohl oder unsicher fühlen. Die ständige Furcht, selbst Opfer einer Straftat zu werden, ist sicher ernst zu nehmen. Aber das ist nicht die Realität und schon gar nicht in Wittgenstein.

Können Sie das in Zahlen ausdrücken?

Die Mitarbeiter unseres Kriminalkommissariats haben in 2013 genau 1462 Straftaten bearbeitet, in 2014 waren es knapp 1600 Fälle, die von unserem Kommissariat zu bewältigen waren. Daneben sind wir für Vermisstenfälle, Todesermittlungen und Brandermittlungen zuständig. Das sind Arbeitsbereiche, die in der Regel keinen Niederschlag in Kriminalstatistiken finden. Polizeiliche Präsenz uniformierter Kollegen in allen drei Gemeinden, konsequente Strafverfolgung, eine hohe Aufklärungsquote, aber auch die relativ geringe Kriminalitätsbelastung unserer drei Wittgensteiner Kommunen, die seit Jahren unter zehn Prozent der Gesamtkriminalität im Kreis liegt, sind verlässliche Indikatoren dafür, dass wir uns in Wittgenstein durchaus sicher fühlen können.

Ist dafür allein die Polizei verantwortlich?

Ich möchte nicht verhehlen, dass uns der strukturelle Nachteil einer direkten Autobahnanbindung eine Menge der überregionalen und mobilen Einbrecher vom Leibe hält. Bei diesem Problem sind Siegerländer Kommunen mit eigenen Abfahrten von der A45 deutlich mehr betroffen.

Können Sie eine erhöhte Kriminalität durch die Anwesenheit der Flüchtlinge in Bad Berleburg und Bad Laasphe feststellen?

Nein, diese oft geäußerte Befürchtung entspricht nicht der Wirklichkeit. Wir konnten bisher an allen Orten, in denen Asylbewerber untergebracht werden, keinen signifikanten Anstieg von Straftaten feststellen. Wie in anderen Bevölkerungsschichten auch, gibt es hier einige wenige Personen, die durch Straftaten auffallen und so für polizeiliche Einsätze an den Unterkünften sorgen. Die Mehrzahl der Asylbewerber verhält sich hier jedoch völlig unauffällig.

Früher galt Bad Berleburg als ein kleines Zentrum der Drogenszene. Ist das noch so?

Bad Berleburg ist in der Vergangenheit sicher kein weißer Fleck im Bereich der Rauschgiftkriminalität gewesen und ist es auch heute nicht. Natürlich gibt es auch hier Konsumenten und Dealer sowie Personen, die ihren eigenen Rauschgiftbedarf finanzieren, indem sie sich als Dealer betätigen. Die Anzahl der erkannten Fälle lag in 2013 bei 46 Fällen, in 2014 bei 91 Straftaten. Die Anzahl der Fälle hängt auch davon ab, wie intensiv dieser Deliktsbereich bearbeitet werden kann und wie häufig innerhalb der Szene Kontrollen durchgeführt werden. Die so genannte Beschaffungskriminalität, also die Begehung von Straftaten zur Finanzierung des Drogenkonsums, ist ein Nebenprodukt dieser Szene.

Urteilen Gerichte über die von Ihnen an die Staatsanwaltschaft abgegebenen Fälle streng genug?

Darüber maße ich mir kein Urteil an. Urteile sind Sache des Gerichts, und zwar ausschließlich. Ob dies meiner oder unserer Erwartungshaltung entspricht, ist dabei absolut unerheblich. Es entspricht in jedem Fall unserem rechtsstaatlichen Prinzip der Gewaltenteilung sowie der Unabhängigkeit der Gerichte.

Welchen Fall haben Sie noch nicht gelöst?

Trotz einer hohen Aufklärungsquote geben wir immer wieder Fälle an die Staatsanwaltschaft ab, bei denen ein Täter nicht ermittelt werden konnte. Auch da kochen wir nur mit Wasser. Das heißt, wenn zu einer Straftat sachdienliche Hinweise fehlen, wenn keine Spuren gesichert werden konnten oder aber die Spurensicherung Ergebnisse liefert, zu denen kein oder noch kein Vergleichsmaterial vorliegt, wenn kein Zeuge brauchbare Angaben machen kann, wenn Fahndungsmaßnahmen erfolglos verlaufen, sind unsere Ermittlungsmöglichkeiten zunächst erschöpft. Wir geben den Fall nicht auf, aber zunächst an die Staatsanwaltschaft ab, die das Verfahren voraussichtlich einstellen wird. Möglicherweise wird das Verfahren zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal aufgerollt, wenn sich neue Hinweise ergeben.

Gibt es konkrete Fälle?

Es gibt natürlich ungelöste Fälle, die man auch nach Jahrzehnten noch im Blick hat, obwohl man damals selbst nicht mit dem Fall betraut war. Mord verjährt bekanntlich nicht. Auf unseren Zuständigkeitsbereich bezogen, denke ich da an zwei Tötungsdelikte, die bereits lange zurückliegen. Es handelt sich um das Tötungsdelikt an der damals 66-jährigen Maria Fusenig im Jahr 1976 in Beddelhausen sowie um den Mord an der 88-jährigen Auguste Zeiler im September 1987 in Dotzlar. Trotz intensiver Ermittlungen unter Einsatz von Mordkommissionen aus Hagen und Siegen konnten die Taten damals nicht aufgeklärt werden. Die zuständige Polizei Hagen, aber auch wir als für den Altkreis Wittgenstein zuständiges Kriminalkommissariat werten von Zeit zu Zeit Kopien der alten Akten aus, um vielleicht doch noch einen Hinweis zu finden, der zur Tatklärung beitragen könnte. Bekanntlich hat sich ja auch die gerichtsmedizinische Auswertung enorm weiter entwickelt, wenn ich da z.B. an die Beweisführung mit DNA-Spuren denke.

Welcher Fall war der spektakulärste für Sie?

Ich bin nun seit 41 Jahren im Polizeidienst, seit 34 Jahren bin ich Kriminalbeamter. Meinen Dienst in Bad Berleburg versehe ich seit 26 Jahren. In dieser Zeit war ich mit einer Vielzahl von Todes- und Brandermittlungen, mit der Bearbeitung von Überfällen und Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beschäftigt. Dieser Aufgabenbereich bringt es mit sich, dass man lernt, viele Dinge nicht zu nahe an sich heranzulassen. Wie intensiv die Beschäftigung mit dem Schicksal und dem Leid der Betroffenen und Angehörigen auch sein mag, als kriminalpolizeilicher Sachbearbeiter muss man immer um Objektivität, um Sachlichkeit und höfliche Distanz bemüht sein, sonst zerbricht man an dieser Arbeit und nimmt Schaden an der eigenen Seele. Diese „professionelle Distanz“ bringt es aber auch mit sich, dass man lernt, belastende Momente zu verdrängen und schlichtweg aus dem Bewusstsein zu schieben und das ist auch gut so. Insofern fällt mir zu spektakulären Fällen auf Anhieb nicht viel ein.