Wittgenstein. .

Ab dem 8. und 9. April 1945 schweigen die Waffen in Wittgenstein und dem Siegerland. „Jubel über das Ende des Krieges, den Zusammenbruch des Nationalsozialismus und die Befreiung von diesem Regime kam in der Mehrheitsbevölkerung nicht auf. Es gab ihn allein bei den ausländischen Arbeitskräften, was von deutscher Seite verstimmt aufgenommen wurde“, schreibt der Historiker Dr. Ulrich Opfermann.

Gestützt wird diese weit greifende These durch die damalige Aussage einer Zeitzeugin: „Das Schlimmste ist das auftauchende Zivilgesindel der Ausländer, die ins Haus kommen und mit Lebensmitteln beladen wieder abziehen.“ Doch müssen wir uns immer klar machen, dass von den nachweislich mindestens 1121 ausländischen Zwangsarbeitern, die in Wittgensteiner Industriebetrieben aber auch flächendeckend in der Landwirtschaft eingesetzt waren, die allermeisten gedemütigt, geschlagen und schlecht ernährt worden sind. In einzelnen Fällen, wie dem von Jan Zybura, sind auch Hinrichtungen (4. November 1941 in Arfeld) nachgewiesen.

In der Tat machen ab April 1945 viele Polen, Ukrainer, Russen und Franzosen ihrem Hass auf die bisherigen Unterdrücker gezielt aber oft auch willkürlich Luft. So wird beispielsweise in der Forstbach bei Berghausen Christian Dickel sen. von Polen erschossen und in der Rohrbach kommt Bauer Dreisbach bei einem Überfall ums Leben. Zum Teil von den Amerikanern angeregt und zum Teil auf Eigeninitiative werden Milizen bzw. Hilfspolizei-Trupps gebildet, die mit Knüppeln bewaffnet patrouillieren. Auf diese Weise wird in Hemschlar ein Pole beim Hühnerdiebstahl gefasst und anschließend verprügelt.

Ausländer werden erschossen

Tatsächlich, so schreibt Ulrich Opfermann in seinem Buch „Heimat-Fremde“, sind aber mehrheitlich Deutsche an Plünderungen in Siegerland und Wittgenstein beteiligt. Letztlich resultiert dies aus den Lebensbedingungen nach Kriegsende und dem Machtvakuum, das zwischen dem Zusammenbruch des Dritten Reiches und dem Aufbau der Britischen Besatzungsverwaltung entstanden ist.

Im April 1945 werden aber auch noch zahlreiche Verbrechen durch Wehrmacht, SS und Gestapo in Wittgenstein verübt. Laut Gerichtsakten werden ausländische Zwangsarbeiter, die angeblich versucht haben, zu den US-Truppen überzulaufen oder aber in Trümmern nach Essen suchten in Aue, dem Raum Berleburg, in Erndtebrück, Feudingen, Steinbach und Womelsdorf standrechtlich erschossen. Nicht überliefert sind Fälle von Deutschen, die standrechtlich erschossen oder aufgehängt worden sind, weil sie „ihre Heimat nicht verteidigen wollten“ und desertierten.

Hinter der Front sterben auch „GIs“ bei heimtückischen Überfällen, wie beispielsweise in Alertshausen, wo zwei versprengte SS-Männer einen amerikanischen Jeep überfallen und zwei US-Soldaten mit Messerstichen in die Brust töten, um sich mit deren Geländewagen absetzen zu können.

Es gibt aber auch Selbstmorde: In Arfeld tötet ein Mann beim Einmarsch der Amerikaner seine Ehefrau, sein Kind und sich selbst. Eine Schwägerin überlebt schwer verletzt. Das Warum bleibt im Dunkeln, da der Mann als sehr religiös und nicht als Nazianhänger galt.

Nazis in die Umerziehungslager

Sofort nachdem die Waffen schweigen, beginnen die US-Militärs damit, Mitglieder von NS-Organisationen zu verhaften. Sie werden zur Umerziehung in Internierungslager geschickt oder landen wegen des Verdachts auf Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Militärtribunalen. Der physischen Befreiung soll auch die psychische Befreiung vom Nationalsozialismus folgen.

Dass die Lage auch nach Kriegsende und Kapitulation in dem nun von den Briten kontrollierten Wittgenstein für die Zivilisten gefährlich bleibt, zeigt auch der Fall von Gertrud Schmidt aus Niederlaasphe. Die 23-jährige Mutter eines Säuglings wird am 9. Juli 1945 von amerikanischen Posten an der Zonengrenze bei Wallau erschossen. Sie soll der Aufforderung, ihr Fahrrad anzuhalten, nicht Folge geleistet haben. Möglicherweise hat sie die US-Soldaten auch nicht verstanden. Einer Darstellung, dass Gertrud Schmidt Lebensmittel gehamstert haben soll, widerspricht ihre Tochter. Vielmehr habe ihre Mutter Schrauben für eine Reparatur im Hofgut Breidenstein geholt. Der Wirtschafter, der die Reparatur ausüben sollte, habe sie begleitet. Die weiteren Todesumstände bleiben also im Dunkeln.