Wittgenstein. .

Gründonnerstag, 29. März 1945. Berleburg und Wittgenstein sind Thema bei der Lagebesprechung der Heeresgruppe B. Um Mitternacht trifft Generalleutnant Fritz Bayerlein aus dem Siegerland bei Generalfeldmarschall Walter Model östlich von Olpe ein. Bayerlein kommandiert das 53. Armeekorps, oder was davon übrig ist, und soll angreifen. Um jeden Preis müssen die Amerikaner aufgehalten werden, erinnert sich Bayerlein später in seinen Aufzeichnungen, die er nach seiner Gefangennahme für das US-Militär macht.

Model will die Einkesselung verhindern. Die Briten stehen in Münster und die US-Armee ist von Remagen über Altenkirchen und Herborn weiter nach Marburg bis hoch nach Niedermarsberg vorgestoßen. Im Süden stehen sie bereits kurz vor Bad Laasphe. Deshalb richtet sich der Entlastungsangriff nach Norden Richtung Winterberg und Nordosten Richtung Hallenberg.

Wo steht der Amerikaner?

„Das Einzige, was wir sicher wussten, ist, dass wir den Bereich rund um Berleburg halten und eine schwache Kampfgruppe der Luftwaffe südlich von Winterberg steht. Ob die Straßenkreuzung in Winterberg oder das wichtige Areal um das Dorf bereits in Feindeshand ist, war unbekannt“, beschreibt Bayerlein die Lage am 29. März.

Sein Weg zur Front führt über Kirchhundem und Schmallenberg nach Berleburg. Auf dem Weg soll Bayerlein alles zusammenkratzen, was Laufen, Fahren und Schießen kann. Verstärkt wird seine Kampfgruppe durch aufgefrischte Infanterie- und Panzerverbände aus dem Rheinland, die er in der Nacht an der Straßenkreuzung in Gleidorf trifft, und die Reste der Verteidiger aus dem Raum Siegen-Wissen.

Armee-Hauptquartier in Schüllar

Das Hauptquartier der 15. Armee, zu der auch Bayerleins 53. Korps gehört, liegt in Schüllar. Diese Armee „fast ohne Soldaten“, wie sie Bayerlein beschreibt, wird inzwischen vom Artilleriekommandeur der Heeresgruppe, General Tochholte, befehligt, weil der Chef der 15. Armee, General von Zangen, als vermisst gilt. Er hat sein Hauptquartier aber inzwischen nach Biedenkopf verlegt. In Schüllar wird der Angriffsplan besprochen: Bayerleins Befehle sind klar. Erstes Ziel ist die Straßenkreuzung in Winterberg. Sie muss gehalten und die fünf großen Lazarette im Ort beschützt werden.

Im Keller der Brauerei Bosch

Auch im Süden tut sich was: Hier hat die 15. Armee eine Verteidigungslinie entlang der Lahn von Cölbe nach Laasphe aufgebaut, die im Sprachgebrauch der Zeit „unbedingt zu halten ist“. Die Nachrichten, dass Marburg bereits am 28. März in amerikanische Hand gefallen ist, glaubt noch niemand. Teil der Verteidigungslinie ist das Bataillon Wittgenstein im „Freikorps Sauerland” - eine selbsternannte Eliteeinheit, die mehrheitlich aus Freiwilligen besteht – bereitet sich bei der Hesselbacher Mühle auf den Angriff der Amerikaner vor. Doch das Blutbad bleibt aus. Als die ersten US-Panzer in Hesselbach einrollen, ziehen sich die Deutschen zurück. Zur gleichen Zeit donnern in Laasphe die Geschütze.

Die verängstigte Bevölkerung suchte in Kellern Schutz.Viele kommen im Felsenkeller der Brauerei Bosch unter dem Steinchen unter. Eine deutsche Flak-Batterie hat ihre Geschütze am Fang, am Steinacker, auf der oberen Straße zum Schloss vor den drei fürstlichen Häusern, hinter der Firma Jung am Hesselbacher Weg und am Bachweg in Stellung gebracht. Geschossen wird Richtung Hesselbach. Von dort rücken die Amerikaner über den Armen Mann in Richtung Wallachei vor und erwidern das Feuer. Zahlreiche Häuser, vor allem in der Lahn- und Banfestraße, werden getroffen. Trotz heftigen deutschen Widerstandes, gelingt es den Amerikanern schnell, große Teile von Laasphe zu erobern.

130 Deutsche gefangen genommen

Amerikanischen Militärberichten zufolge ist eine andere Marschkolonne, die 104. US-Infanterie-Division bereits bei Eibelshausen auf Widerstand gestoßen. Der wird gebrochen, sieben Panzer abgeschossen und 200 bis 300 Deutsche gefangen genommen.

Die zur Absicherung der Flanke der Division gegründete Task Force „Salisbury”, bestehend aus einer Kompanie Pionieren und mehreren leichten Panzern, ist bei Laasphe in Kämpfe verwickelt worden. Dabei werden nach amerikanischen Angaben zwei 8/8-Flakgeschütze zerstört und 130 Deutsche gefangen genommen. Bis zum Abend sind die Kämpfe um Laasphe abgeflaut. Die US-Soldaten besetzen die Stadt und durchsuchen die Häuser nach versteckten deutschen Soldaten.

Die Wehrmacht hat sich noch nicht komplett zurückgezogen. In der Wasserstraße und am Schlossberg halten sie noch Häuser besetzt.

Orgien mit den Befreiern

Für einige Laaspher ist der Krieg endlich vorbei. Sie feiern mit ihren Befreiern. Der Erndtebrücker Heimathistoriker Wilhelm Völkel berichtet von einer „unbeschreiblichen Orgie” von Deutschen und Amerikanern im Rathaus, dem Hauptquartier der Amerikaner.

Auch aus Richtung Wallau rückt die US-Armee vor. Zum Glück für das Dorf schweigen hier die Waffen. Der örtliche Volkssturm ist in Richtung Siegquelle abgezogen worden. Die US-Panzer fahren nur durch und ein Teil der Kolonne dreht dann Richtung Puderbach und Didoll ab.

Die übrigen Tanks rollen weiter und über die Bahnhofstraße nach Laasphe hinein. Auch der damals 13-jährige Walter Gelber erinnert sich in einem Schreiben an unsere Redaktion, dass er die Panzer beobachtet hat. Er steht damals am Straßenrand zwischen der Bäckerei Schröder und dem Schuhaus Bruder. Nur einen Tag später sieht er in der Wasserstraße einen abgeschossenen deutschen Panzer. „Den Fahrer sah ich noch tot in der Rinne liegen“, erinnert er sich heute.

Auch der heute 75-jährige Laaspher Ulrich Fischer kann sich noch an diese Kriegstage erinnern. Er ist damals erst vier Jahre alt, weiß aber wie die amerikanischen Panzer die Wallachei herunter kamen und auf Volkssturmeinheiten geschossen haben, die sich dann zurückzogen. „Wir durften damals erstmal nicht raus, weil da ja auch schwarze Soldaten waren.“ Aber die Angst weicht schnell einem anderen, schönen Gefühl. „Wir haben von den Amerikanern Schokolade bekommen“, erinnert sich Fischer an ein zumindest für Kindermünder seltenes und süßes Kriegserlebnis.