Bad Laasphe. . Die Teilnehmer der Selbsthilfegruppe in Bad Laasphe nehmen ihrem Schicksal das Stigma
„Ist euch auch ständig so kalt?“, fragt die Frau mit der Kurzhaarfrisur in die Runde. Wenn sie schlafen geht, hat sie es gern warm. Richtig warm. Der Schlafanzug aus Fleece, Wollsocken, die Heizung auf Anschlag. Sie ist 44 Jahre alt, 1996 bekam sie die bittere Diagnose: Multiple Sklerose, eine entzündliche Erkrankung des Nervensystems. Bei ihr kommt die Krankheit schubweise. Immer wieder.
Nein, kalt ist ihnen in der Regel eigentlich nicht, das können die anderen in der Selbsthilfegruppe so nicht unterschreiben. Dem einen oder anderen wäre das Frösteln vielleicht sogar ganz lieb. Denn der Großteil aller Betroffenen reagiert äußerst empfindlich auf Wärme, ihnen ist der Winter die angenehmste Jahreszeit. MS: die Krankheit mit den tausend Gesichtern.
„Hallo, liebe Mitleidenden“, begrüßt Harald Wagner die Anwesenden in den Lahnstuben zu Bad Laasphe zum erst zweiten Treffen dieser Selbsthilfegruppe. Die Runde lacht, so hat es der 39-Jährige gern. „Ich kann mit der Krankheit sehr gut leben“, sagt Wagner, „laufen ist schlecht, aber davon lass’ ich mich nicht runterziehen.“ Nur den Fuß zieht er manchmal nach. Lästig, mehr nicht. Zusammen mit Klaudia Mayerle, Michaela Hermann und Karin Hassler, die an diesem Nachmittag verhindert ist, hat er die Gruppe ins Leben gerufen.
Erste Erfolge nach der Premiere
Harald Wagner reißt kurz die Erfolge der ersten Sitzung an: Auf dem kurzen Dienstweg sozusagen hat ein Auto, MS-gerecht ausgestattet mit Lenkradschaltung und Handgas, einen neuen Besitzer gefunden. Das Medikament, das bei der Premiere diskutiert wurde, hat bei ihm angeschlagen, dem nächsten wurde ein Schmerztherapeut empfohlen, der helfen konnte. Hilfe zur Selbsthilfe lautet das Motto. Dann tauschen sie weiter Erfahrungen aus. Das Thema dieser Sitzung: Schmerzen. „MS-Leute sind wie ein Schwamm“, sagt Gruppenleiter Wagner, „sie saugen alles auf.“
Regelmäßig zur Schmerztherapie
Klaudia Mayerles Krankheitsverlauf ist chronisch. Regelmäßig unterzieht sich die 44-Jährige einer stationären Schmerztherapie in der Helios-Klinik in Bad Berleburg. Während bei anderen die Muskelkraft schwindet, leidet sie unter Spastiken, bedingt durch zu viel Spannung in den Muskeln. Wieder der Beleg: Kein Krankheitsbild gleicht dem anderen. Und dann diese Nervenschmerzen. Aber nach der Therapie hat sie für einige Monate Ruhe, das lähmende Nervengift Botox kommt bei der Behandlung zum Einsatz. „Klaudia, kannst du damit Auto fahren? „Ja, alles gut, die meisten sind danach erst einmal fit wie ein Turnschuh.“
Scham spielt eine Rolle
Auch wenn diese Stunden unter „Mitleidenden“ gut tun: Stark müssen sie doch die meiste Zeit allein sein. Eine Dame mittleren Alters erzählt, sie leidet seit 30 Jahren unter Multipler Sklerose. Trotz unzähliger Bewerbungen: „Ich finde durch die Krankheit keinen Job mehr.“ Autofahren könnte sie noch, will sie aber nicht. MS-Schübe sind nur schwer berechenbar. Schließlich will sie „kein Risiko für andere darstellen.“ Ihre Sitznachbarin seufzt: „Ich habe gerne gearbeitet. Was gäbe ich dafür...“
Dann ist da noch die lebhafte Seniorin, die zum Ende der Sitzung das Wort ergreift. Keine zehn Pferde hätten sie unter normalen Umständen dazu bewegen können, sich einer Selbsthilfegruppe anzuschließen. Harald und Klaudia kennt sie schon länger, nur ihnen zuliebe ist sie hier. Sie bereut es kein bisschen. Warum sie sich so lange gesträubt hat? „Das kann ich mir gar nicht so recht erklären.“ Scham mag eine Rolle gespielt haben, auch der unbedingte Wille, allein zurechtzukommen.
Michaela Hermann bringt es auf den Punkt: „Der Austausch hier ist mehr wert als ein Lottogewinn.“