Wittgenstein. Stichwort Bagatell-Delikte: Polizei-Gewerkschafter fordern, sie „nur“ als Ordnungswidrigkeit einzustufen, um die Beamten zu entlasten. Viele Wittgensteiner Fälle werden aber auch heute schon vorzeitig eingestellt.

Beleidigung, Sachbeschädigungen, Ladendiebstahl mit Beute von geringem Wert – auch in Wittgenstein sind Anzeigen wegen solcher Taten Alltagsgeschäft für die Polizei. Die Beamten müssen sich mit ihnen befassen, wenn Bürger sich damit etwa auf der Bad Berleburger Wache melden. Schließlich geht es um Straftaten. Sie künftig als einfache Ordnungswidrigkeiten einzustufen, um die Ermittler zu entlasten – das fordert derzeit die Polizei-Gewerkschaft in NRW.

Wie ist die aktuelle rechtliche Lage?

Grundsätzlich „gilt der Zwang zur Strafverfolgung“, erläutert der Leiter der Bad Berleburger Wache, Bernd Dickel. So sei es gesetzlich vorgegeben. Sachbeschädigungen wie Kratzer oder Beule im Auto oder auch ein aufgebrochenes Fenster, das auf einen Einbruch hindeutet, werden laut Dickel außerdem oft bei Streifen-Fahrten von den Kollegen selbst entdeckt. Aber eben alles Fälle, in denen ermittelt werden müsse. Auch Dickel kennt die Diskussion innerhalb der Polizei, ob man sich gerade mit diesen kleineren Delikten im Ermittlungsalltag noch aufhalten müsse oder nicht. Es nicht mehr zu tun, das sei allerdings Gewerkschaftsmeinung, betont Dickel – und die wolle er nicht kommentieren.

Ordungswidrigkeit als Status in der Diskussion

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Nordrhein-Westfalen hat es erst kürzlich gefordert: Sogenannte Bagatell-Delikte sollten künftig nicht mehr wie Straftaten behandelt werden, sondern als Ordnungswidrigkeiten.

Dazu zählt die GdP etwa Beleidigungen, Ladendiebstähle, Schwarzfahren, Sachbeschädigungen, aber auch den Besitz weicher Drogen wie Marihuana.

Genau das seien alles Delikte, deren Bearbeitung zu lange dauere und zu viel Personal binde, jedoch in den meisten Fällen keine Anklage nach sich zögen, sondern eingestellt würden – wegen Geringfügigkeit.

Bagatell-Delikte, eingestuft „nur“ als Ordnungswidrigkeit – was bedeutet das für den Polizei-Alltag?

Bagatell-Delikte als Ordnungswidrigkeit – man sollte das Modell „zumindest theoretisch durchdenken“, sagt der Bad Berleburger Polizei-Gewerkschafter Hans-Ulrich Rehberg, Vorsitzender der GdP-Kreisgruppe Siegen-Wittgenstein. Mit Experten müsse man erst die straf- und die verfassungsrechtliche Seite klären. Und sich dann fragen: Was bringt es der Polizei, der Justiz an Entlastung? „Die Anzeige auf der Wache muss ohnehin geschrieben werden“, sagt Rehberg. Und dann gehe die Sache eben nicht zur Staatsanwaltschaft, wo sie in vielen Fällen „wegen Geringfügigkeit“ eingestellt werde, sondern als Ordnungswidrigkeit direkt zur Bußgeldstelle des Kreises Siegen-Wittgenstein.

Was hätte der Täter davon?

Was so ein „Gedankenmodell“ in der Realität auf jeden Fall bringen würde, so Rehberg: Dem Täter werde bewusst, dass seiner Tat relativ schnell eine Geldbuße oder Geldstrafe folge. Die Ruhestörung zum Beispiel, ebenfalls Grund von Anzeigen auf der Bad Berleburger Wache, sei übrigens bereits eine Ordnungswidrigkeit, erläutert Rehberg. Dafür letztlich zuständig: die Kollegen vom Ordnungsamt.

Wie werden Bagatell-Delikte beim Bad Berleburger Amtsgericht behandelt?

Auch Torsten Hoffmann, Richter am Bad Berleburger Amtsgericht, bekommt ständig solche Bagatell-Fälle auf den Tisch. Allerdings sei deren Zahl in den letzten Jahren gefühlt „einigermaßen gleichbleibend“ gewesen. Jedenfalls sei das Aufkommen „zu bewältigen“, sagt er im Gespräch mit unserer Zeitung. Besonders oft Gegenstand der Verhandlung: Schwarzfahren in Bus und Bahn, aber auch Diebstähle mit einem Wert unterhalb von 25 Euro. Oder Beleidigungen.

Welchen Aufwand macht so eine „kleine“ Tat den Behörden?

Beispiel Schwarzfahren: Wer ohne Ticket erwischt wird, zahlt auf jeden Fall Bußgeld – bislang 40 Euro, seit Jahresanfang 60 Euro. Allerdings können die betrogenen Verkehrsbetriebe darüber hinaus Strafantrag stellen – etwa dann, wenn der Ertappte bereits zum Wiederholungstäter geworden ist. Eine Geldstrafe oder bis zu einem Jahr Haft können dann die Folge sein.

Landen eigentlich alle kleinen Delikte vor Gericht?

Richter Torsten Hoffmann schätzt aber, dass die Zahl der kleineren Delikte noch weitaus höher liegt – schließlich würden nicht alle auch gleich angeklagt. Vieles kläre sich außerdem im Rahmen der Polizei-Ermittlungen oder auf Ebene der Staatsanwaltschaft, wenn sie etwa ein Verfahren einstelle.