Gelsenkirchen/Soest. . Das 143. Revierderby in der Fußball-Bundesliga zwischen Schalke 04 und Borussia Dortmund am 26. Oktober 2013 wurde von heftiger Randale überschattet. Zwei Beteiligte aus Soest bekamen dafür am Dienstag vom Jugendschöffengericht Gelsenkirchen die Quittung: Ein 20-Jähriger erhielt eine Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren auf Bewährung, sein 21 Jahre alter Freund eine Geldstrafe.

Der Ruhrgebietsschlager auf Schalke geriet am 26. Oktober 2013 durch gewalttätigen Ausschreitungen in die Schlagzeilen. Das Fußball-Bundesliga-Derby zwischen dem FC Schalke und Borussia Dortmund war nur noch Nebensache. Zwei Beteiligte BVB-Fans aus Soest bekamen dafür am Dienstag vom Jugendschöffengericht Gelsenkirchen die Quittung: Ein 20-Jähriger erhielt eine Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren auf Bewährung u.a. wegen Landfriedensbruchs und Sachbeschädigung, sein 21 Jahre alter Freund eine Geldstrafe in Höhe von 180 Tagessätzen zu je 10 Euro.

Richterin Winter ist fassungslos. Von Berufs wegen musste sie sich Videoaufnahmen ansehen, die das ganze Ausmaß der Tumulte dokumentieren: „Da stürmt eine Horde vermummter Gestalten den Gästeblock“, schildert sie.

„Mit Brachialgewalt“

Etwa 500 schwarz gekleidete und überwiegend eine Sturmmaske tragende Ultras traten „mit Brachialgewalt“ Absperrscheiben ein, zündeten Böller und warfen bengalische Feuer in andere Blöcke, in denen auch Kinder saßen. Wie durch ein Wunder gab es keine Verletzten. „Die Pyro-Fackeln können 2000 Grad heiß werden“, erklärt Staatsanwalt Eberhard Buschmann und weist auf einen in der kommenden Woche zu verhandelnden Fall hin: Bei einem anderen Spiel habe es acht Verletzte gegeben, darunter vier Kinder. Ein Kind lag eine Woche in der Klinik.

Die beiden Soester, die in der Vergangenheit bereits Recht und Gesetz durchaus eigenwillig ausgelegt haben, stellen sich auf der Anklagebank als ahnungs- und gedankenlose Mitläufer dar. Sie geben zu, bei den Ereignissen „auf“ Schalke dabei gewesen zu sein, sehen sich allerdings nur im Umkreis der BVB-Ultra-Gruppierung „Desperados“. Dem widerspricht die Darstellung eines szenekundigen Polizeibeamten: Die beiden hätten sich sehr wohl „fortwährend im Umfeld der Rädelsführer“ aufgehalten.

Der 20 Jahre alte BVB-„Fan“, der einen in Fußballkreisen derzeit beliebten Haarschnitt a la Cristiano Ronaldo trägt (an den Seiten sehr kurz, oben eher lang), schildert selbstbewusst, wie er am Tag vor dem Derby eine SMS unbekannter Herkunft erhielt, in der der Treffpunkt „Bahnhof Essen-West“ genannt wurde - ein Ort, der nicht auf dem Weg von Soest nach Gelsenkirchen liegt. Dort hätten schwarze T-Shirts nach Größen sortiert in gelben Müllsäcken gelegen. Den Kaufpreis von 5 Euro warf man ebenfalls in einen gelben Müllsack. Beim Anziehen habe man bemerkt, dass sich in den Shirts schwarze Sturmmasken befanden, so der Angeklagte. Er will sich „nicht viel dabei gedacht haben“.

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Nach der Ankunft in der Arena habe vor dem Gästeaufgang jemand das Kommando „Sturmhauben auf!“ in die Menge gerufen. Er selbst habe „im Getümmel“ ein einziges Mal gegen eine Absperrscheibe getreten. Der 21-jährige Mitangeklagte gesteht, eine Scheibe mit einem Nothammer traktiert und dann mit den Füßen herausgetreten zu haben. Pyrotechnik aber habe man nicht gezündet.

Die wiederholte Frage nach dem „Warum macht man das?“ können die Angeklagten nicht beantworten. Dem 20-Jährigen im weißen Hemd zufolge sei man mitgerissen worden: „Ich bin mit dem Strom geschwommen.“

Der Hilfsarbeiter, der von seinem Verein mit einem dreijährigen Stadionverbot belegt wurde, distanziert sich mittlerweile „von solchen Sachen“, wie er sagt. Als ihm das Amtsgericht Soest im Januar wegen anderer Strafsachen einen zweiwöchigen Dauer-Arrest verordnete, habe er über sich nachdenken können. Sein Ultra-Tattoo habe er sich in der Zwischenzeit überstechen lassen - wohl auch aus Enttäuschung. Nach dem Vorfall „auf“ Schalke sei die einstige Anerkennung bei den Ultras umgeschlagen. „Es gab keinen Rückhalt mehr in der Gruppe, keine finanzielle Hilfe.“ Warum er überhaupt ein Ultra wurde? „Sie kommen besser als Fan-Clubs an Karten heran. Und ich musste mich bei den Fahrten zu den Spielen um nichts kümmern.“

Auf allen Vieren zum Ausgang

In einem zur selben Zeit laufenden Verfahren vor dem Amtsgericht Gelsenkirchen gegen einen 22-Jährigen - insgesamt sind etwa 50 Prozesse rund um die Derby-Randale anberaumt - spielt ein Polizeibeamter Videoauf­nahmen aus der Arena ab. Er zeigt auf einen Ordner, der nach Eintreffen des Mobs aus Angst vor Übergriffen sich seiner Dienst-Weste entledigt. Auf allen Vieren zwischen den Hooligans rettet er sich die Treppe hinauf zum Ausgang.

Richterin Winter spricht von einem Mob, der durch das Stadion getobt ist und Dinge getan hat, die man sich nur in der Masse traut: „Die Menge gibt den Schutz für die Straftaten des Einzelnen.“ Ja, gesteht die Juristin, sie sei ­fassungslos. Darüber, wie Menschen, „die eigentlich ein geordnetes Leben führen, auf einmal zu wilden Tieren werden“.