Warstein. . Warstein ist verunsichert, die Bürger der sauerländischen Kleinstadt fühlen sich alleingelassen: von den Behörden, aber auch von den Besuchern. Auswärtige sollen den Ort wegen der Legionellen-Gefahr weiter meiden. Am Wochenende meldete das Gesundheitsamt in Soest neun neue Krankheitsfälle.

Dies ist ein Ort, an den man nicht hätte fahren sollen. „Reisen in das Gebiet sollten vermieden werden“, haben die Behörden gesagt. Dabei ist dies nicht Damaskus, Bagdad oder Kairo, was man am Tag nach der „Empfehlung“ auch einräumt: Dies ist Warstein, Kreis Soest, Sauerland. Hier kämpft man nicht gegen Legionen, man kämpft gegen Legionellen. Und ist, trotz der Reisewarnung, doch keine verbotene Stadt. Denn die Warsteiner, sie sind ja noch da!

„Wir wohnen doch hier“, sagt Ludmila auf ihrer Bank an der Bushaltestelle und zuckt mit den Schultern, es ist der Warsteiner Satz des Wochenendes. 150 Fälle der bakteriellen Infektion hat das Gesundheitsamt gemeldet, am Sonntag noch drei neue: drei Wochen nach den ersten Erkrankungen, zwölf Tage, nachdem die Stadt in den Nachrichten auftauchte mit ihrer seltsamen Grippewelle und den beiden Toten. Und jetzt plötzlich soll man hier nicht mehr hin? Müsste man dann nicht auch weg? „Was sollen wir denn machen?“, fragt Frank, unterwegs mit seinen Hunden, „wir sind ja schon da.“

Warstein ist hin- und hergerissen

Das Gesundheitsamt rät, drinnen zu bleiben, „der Aufenthalt in geschlossenen Räumen verringert das Ansteckungsrisiko“. Aber da sind Leute auf dem Markt, sie parken vorm Discounter, eine Frau geht spazieren mit fünf kleinen Kindern, ein paar Jugendliche schlendern über den Platz und trinken, was wohl, Warsteiner. „Die Bürger müssen ja raus, müssen einkaufen“, sagt der Gemüsehändler, „sollen die zu Hause verhungern?“ Ludmila ist ja auch nur gekommen, weil sie mal Wurst brauchte.

Warstein ist hin- und hergerissen: Viele finden die Warnungen übertrieben, das Absagen von Veranstaltungen, diese plötzliche Panik. Anderseits: „Wenn das so lebensgefährlich ist“, sinniert ein Busfahrer, „was ist dann mit den Einwohnern?“ Versagt hätten die Ämter, schimpft ein Markthändler, „die machen ‘ne Reisewarnung, und wir laufen hier rum“.

Seine Mitarbeiterin hat Halsschmerzen, bloß eine Erkältung vielleicht, aber wer weiß das schon? Dominik hat ja auch Husten. Der 18-Jährige kommt gerade aus dem Fitness-Studio – gleich neben der Firma, deren Klimaanlage im Verdacht steht, die Legionellen hinausgeblasen zu haben. „Ich glaub’, ich geh’ dann Montag mal zum Arzt.“

Nichts und niemand weist auf die Legionellen hin

Schutzmasken hätte man verteilen sollen, findet Dominik, findet Frank, findet auch der Gemüsehändler, „30.000 Leute müssten doch geschützt werden“. Aber das Gesundheitsamt schreibt aus Soest: „Das Tragen eines Mundschutzes kann zurzeit nicht generell empfohlen werden.“ Selbst diesen rätselhaften Rat kennt wohl nur, wer Zeitung liest in dieser Stadt. Es ist ja ein Leid mit den Legionellen, dass man sie nicht sieht. Aber es weist auch nichts und niemand darauf hin.

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Im meterlangen Schaukasten am Markt wünscht die CDU einen „schönen Sommer“ und die SPD „schöne Ferien“, es grüßen Feuerwehr, Gebirgsverein und TuS 45, und auf einem Zettel verliert sich unerklärt ein Vers aus der „Internationale“: „Es rettet uns kein höh’res Wesen… Uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun.“ Von Bakterien kein Wort. Davor auf der Bank wird Bier getrunken von Menschen, die von Reisewarnungen nie hörten.

Der Schwimmverein aus Dortmund-Aplerbeck hörte sie schon, „aber wir waren dann mal mutig“. Die Abteilung Wassergymnastik, ältere Leute allesamt, ist zur Brauereiführung gekommen, trotz allem: „Bei denen“, glaubt eine Frau, „wird sicher immer gut kontrolliert.“ Mittagstisch und der abfahrbereite Planwagen stehen, wo die Kleinstadt einen Hauch von Altstädtchen hat, also mittendrin. Abgesagt hat dennoch niemand.

Zelte der Montgolfiade werden vor dem Start schon wieder abgebaut

Dafür die SPD ihr Parteifest und, schlimmer noch: die Stadt die Montgolfiade. Startverbot für die Heißluftballons! 150 000 Besucher hatte Warstein zur 23. Auflage erwartet, 200 Teams waren gemeldet zum Festival, mit dem die Stadt sonst einzig Aufmerksamkeit erregt.

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Und jetzt: ist der Hügel vor der Brauerei leer. Arbeiter bauen die ungenutzten Festzelte wieder ab. „Wir machen ihr Ereignis zu einem Erlebnis“, steht auf ihrem Lkw. Aber es gibt kein Ereignis in diesem Jahr. Auf dem Campingplatz verlieren sich drei, vier Wohnmobile aus Bayern, Sachsen-Anhalt und den Niederlanden; man packt ein.

Und auf dem Marktplatz sitzt Dominik und hustet. Der 18-Jährige wartet auf seine Freunde. Normalerweise wären sie jetzt zur Montgolfiade gegangen. „Sonst ist da wenigstens mal was los, einmal im Jahr. Aber jetzt ist alles hinüber.“ Warstein fühlt sich – allein gelassen, so und so.