Sichtigvor. . Sie werden es nicht wissen, aber die Kinder der Kindertagesstätte „Rappelkiste“ in Sichtigvor werden heute erleben, wie eine Ära zu Ende geht.
Wenn sich heute morgen die Tür des Familienzentrums öffnet, zuerst ein schwerer Bischofsstab und dann ein weißer Rauschbart über der goldenen Kutte zu sehen sind, dann ist es das letzte Mal, dass sich hinter dem Nikolaus-Kostüm Heike Kruse verbirgt.
Die 50-Jährige ist nicht nur Ortsvorsteherin, Schöffin, Ratsmitglied und Laienrichterin – Heike Kruse ist auch der perfekte Nikolaus.
Eine Frau als Nikolaus, kann das überhaupt funktionieren? „Offenbar klappt das“, lacht die lebhafte Powerfrau. „Die Kutte ist mir zwar jedes Mal zu lang und der Bart kratzt ganz schön, aber es scheint für die Kinder ziemlich echt auszusehen.“ 1992 war es, als der Elternbeirat der KiTa Rappelkiste einen Nikolaus suchte – schwierig, wenn nur Frauen in dem Gremium aktiv sind. Doch die Wahl fiel schnell auf Heike Kruse. „Du bist doch auch Erzieherin, du kannst das bestimmt gut!“, war das Argument der anderen.
Heike Kruse ließ sich überreden, schlüpfte in das Kostüm und stand am 6. Dezember 1992 erstmals vor lauter aufgeregten Kindern mit leuchtenden Augen – darunter auch die ihres Sohnes Stefan. „Ich hatte so eine Angst, dass er auf einmal sagt: ‚Mama, was machst du denn da?‘“, erinnert sich die Ortsvorsteherin an ihren ersten Auftritt, bei dem ihr damals dreijähriger Sohn in der ersten Reihe saß. „Doch er hat nichts gesagt!“
Andächtig lauschte Heike Kruses Sohn vielmehr der Weihnachtsgeschichte, holte sich seinen Stutenkerl ab und ahnte nicht, dass es sich bei dem bärtigen Bischof um seine Mutter handelte. Doch etwas war dem Kleinen dann doch aufgefallen. Heike Kruse lacht, wenn sie sich erinnert, was ihr Sohn nach ihrem Auftritt der Kindergärtnerin erzählte. „Der Nikolaus hatte die gleichen Schuhe wie meine Mama.“ Zweifel an der „Echtheit“ des Nikolaus hatte der Dreijährige dennoch nicht. „Als wir ihm zu Beginn der Grundschulzeit erzählt haben, was es mit dem Nikolaus auf sich hat, da hat er geschimpft, wie wir ihn so veräppeln konnten“, schmunzelt Heike Kruse. Wer selbst den eigenen Sohn glauben lassen kann, man sei der Nikolaus, der muss wahrlich ein guter Bischof sein, oder? „Ach was, ich war doch so aufgeregt“, winkt die zweifache Mutter ab, „das bin ich auch heute noch.“ Denn bei dem einmaligen Auftritt blieb es nicht: Heike Kruse spielte auch im darauffolgenden Jahr den Nikolaus und im folgenden und im darauf folgenden…
20 Jahre sind es am heutigen Tag, dass aus der Ortsvorsteherin der heilige Bischof wird. „Ich habe es ja auch wirklich gerne gemacht“, meint Heike Kruse. „Dadurch, dass meine Kinder auch in der ‚Rappelkiste‘ waren, kannte ich ja viele der anderen Kinder und konnte sie gezielt ansprechen.“ Wenn der Nikolaus aus dem goldenen Buch die guten Taten vorlas und genau wusste, welches der Kinder gemeint ist, dann leuchteten die Augen der Kleinen. „Das ist so toll“ – Auch Heike Kruses Augen leuchten, wenn sie an diese besonderen Momente in der Vorweihnachtszeit zurückdenkt. Und dennoch ist mit dem heutigen Auftritt Schluss. „Meine Kinder sind schon lange erwachsen, da wird es für mich auch Zeit, aufzuhören.“
Wenn sie heute zum letzten Mal den kratzenden Rauschebart anzieht, die viel zu lange Kutte mit einem Gürtel hochschnürt und den schweren Bischofsstab in die Hand nimmt, dann wird mit Sicherheit auch eine gehörige Portion Wehmut dabei sein.
Und für die KiTa Rappelkiste wird es schwer, einen Nachfolger für den tollen Nikolaus zu finden – der seltsamerweise die gleichen Schuhe trägt wie Heike Kruse.