Essen/Werl. . Als mürrischer Gerichtsmediziner Joseph Roth ist er im Kölner Tatort eine Marke. Joe Bausch spielt nicht nur den Arzt, er ist auch einer - und seit 25 Jahren für die Insassen der JVA Werl zuständig. In einem Buch erklärt er, was seiner Ansicht nach in den Gefängnissen besser laufen müsste.

Ein Vierteljahrhundert Arbeit hinter Gittern war dem 58-jährigen Joe Bausch ein Buch wert. Titel: Knast. Das Gefängnis steht nicht am Rande der Gesellschaft, es ist ihr Spiegel, betont Bausch. Und erklärt, warum er gerne der Hausarzt von Vergewaltigern, Räubern, Betrügern und Mördern ist.

Warum lag Ihnen ein Buch über Ihren Männerknast in Werl, einer der größten Justizvollzugsanstalten in Deutschland, so am Herzen?

Bausch: Ich will Einblicke in diese Welt gewähren. Ich habe in den letzten Jahren immer wieder in Talkshows gesessen. Da kann man dann immer ein paar Sätze sagen. Der Knast ist einfach zu komplex, um ihn in einfachen Worten zu beschreiben. Auch wenn wir uns Knast immer so einfach vorstellen. Nach dem Motto: Wir sperren die halt ein, machen das sicher. Es haben mir im Knast auch schon viele Kamerateams über die Schulter geguckt. Aber auch da kann man dann nur eine Facette zeigen. Es war mein Anliegen, das zu schildern, was im Knast aus meinem Blickwinkel so alles passiert. Ich finde, Knast sollte nicht nur dann ein Thema sein, wenn – wie jetzt in Bochum – welche weglaufen.

In Ihrem Buch zeigen Sie, dass bei Ihnen viele Menschen landen, die sich das Böse nicht lange überlegen, schlimme Dinge im Affekt tun, weil sie sich nicht im Griff haben. Und dass es Menschen gibt, die – als ein Opfer ihrer eigenen Verhältnisse – zu Tätern wurden. Wie die junge Frau, die ihr Baby nicht versorgt, weil sie seine Existenz als Bedrohung empfindet. Die Kindsmörderin treffen Sie Jahre später auf der Straße wieder. Sie ist verheiratet, erwartet ihr zweites Kind.

Bausch: Ja. Ich lerne diese Menschen im Knast als Arzt kennen. Ich muss dem Täter ja zuhören, weil ich wissen will, was ihn zu seiner Tat gebracht hat. Es interessiert mich als Arzt und als Schauspieler, was Menschen zum Scheitern bringt, sie gewalttätig oder gar zum Mörder werden lässt. Serienkiller, Bestien – das ist nur ein ganz, ganz kleiner Teil derer, die wir im Knast haben.

In Werl, schreiben Sie, kommen 47 Nationen zusammen. Ist das schwierig?

Bausch: Ja! Die sollen bei uns zusammengeführt werden. Aber das klappt doch schon draußen in Freiheit nicht. Knast ist immer ein Spiegel der Gesellschaft und der Probleme, die wir haben. Wir sehen zum Beispiel, dass die Menschen, die wir nicht integrieren können, in einem hohen Prozentsatz im Knast landen. Und wir sehen die Leute, die keine Sozialisation erfahren haben.

Gibt es Dinge im Knast, mit denen man leben muss, wenn man nicht die totale Kamera-Überwachung will? Sie schreiben, dass nirgendwo so viel Geld mit Drogen verdient wird, wie im Knast. Sie schreiben, dass dort Männer Sex mit Männern haben, Knastschwule nennen Sie das, dass es welche gibt, die sich im Gefängnis prostituieren, um an Stoff zu kommen. Und dass es welche gibt, die andere vergewaltigen, oder auf andere Weise übel angehen.

Bausch: Ich habe kein Enthüllungsbuch geschrieben. Das sind ja alles Sachen, die bekannt sind. In einem Knast, in dem überall Kameras sind, möchte ich nicht arbeiten. Das ist furchtbar. In Amerika gibt es so etwas in Todestrakten. Da sagen selbst hartgesottene Leute, die da arbeiten: Das geht nicht. Das macht aus Menschen Bestien.

Man muss genügend betreuende Abteilungsbeamte haben, die was mitkriegen. Erfahrene Leute, die hingucken und mit den Menschen reden. Im übrigen: Auch in amerikanischen Gefängnissen, in denen es Trennscheiben in den Besuchsräumen gibt, gibt es Drogen.

Das Thema Drogen im Knast beschäfigt Sie sehr.

Bausch: Ja. Rund 47 Prozent der Insassen in Werl sind schwerst drogenabhängig. Wenn man andere Gefängnisse in Deutschland betrachtet, weiß man, dass fast 80 Prozent der Frauen im Knast schwerst drogenabhängig sind. Bei den Männern sind es zwischen 58 und 60 Prozent. Da gibt es ja immer wieder das Thema: Das behandeln wir nicht im Knast, sondern draußen, auf freiwilliger Basis. Das funktioniert aber nicht. Da sollte man drüber nachdenken, dass wir da mehr im Knast leisten könnten, dass wir uns da mehr zutrauen sollten.

Macht ein Knast überhaupt Sinn? Wird man da zum besseren Menschen?

Bausch: Ich glaube schon, dass ich in einem der modernsten Vollzugs-Konzepte weltweit arbeite. Das ist natürlich ein Bestrafungs-Apparat, aber auch eine Chance, die Zeit, in denen die Leute bei uns sind, zu nutzen. Das müssen wir noch intensiver tun. Menschen im Knast zu verwahren, ist nicht genug. Das bedeutet aber auch, noch ein paar Leute beim Personal mehr, den einen oder anderen Euro mehr dafür auszugeben. Wir tun schon viel, könnten aber noch mehr tun.

Was zum Beispiel?

Bausch: Wir brauchen nicht noch dickere und höhere Mauern. Wir brauchen mehr Anti-Gewalt-Trainings, Psychotherapien, mehr soziales Training. Man darf das nicht nach dem Gießkannen-Prinzip machen, sondern muss individuell gucken, wer braucht was. Noch etwas: Viele unserer Gefangenen sind nicht sozialisiert. Die muss man nicht resozialisieren, denen muss man erst einmal ein soziales Miteinander beibringen. Ganz wichtig ist auch, auf die Leute schon am Anfang zu gucken, im Jugendarrest.

Sie sagen, dass es nicht sein darf, dass jemand damit prahlt, seine Strafe sozusagen auf der linken Arschbacke abgesessen zu haben.

Bausch: Ja. Es darf nicht sein, dass einer sagt, ich war zwei Jahre im Knast und habe anderthalb davon abgehangen. Ich hatte immer was zu kiffen, warm war es auch, zu essen gab es was. Der Kopf ist das Organ, um das wir uns bei den Insassen kümmern sollten. Es muss einen gesellschaftlichen Konsens darüber geben, dass es sich für die Gesellschaft lohnt, Geld in den Knast fließen zu lassen. Wenn man da spart, kostet es die Gesellschaft an anderer Stelle sehr viel Geld.

Joe Bausch sucht auch privat keinen Abstand zum Knast. Ihr Haus liegt im Schatten der Wachtürme, Sie gucken auf die Haftanstalt. Ihre Tochter ist dort aufgewachsen. Ist das schön?

Bausch: Also, die ersten zwölf Jahre bin ich nach Werl gefahren. Ich habe in Witten, in Essen und die längste Zeit meines Lebens in Bochum gewohnt. Ich mag die Menschen im Revier, die sind geradeaus. Nach zwölf Jahren habe ich dann gedacht: Es ist zu viel Zeit meines Lebens, die im Auto flöten geht. Dann bot es sich an, dass diese große, schöne Wohnung frei wurde, in der ich jetzt lebe. Der Knast ist ein schönes denkmalgeschütztes Gebäude. Ich habe auch keine Nachbarn, die lärmen. Wenn da mal zu viele aus den Fenstern schreien, rufe ich da an, und frage, ob die das in Ordnung finden.

Sie sind Arzt und Schauspieler. Was unterscheidet die beiden Berufe?

Bausch: Die unterscheiden sich gar nicht so wesentlich. Ein Arzt, der kein Interesse an Menschen hat, kann kein guter Arzt sein. Und ein Schauspieler, der keine Menschen beobachtet, kann nicht spielen.

Sie machen keinen Urlaub, haben Sie einmal gesagt. Vor der Kamera zu stehen, seien Ihre Ferien.

Bausch (lacht): Ja. Ich habe keine Sorge zu arbeiten. Ich mache das gerne. Ich könnte mich auch hinsetzen und sagen: Hallo, ich bin Beamter. Für mich ist das Leben geklärt. Nein – ich will das Leben jeden Tag klären.

Sie sind im Westerwald aufgewachsen, sind der älteste Sohn eines Landwirtes. Sie mussten schon als Kind auf dem elterlichen Hof mithelfen.

Bausch: Da lernt man vor allem Verantwortung. Das gibt Wurzeln und auch Freiheit.

Dass Sie Mediziner wurden, haben Sie dem Dorfarzt zu verdanken, der auch Ihre Familie im Westerwald früher behandelt hat.

Bausch: Ja. Der kam zu den Leuten, dessen Meinung galt was, der traf Entscheidungen. Der hat zu meinem Vater gesagt: Dein Sohn ist klug, schick’ den mal zum Gymnasium. Sonst wäre ich da gar nicht hingegangen. Mein Vater wollte, dass sein Erstgeborener den Hof übernimmt.

Sie schwärmen im Buch sehr von diesem Landarzt. Das hätten Sie doch auch machen können. Warum geht man als junger Arzt in den Knast?

Bausch: Das war ein Zufall, der mich dahin gebracht hat. Ich habe aber gesehen, im Knast kann ich Medizin machen, die ich gerne mache, nämlich eine Ganzheitsmedizin. Ich bin da Generalist. Ich bin da nicht nur Lotsenarzt, nach dem Motto: Geh’ mal zum Orthopäden, zum Haut- oder Augenarzt. Das mache ich auch alles. Ich wollte mit Menschen immer eine möglichst umfassende Medizin machen. Das kann ich im Knast. Darüber bin ich glücklich.

Wie lange wollen Sie noch den Gerichtsmediziner Joseph Roth im Kölner „Tatort“ geben?

Also, mir macht das einen Riesenspaß. Mit diesem wunderbaren Team, mit Klaus J. Behrendt und Dietmar Bär. Der „Tatort“ ist das Schaufenster im deutschen Fernsehen. Ich mache das so lange, wie jemand sagt: Ich will dieses Gesicht vor der Kamera haben.

Sie sind 58 Jahre alt. Wenn Sie sich als Arzt in die Rente verabschieden, was machen Sie dann?

Bausch: Vielleicht nur noch spielen, nur noch schreiben und vielleicht mal Unterricht nehmen bei einem Maler und Bildhauer.

Bleibt man bei einem Job wie dem in Werl eigentlich ein Menschenfreund?

Bausch: Das ist eine Charakterfrage. Ich kenne Menschen, die sind nicht im Knast tätig und sind Menschenfeinde. Die brauchen gar nicht in Abgründe zu gucken, um feindliche Haltungen einzunehmen. Ich bin ehrlich und menschenfreundlich. Ich biete das jedenfalls an. Ich grüße auch Leute, die mich seit 15 Jahren nicht grüßen. Ich kann mir nicht merken, wenn ich dem begegne, grüße ich nicht. Mit so einem Mist will ich mein Gehirn nicht strapazieren. Es kostet ja manchmal mehr Kraft, Menschenfeind oder Zyniker zu sein, als anders zu bleiben.

Das 284 Seiten starke Buch „Knast“ von Joe Bausch ist im Ullstein Verlag , Berlin, 2012, erschienen. Preis: 19,99 Euro. Das Buch gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Joe Bausch, 4 CDs, 302 Minuten, vom Hörbuch Hamburg Verlag. Preis: 19,99 Euro.