Lippstadt. .

Wer dabei nicht nachdenklich wird, dem ist nicht zu helfen: „Crashkurs NRW“ lautet ein Projekt, das mit drastischen Bildern von tödlichen Unfällen und Schilderungen von privat oder beruflich Betroffenen junge Menschen dazu bringen soll, ihr Fahrverhalten zu überdenken. Gestern startete es für den Kreis Soest am Lippe-Berufskolleg.

Es geht an die Nieren, wenn ein Vater berichtet, wie er bei einem Verkehrsunfall vor elf Jahren seine Tochter verlor und wenn Feuerwehrmänner, Notfallseelsorger sowie Rettungssanitäter und Polizisten, die schon einiges haben erleben müssen, mit bebender Stimme von Unfällen berichten, bei denen junge Menschen starben. Entsprechend still war es, als 180 Berufsschüler, deren Führerschein noch neu ist, deren bewegende Schilderungen hörten.

„Wir wollen die jungen Leute in ihrem Innersten packen, es soll Betroffenheit hergestellt werden, damit sie ihr Fahrverhalten überdenken“, erläutert Polizeisprecher Winfried Schnieders den Sinn der Aktion, die mit Recht den Untertitel „Realität erfahren. Echt hart“ trägt. Die jungen Erwachsenen müssen einiges aushalten. Sollte es zu viel für sie sein, stehen noch während der Veranstaltung kompetente Ansprechpartner bereit, die helfen, das Gehörte und Gesehene zu verarbeiten.

Ganz groß ist die Betroffenheit, als Manfred Mois aus Lipperbruch jenes grausame Ereignis schildert, das das Leben seiner Familie für immer veränderte. Am Karfreitag 2010 wurde seine Tochter Marion (20) bei einem Verkehrsunfall auf dem Weg nach Hause getötet. „Das alles zu begreifen ist ein Horror“, erinnert er sich noch immer nur mühsam beherrscht an das Unbegreifliche. „Jeder von euch ist einzigartig und unersetzbar. Werft euer Leben nicht fort. Übernehmt Verantwortung für euch und alle die ihr im Auto mitnehmt“, appelliert er an seine Zuhörer. Warum er sich zum Reden entschloss? „Wenn ich nur einen vor einem Unfall bewahre, hat sich der Einsatz schon gelohnt.“

„Marion hatte Träume“, macht Schnieders deutlich. Und Träume haben auch die jungen Menschen vor ihm. Einige haben sie vor Beginn aufgeschrieben. Die Zettel wurden auf einen großen Ballon geklebt, den Schnieders schließlich zum Platzen bringt – so schnell können auch alle Träume enden. „Geht verantwortungsvoll mit eurem Leben um“, redet Schnieders daher den jungen Verkehrsteilnehmern ins Gewissen.

Von einem anderen schweren Unfall, bei dem er den (vergeblichen) Kampf um ein junges Leben hautnah mitbekam, berichtete Rettungsassistent Dirk Behrens. Im Mittelpunkt stand jedoch ein Unfall auf der B 1 zwischen Erwitte und Eikeloh, der vor knapp einem Jahr die Menschen erschütterte. Ein junges Pärchen war sofort tot, ein älterer Mann starb ein paar Tage darauf. Der Unfallverursacher, der viel, viel zu schnell unterwegs war, überlebte schwer verletzt.

Polizist Willi Helmig hatte an jenem Novemberabend Dienst. Noch immer denkt er mit Grauen an das Bild, das sich ihm an der Unfallstelle bot. „So jung, aber tot“, beschreibt er seine Gefühle, als der Notarzt nur noch bedauernd den Kopf schütteln konnte. „Ich habe ihre Gesichter immer vor Augen.“

Auch Notfallseelsorgerin Heike Gösmann spricht von einem Bild, das sie so schnell nicht vergessen werde, wie das junge Paar im Graben gelegen habe, „fast so, als würden sie schlafen“. Sie und ihr Kollege hatten anschließend die Aufgabe, den Eltern der toten Frau die schreckliche Nachricht zu überbringen. Sie bat ihre jungen Zuhörer, sich vor Augen zu führen, es wären ihre Eltern denen sie eine soclhe Nachricht überbringen müsse und nachzuempfinden, was ihre Familien dann empfinden würden.

Noch bedrückender machte alle Schilderungen, als die beiden toten jungen Menschen Namen – Jessica und Thomas – und ein Gesicht bekamen. Sie waren auf dem Weg nach Hause in Erwartung „eines richtig schön entspannten Feierabends“, wie Polizist Werner Bielawa, der das Unfallgeschehen aufarbeitete, berichtet. Der Unfallverursacher habe die völlig falsche Entscheidung getroffen, schon als er so aufs Gas drückte. „Ihr solltet Entscheidungen treffen, die richtig sind, wenn ihr ins Auto steigt und das heißt: Nicht unter Alkohol fahren, nicht zu einem alkoholisierten Fahrer steigen, anschnallen, runter vom Gas oder den Fahrer dazu bringen, besonnen zu fahren.“

Bis zu zehn dieser „Crashkurse“ will die Kreispolizeibehörde im kommenden Jahr anbieten. Schulleiter oder Schüler mit Interesse daran können sich gerne melden.