Warstein/Rüthen. Die Raumkapsel „Wostok 3-KA3“ war das Flaggschiff unter den Sonderformen der 21. Internationalen Warsteiner Montgolfiade. Der Spezial-Ballon erinnert an den russischen Kosmonauten Juri Gagarin. DerWesten ist mit in die Luft gegangen und erlebte eine äußergewöhnliche Fahrt vom Aufrüsten bis zur Landung auf der grünen Wiese.

Einchecken unter dem Pilz der Mitfahrerzentrale bei der WIM  - und schon geht’s rauf auf die Piste. Ljudmila greift uns hektisch unter die Arme. „Ihr seid genau die beiden Männer, die wir brauchen“, ruft sie aus. Höfliche Vorstellung bei den restlichen Crew-Mitgliedern. Dann legen wir mit Hand an beim Aufrüstungsprozess. Der Ventilator rast und Pilot Nikolai Galkin heizt im Knien die 350 Kilo schwere Hülle auf. Eine Gasflasche mit 70 Liter geht schon beim Start drauf.

Nach einer Viertelstunde ragt die Ballonhülle in die Höhe. Mächtige 47 Meter müssen jetzt gebändigt werden. Ein Dutzend Helferinnen und Helfer sichern das „Space Shape“. „Flott, flott. Über den Treppenschlitz rein in den Korb“, drängt uns Ljudmila zum Einsteigen. In jeder Ecke steht eine Gasflasche. Zwei für die bevorstehende Fahrt, zwei als eiserne Reserve für eventuelle Notfälle. Christian aus Soest klettert als dritter Beifahrer mit auffälligem Bauchumfang an Bord. Eng gequetscht, aber gespannt, warten wir auf das Startzeichen.

Und plötzlich schwebt die Raumkapsel völlig losgelöst nach oben. Ein bisschen dürfen wir uns wie Juri Gagarin fühlen, der vor 50 Jahren als erster Mensch die Sphären des Weltalls erkundet hat. Dem russischen Nationalhelden haben die „Kosmonauten“ aus Moskau ihre Sonderform gewidmet. Schneller als gedacht heben wir ab und gewinnen an Fahrt.

Herrlicher Blick auf Warstein und Umgebung

Ein herrlicher Blick auf die Stadt Warstein nach dem Start. Foto: Sellmann
Ein herrlicher Blick auf die Stadt Warstein nach dem Start. Foto: Sellmann © Unbekannt | Unbekannt

Der erste Eindruck ist ein wunderbarer Blick über das Montgolfiade-Gelände. Weniger schön sind die Steinbrüche unter uns. „Wie eine Mondlandschaft sehen die aus“, meint Christian über die riesigen Krater. Schon folgt das herrliche Panorama der Kernstadt Warstein mit den drei Kirchtürmen. Pilot Nikolai blättert seine Navigationskarte auf. Wo Rüthen liegt, will er wissen. Wir erklären es ihm auf Englisch. Der Westwind treibt uns weiter in Richtung Suttrop. Winkende Leute stehen am Straßenrand. Jubelnde Kinder sind aus dem Häuschen. Sie rennen vor Freude über die Stoppelfelder, schwenken Taschentücher und wünschen eine gute Reise.

Kallenhardt ist mittlerweile in Sichtweite. Hinter uns folgt eine Armada der gestarteten 133 Ballone. Romantisch ist die Ansicht von Schloss Körtlinghausen. Nikolai muss aufpassen, dass er den Kurs beibehält. Konzentriert schaut sich der 40-Jährige immer wieder um. „Du darfst den Wind nicht unterschätzen“, erfahren wir von ihm. Mit Heißluftschüben aus dem Brenner muss er den schweren Ballon im Gleichgewicht halten. Sonst könnte die Reise schnell vorbei sein. Über Funk kontaktiert Nikolai Galkin die Verfolger. Sie haben uns auf dem Schirm. Dran bleiben bis zur Landung heißt ihre wichtigste Aufgabe. Die erste Gasflasche ist leer.

400 Meter Höhe das Maximum im Luftraum des Flughafens

Pilot Nikolai Galkin schaut nach oben und hält Kontakt zu der Verfolger-Crew unten am Bodern. Foto: Sellmann
Pilot Nikolai Galkin schaut nach oben und hält Kontakt zu der Verfolger-Crew unten am Bodern. Foto: Sellmann © Hartwig Sellmann | Unbekannt

Wir sinken wieder ein wenig. 400 Meter Flughöhe wären ohnehin das Maximum, weil sich die Ballone im Luftraum des Flughafens Paderborn/Lippstadt bewegen. Nur Piloten mit Transponder haben eine Ausnahmegenehmigung. Nikolai lenkt seine Kapsel routiniert über die Baumwipfel. Hinter dem Waldstück erinnern kahle Flächen an die Folgen von Sturmtief Kyrill. Auch Nikolai reibt sich verwundert die Augen. Er hat viel gesehen, doch noch nie so einen Raubbau an der Natur.

Wir steuern auf Rüthen zu. Rechter Hand die Stadtmauer und das Wahrzeichen – der Hexenturm. Die ersten Ballone setzen schon zur Landung an. Nieselregen droht. Nikolai signalisiert, er werde ebenfalls ein Ziel am Boden ausloten. Sicher ist sicher. Die kleine Wiese im Hankerfeld hält er für geeignet. Sanft setzen wir auf und lösen einen Menschenauflauf aus. So als käme ein Objekt vom anderen Stern zur Erde. Nur aus sicherer Entfernung begutachten Frauen, Männer und Kindern die scheinbar außerirdische Erscheinung. Trauen sie uns nicht?

Erst als Nikolai um Hilfe bittet, legt sich der Respekt. Die Verfolger haben uns offenbar nicht mehr auf dem Radar. Wir bräuchten sie jetzt. Wenn niemand den schweren Korb festhält, droht er wieder zu steigen. Der Pilot wird unruhig. Per Handy schimpft er mit Ljudmila wie ein Rohrspatz. Auf Russisch fliegen die Fetzen. Nikolai Galkin hat Angst um sein kostbares Stück. Rund 250 000 Euro sind kein Papenstiel.

Große Mannschaft an Helfern im Hintergrund

46 Minuten dauerte unsere Fahrt der besonderen Art, fast zehn Minuten die Suchaktion. Aber dann kommen die Helfer schlagartig aus den Büschen. Ljudmila, Viktor, der erste Peter, der zweite Peter und Stanislav, alle selbst erfahrene Ballonfahrer. Die Männer aus Deutschland haben teilweise ihre gesamte Familie mitgebracht. Was für ein Rummel. Solidarisch sprechen sich die befreundeten Crews ab, wer wem hilft bei der WIM. Eine große Mannschaft im Hintergrund stemmt das Spektakel der Sonderformen. Toll!

Denn nun beginnt die Hauptarbeit quasi wieder von vorn: Einpacken (nach dem Aufrüsten) der riesigen Ballonhülle. Dieser Kraftakt dauert bald länger als die gesamte Fahrt. Erst wird eine Folie ausgebreitet, dann die Hülle sorgfältig darauf niedergelassen, damit sie nicht dreckig oder nass wird. Der Wostok-Stoff ist für die Russen ein Heiligtum. Verständlich.

Die Taufe nach der Jungfernfahrt gehört dazu. Mitreisende werden in den Adelsstand erhoben. Foto: Sellmann
Die Taufe nach der Jungfernfahrt gehört dazu. Mitreisende werden in den Adelsstand erhoben. Foto: Sellmann © Unbekannt | Unbekannt

Es wird debattiert und diskutiert. Dann ist das letzte Quäntchen Luft endlich raus. Stanislav kommt mit einem großen, roten Sack. Die Hülle wird gefaltet, gerollt und gedrückt. Am Ende passt sie tatsächlich rein. „Hebt an“, heißt das nächste Kommando. Der Sack, schwer wie Blei, landet im vorderen Bereich des Hängers. Schieben bis der Schweiß tropft. Genügend Platz muss für den Korb bleiben. Nikolai rangiert erneut den Transportwagen. Kommando „Korb hoch“ und „absetzen“. Drin ist das Ding. Reine Millimeterarbeit.

Als Graf von Hankerfeld und Baron von Rüthen getauft

Was an der verrückten Kurzreise jetzt noch fehlt? Natürlich die obligatorische Taufe der Jungfernfahrer. Mit Gras statt Erde, kurz mal einem Feuerzeug im Haar und Krimsekt statt Wasser über dem Kopf. So zelebrieren das die Russen. Pilot Nikolai vollzieht die Zeremonie und gratuliert zur Aufnahme in den Adelsstand. Graf von Hankerfeld und Baron von Rüthen (mein Schwager) werden wir ab sofort in Ballönerkreisen genannt. Uns gehört nun das ganze Umland. Aber Adel verpflichtet. Wir müssen schwören, künftig immer Erste Hilfe zu leisten, wenn wir sehen, dass ein gestrauchelter Ballonfahrer sie nötig hat. Versprochen!