Warstein. . Reinhard Hesse aus Warstein unterrichtete brasilianische Studenten, wurde von Spionen beobachtet und wurde Zeuge der brutalen Militärdiktatur.

Dass man als Philosophie- und Ethikprofessor nicht nur alte Hörsäle zu sehen bekommt, beweist der Warsteiner Reinhard Hesse. Auch nach seiner Pensionierung lebt der 73-Jährige seinen Beruf als Dozent weiterhin mit Leib und Seele aus. Im Auftrag des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) zog es ihn schon in seiner aktiven Zeit in viele ferne Länder, als pensionierter Philosophie-Professer setzt er diese Reisen fort. In diesem Monat steht Kasachstan auf seinem Programm.

Dort schlüpft er für sechs Wochen erneut in die Rolle des Lehrenden und gibt sowohl Studenten als auch Dozenten Vorlesungen über die europäische Geistesgeschichte an der staatlichen Universität Westkasachstan.

Zeitungsausschnitt einer brasilianischen Zeitung im Jahr 1995. Reinhard Hesse veröffentlichte in diesem Jahr sein Buch
Zeitungsausschnitt einer brasilianischen Zeitung im Jahr 1995. Reinhard Hesse veröffentlichte in diesem Jahr sein Buch "Praktische Vernunft und politische Verantwortung. Im Titel des Artikels steht: Hesse warnt vor den Gefahren mangelnder Moral in der Politik.  © Reinhard Hesse

In einem fremden Land zu unterrichten, in dem die demokratischen Prinzipien nicht im gleichen Maße gelten wie in Deutschland, ist für Reinhard Hesse nichts Ungewöhnliches.

Der langjährige Leiter des Lehrstuhls für Philosophie und Ethik an der Universität Freiburg forschte und dozierte im Laufe seines Lebens an Hochschulen in China, Indien, Indonesien, Bulgarien, Sri Lanka, Argentinien, Kuba, Frankreich und Japan. Ein Aufenthalt in Brasilien war aber wohl die einschneidendste Erfahrung in seinem Leben.

Furcht vor linkem Gedankengut

„Das erste Mal war ich 1977, zu Zeiten der militärischen Diktatur, für ein Jahr in Brasilien“, erinnert sich der gebürtige Warsteiner. „Die philosophische Fakultät wollte damals zwar gerne ausländische Dozenten referieren lassen, die Regierung jedoch nicht.“ Insbesondere in den Geisteswissenschaften soll es sehr schwer gewesen sein, weil die Regierung befürchtet habe, dass Dozenten linkes Gedankengut nach Brasilien bringen. „Was auch immer die damals für links gehalten haben“, lacht Hesse.

Durch Zufall kam die Fakultät dann auf Hesse. „Ich habe an der Universität zufällig einen Brasilianer kennengelernt, mit dem ich mich auf Deutsch unterhalten konnte“, erzählt er. Hesse hatte damals gerade seine Doktorarbeit geschrieben – die sich letztlich als sein Ticket nach Südamerika entpuppte. Für ein Jahr wurde er eingeladen, um Philosophie-Vorlesungen zu halten.

Auf Stichworte wie „Marx“ geachtet

Bei jeder Lehrveranstaltung saßen jedoch nicht nur Studenten, sondern auch ein Spion des Militärs im Hörsaal, der Reinhard Hesses Vorlesungen kontrollierte. „Das war allen Studenten bewusst. Das sah man auch sofort.

Er war älter und kein Studenten-Typ“, erklärt der heute 73-Jährige. Seinem Gedankengang musste dieser Spion während der Vorlesung aber nicht folgen, sondern nur darauf achten, ob er bestimmte Wörter gebrauche „wie Marx, Engels oder Sozialismus – also das war ziemlich lächerlich“, lacht Hesse auch heute noch darüber.

Hesse lebt heute in Konstanz

Reinhard Hesse ist in Warstein geboren und aufgewachsen. Nach seinem Abitur an dem Lippstädter Ostendorf Gymnasium zog es Reinhard Hesse 1965 zum Studium nach Gießen.

Nach seinem Studium promovierte er an der Reformuniversität Konstanz. In der Stadt am Bodensee lebt er nach wie vor.

In regelmäßigen Abständen zieht es den gebürtigen Warsteiner für einige Tage in seine Heimatstadt.

Ihm sei bewusst gewesen, dass es lediglich dazu dienen sollte, sowohl ihn als auch die Studenten einzuschüchtern, sagt Reinhard Hesse. Geschafft habe der Spion das aber nicht.

Manchmal gingen die Aktionen der staatlichen Kräfte aber auch über Einschüchterung hinaus. „Bei einer Studenten-Demonstration gegen die Militär-Regierung bin ich Zeuge geworden, wie die Spezial-Polizei Studenten, ohne provoziert worden zu sein – das habe ich selbst gesehen –, ziemlich brutal zusammengeschlagen hat“, erzählt Hesse. In seiner nächsten Vorlesung berichtete er darüber und machte seine Meinung deutlich. „Daraufhin kam der Dekan zu mir und bat mich, ihn zum Rektor zu begleiten.“

Bei dem Gespräch bat ihn der Rektor, zu bedenken, dass er als Ausländer nicht berechtigt sei, sich in die politischen Angelegenheiten des Landes einzumischen. „Er sagte mir, dass er es außer acht lasse, ob es richtig oder falsch war, was ich da gesagt habe.“

Magister-Kurs aufgebaut

Nach dem Ende der Militärdiktatur zog es Reinhard Hesse von 1989 bis 1993 erneut nach Brasilien. Im Auftrag des DAAD sollte er an der Universität von Santa Catarina im Süden des Landes dabei helfen, einen Magister-Kurs aufzubauen. Gemeinsam mit den Professoren der Philosophie entwickelte er einen Studiengang samt Kursinhalt. „Unsere Bemühungen waren aber leider erfolglos“, erzählt er.

Zweimal zog es Hesse nach Brasilien.
Zweimal zog es Hesse nach Brasilien. © wruebel

„Jedes Jahr haben wir einen Antrag gestellt, der an das brasilianische Ministerium ging.“ Nach fünf gescheiterten Versuchen entschlossen Hesse und das Team der Professoren, zu warten, bis eine neue Regierung gewählt werde.

Dieser Plan ging letztendlich auf: Eine neue Regierung kam ins Amt und schnell wurde der Antrag genehmigt. „Leider habe ich das am Ende nicht mehr mitbekommen“, erzählt Reinhard Hesse, der zuvor wieder nach Freiburg zurückgekehrt war.

In Kasachstan freut sich der Warsteiner nun auf neue Erfahrungen in einem fremden Land. Was ihn danach erwartet, weiß er noch nicht. Nur als Dozent will er weiterhin tätig sein. Denn das Schönste sei, jungen Menschen dabei zu helfen, zu eigenständigem kritischen Denken zu motivieren und zu unterstützen. „Das ist manchmal gar nicht so leicht“, lacht Reinhard Hesse.

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