Warstein. . In der LWL-Tagesklinik in Warstein wird mit Patienten daran gearbeitet, positiven Stress zu nutzen. Und negativen Stress hinter sich zu lassen.
Genau genommen steht heute noch der Geburtstag eines Freundes an. Genau genommen müsste Sport auch mal wieder sein. Genau genommen ist der Kühlschrank leer. Aber noch immer liegt der Körper im Bett. Einfach so, die Augen an die Decke gerichtet. Die Müdigkeit hört nicht auf. Zu müde, um zu essen, zu müde für einen klaren Gedanken. Wochenlang hält dieser Zustand schon an. Die Müdigkeit nimmt weiter zu. Immer seltener findet das Leben außerhalb der Wohnung statt.
Kleine Dinge als Stressverursacher
Jana Quibeldey aus Anröchte kennt diese Situationen gut. Die 26-jährige Sozialarbeiterin arbeitet in der LWL-Tagesklinik Warstein mit Menschen zusammen, denen Stress körperlich und psychisch zugesetzt hat. So sehr, dass sich eine Angsterkrankung oder Depression daraus entwickelt hat.
„Es sind häufig die kleinen Dinge, die Stress machen. Dafür braucht es keinen großen Schicksalsschlag“, weiß Quibeldey. Erst im Rahmen der Stressbewältigung merken manche der Patienten, dass sie nicht ausgeglichen sind, die Arbeit ihnen zusetzt.
Sozialer Rückzug
Die Anzeichen treten klein und unscheinbar auf. Kopfweh, Magenprobleme, Schlafstörungen. Symptome, die nicht ungewöhnlich sind und daher nicht direkt bewusst in Zusammenhang mit einer zu großen Last verbunden gebracht werden. Ein Fehler. „Die Leute versuchen damit klarzukommen, auch wenn das bedeutet, dass sie sich sozial zurückziehen, um das Pensum zu schaffen. Das geht so lange, bis arbeiten irgendwann auch nicht mehr funktioniert“, erklärt die Sozialarbeiterin die kleinen Schritte bis zur Arbeitsunfähigkeit.
Die Leidtragenenden vernachlässigen ihre Work-Life-Balance, also das Gleichgewicht zwischen Arbeit und dem Privatleben. Dabei helfen laut Quibeldey gerade die Freizeitaktivitäten dabei, wieder zu Kräften zu kommen. Sie versucht aus diesem Grund, den Leuten wieder zu vermitteln, auf sich zu schauen und Erholungspausen einzuhalten. Das geschieht teilstationär, von 8 bis 16 Uhr, in der Tagesklinik. Dadurch haben die Patienten Zeit, das Gelernte auch in ihrem Alltag anzuwenden.
Zurückziehen ist keine Option
Konkret bedeutet das vor allem, eine Tagesstruktur aufzubauen, die vielen abhanden gekommen ist. Gruppen- und Einzelgespräche, Sport, Entspannung und auf die angenehmen Dinge schauen. Letzteres geschieht in der Genussschule. Wie schmeckt eine Zitrone, wo finde ich angenehme Gerüche? Denkbare Kleinigkeiten, zu denen viele aber keinen Zugang mehr haben. Doch Gerüche, Geschmackserlebnisse und die damit verbundenen guten Gefühle können positive Erinnerungen wecken.
In der LWL-Klinik können die Patienten lesen, den Ruheraum nutzen. Dinge, die Zuhause zuletzt vernachlässigt wurden. „Sie nehmen den Austausch in der Gruppe gut an. Komplett kann sich hier niemand zurückziehen“, sagt Quibeldey, „über seine persönlichen Probleme zu sprechen, erfordert Mut, aber diese Hemmungen sind häufig schnell abgebaut.“ Aber nicht nur der Austausch untereinander gibt Anreiz zur Selbstreflexion.
Das Positive im Problem erkennen
Drei Ansatzpunkte spielen bei der Stressbewältigung eine Rolle: Der Auslöser, die Haltung gegenüber Stress und die Reaktion auf ihn. Bei der Haltung geht es darum, zu erkennen, wie der Einzelne Stress bewertet. Weg vom Perfektionismus, hin zur gedanklichen Umformulierung von Stress.
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Heißt, positiv denken und die Herausforderung sehen. Das neue Projekt, die Fortbildung, die anstehende Hochzeit. Sie können positiven Stress beinhalten. „Stress ist auch gut, weil unser Organismus dadurch nicht verlernt, sich auf Neues einzustellen. Das ist die Würze des Lebens“, erklärt Quibeldey den Nutzen der Anstrengungen.
Langfristige Erholung als Ziel
In Bezug auf die Stressreaktion ist wichtig zu erkennen, welche regelmäßigen Maßnahmen zur eigenen Erholung beitragen können, wie Sport, soziale Kontakte, Freizeitaktivitäten und ausreichend Schlaf. Die Sozialarbeiterin warnt aber vor der alleinigen Kombination aus Sofa und Fernsehen. „Das hilft manch einem sicher kurzfristig bei der Erholung, aber irgendwann bleibt dieser Effekt aus. Aktiv sein ist sehr wichtig, denn Erholung kommt nicht auf uns zugeflogen.“
Nach sechs bis acht Wochen intensiver Unterstützung in der LWL-Tagesklinik ist aber nicht direkt alles wieder in Ordnung. Die Sozialarbeiterin und auch die Ärzte in der Klinik arbeiten darauf hin, dass die vom Stress belasteten Patienten auch langfristig zurechtkommen.
Der neue Arbeitsalltag
Eine Nachsorge soll zu Verbesserungen am Arbeitsplatz führen. Dazu können auch gemeinsame Gespräche mit dem Arbeitgeber gehören. Diese sind der Erfahrung von Jana Quibeldey nach meist neugierig interessiert und offen gegenüber dem Thema eingestellt. Für große Betriebe ist das Thema nicht neu, kleinere haben hingegen häufig weniger Erfahrung und können daher unsicherer auftreten. Gespräche mit beiden Parteien sollen klären, was die Firma braucht und welche Bedürfnisse der Patient hat, um wieder erfolgreich in den Arbeitsalltag eingegliedert zu werden.
Jetzt heißt es, den Stress gering zu halten und die Hinweise aus den Gesprächen zu beachten. Oder, wenn es nach der Sozialarbeiterin geht, im schlimmsten Fall zumindest auf den Körper zu hören, wenn es zu viel wird. Denn Stress lässt sich nicht dauerhaft vermeiden, wie sie weiß. „Man hat immer Themen im Leben. Wichtig ist es daher, einen Ausgleich zu finden für die Dinge, die einen zu sehr fordern. Das ist kein Hexenwerk.“
Was zur Erholung beitragen kann
Für Quibeldey ist es zunächst wichtig herauszufinden, wie sich die Betroffenen nach der Arbeit fühlen. Denn bei Erschöpfung gilt es anders zu reagieren, als bei Unruhe. Ist Energiezufuhr wichtig, beispielsweise durch einen Spaziergang oder ein Entspannungsbad, oder muss Sport dabei helfen, zur inneren Ruhe zu kommen? Wer das eigene Bedürfnis erkannt hat, kann sich an neuen Methoden versuchen, die dabei helfen können, den Körper zu entspannen.
Wichtig ist auch nein zu sagen. „Sonst ist der Zeitplan schnell voll. Zeitmanagement ist gefragt und Prioritäten setzen“, weiß Quibeldey. Was ist im Alltag nicht wichtig, wie sieht die Arbeitssituation aus? Im Berufsleben sollte Platz für Pausen sein. Lässt sich am Arbeitsalltag nichts ändern, sollte das umso deutlicher auf die Freizeit zutreffen, um für Entspannung sorgen zu können. „Das gilt auch umgekehrt. Ist die Freizeitgestaltung nicht flexibel genug, ist ein ausgeglichener Arbeitsplatz umso wichtiger“, erklärt die Sozialarbeiterin.
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