Langscheid. Hat man mit 65 Jahren ausgedient, wenn man in Ruhestand geht: „Eindeutig nein“, sagt Prof. Dr. Sigrid Tschöpe-Scheffler aus Langscheid.
Wer über 65 Jahre und in Ruhestand ist, gehört längst nicht zum alten Eisen. Es gibt Momente, wo die Erfahrung eines Menschen gebraucht wird. Das ist auch die Intention der Frauenzeitschrift Brigitte, die den Preis „Mensch 60plus“ ausgerufen hat. In der jüngsten Ausgabe wird die Prof. Dr. Sigrid Tschöpe-Scheffler nominiert.
Die Langscheiderin (69) wurde 2015 emeritiert. Danach brachte sie sich u.a. bei der Vorbereitung der Freien Schule am See ein. Eigentlich hätte sie sich an der Sorpe zur Ruhe setzen können, denn sie hat viel erreicht. Doch nun ist sie zu neuen Ufern aufgebrochen, weit weg von Langscheid und dem Sauerland. Dabei war das aber alles schon irgendwie da: „Ende der 50er Jahre, ich war sieben Jahre alt, habe ich begonnen in den Kirchenzeitungen meiner katholischen Tante die Berichte über Missionare in Afrika zu studieren. Ich betrachtete neugierig die Fotos von mir fremden Menschen, las Geschichten über das Leben der Kinder und träumte mich in diese unbekannten Gegenden“, sagt Sigrid Tschöppe-Scheffler. Und dann stand fest: „Ich werde Entwicklungshelferin.“
Es kam anders
Es kam anders: Sie heiratete, nahm fünf relativ große Pflegekinder auf und zog sie mit ihrem Mann groß. Nebenbei studierte und arbeitete Sigrid Tschöpe-Scheffler. Als die Kinder anfingen, flügge zu werden, hat
sie promoviert. Von 2003 bis 2015 Direktorin des Instituts für Kindheit, Jugend und Familie an der Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften in Köln. Und dann begann ein neues Kapitel im Leben der Langscheiderin: „Ich habe mir einen Kindheitstraum erfüllt: Als ehrenamtliche Volontärin der irischen gemeinnützigen Organisation Light of Maasai bin ich 2015 erstmals in das Dorf Rombo am Fuße des Kilimandscharo nach Kenia gereist, um dort in einem der vielen Projekte mitarbeiten zu können“, erzählt sie über die Anknüpfung an den Berufswunsch mit sieben Jahren. Die Schwerpunkte der irischen Organisation liegen in der Wasserversorgung, dem Bildungssystem und der Gesundheit. „Mit der Leiterin Elaine Bannon wurde vor meiner Reise abgesprochen, dass ich sowohl Unterricht in den Schulen geben als auch in der Lehrerweiterbildung tätig sein sollte“, erzählt Sigrid Tschöpe-Scheffler. Die Themen reichten von Informationen über das deutsche Familien- und Schulsystem über neue Lehr- und Lernmethoden und Fragen zur Resilienz: „Die haben wir dann tatsächlich unter einem Akazienbaum sitzend angeregt erarbeitet“, erinnert sich die früher Professorin.
Leben von der Viehzucht
Die Dorfbewohner in Rombo gehören den Maasai an, die in erster Linie von der Viehzucht leben. Das Wasser wird von den Frauen in Kanistern auf dem Kopf von den Bächen oder Wasserstellen geholt. Die Häuser bestehen aus Dung und Schlamm mit einer Drei-Steine-Feuerstelle in der Mitte. Viele Kinder können nicht zur Schule gehen, da die Eltern sich das Schulgeld nicht leisten können (50 bis 400 Euro/Jahr) und die Kinder beim Hüten der Tiere eingesetzt werden.
Die Arbeit begann bald: Auf dem Motorrad mit Sozialarbeiter Jonathan wurden nun täglich die weit verstreut liegenden Schulen und Kindergärten in der Umgebung besucht. Sigrid Tschöpe-Scheffler erinnert sich: „Es waren holprige Wege durch den Busch, zum Teil mussten wir in der Regenzeit das Motorrad durch große Wasserlachen schieben, es ging vorbei an Ziegen- und Kuhherden. Aus den Dörfern kamen Kinder gelaufen, die freudig der weißen Frau zuwinkten und sie mit ,Jambo’ begrüßten.“
Zurück nach Rombo
Über den Schulbetrieb berichtete die Langscheiderin: „Sie waren Frontalunterricht gewöhnt und trauten
sich anfangs noch nicht, etwas zu sagen. In den Pausen zeigten sie mir ihre Schulküchen, teilten mit mir den Maisbrei und erzählten von ihren Familien. Später luden mich einige ein, sie zu besuchen.“ Und so wuchs die Erfahrung über das Land am Kilimandscharo täglich: „Immer wieder wurde die Frage an mich herangetragen, ob ich nicht eine Schulpatenschaft übernehmen könnte. Inzwischen habe ich ca. 20 Kinder in Deutschland vermitteln können und besuche sie und ihre Familien bei meinen jährlichen Keniaaufenthalten, kann an ihren Fortschritten und Problemen in den Familien Anteil nehmen, und es haben sich kleine Freundschaften entwickelt.“
Ausgeflogen
Im März 2020 ereilte Sigrid Tschöpe-Scheffler wie viele das Corona-Schicksal: Sie wurde kurz vor Ostern
nach Deutschland ausgeflogen. Die aktuelle Situation in Kenia beunruhigte sie enorm. Doch inzwischen geht es nach monatelangem Aus für die Projekte weiter.
In wenigen Tagen wird Prof. Dr. Sigrid Tschöpe-Scheffler nun wieder nach Kenia reisen, um ein Projekt abzuschließend, den Bau eines Begegnungszentrums. Finanziert hat sie das aus eigenen Mitteln, aus Spenden und ihrem Erbe. Neun Häuser wurden zusätzlich neben dem Zentrum gebaut. Im ersten Haus wohnt der Arnsberger Christoph Menke, der zur Zeit als Volontär dort arbeitet. Dazu berichtet die Langscheiderin: „Mit der Feier anlässlich meines 70. Geburtstags in dem Gemeindezentrum mit vertrauten Menschen aus Kenia und aus Deutschland wird sich ein Kreis schließen, der mit den Kindheitsträumen des siebenjährigen Mädchens begonnen hat.“