Siegen. . Drogenkonsum ist gefährlich – kann aber auch eine bewusstseinserweiternde Wirkung haben. Eine Siegener Studentin berichtet von ihren Erfahrungen.
Julia Krämer ist sehr gut gelaunt, als sie sich neben mich auf das Sofa im Schellack setzt. Hier haben wir uns zum Interview verabredet. Sie war gerade noch in der Stadt, hat ein paar ihrer Bilder ausdrucken lassen. Getrocknete Farbe an ihren Fingern zeugt davon, dass sie heute auch schon gemalt hat. „Ich brauche das einfach. Sonst werde ich verrückt“, erklärt die 21-Jährige. Sie studiert seit sechs Semestern in Siegen, Kunst im Bachelor.
Wir bestellen uns etwas zu trinken, sie einen Korn mit Sprite, ich ein Bier. Julia, die eigentlich anders heißt, beginnt aus ihrer Vergangenheit zu erzählen: wie sie Teil der „Drogenszene“ wurde, wie sie wieder rauskam und welche Rolle die Substanzen heute für sie spielen. Es sind unglaubliche, teils erschreckende Geschichten.
Der Anfang
In einem Technoclub ist sie mit sechszehn Jahren das erste Mal mit typischen Partydrogen in Kontakt gekommen, vor allem Ecstasy und Kokain. Sie probiert aber auch verschiedene Halluzinogene. „Ich war immer schon neugierig, von daher haben Drogen zu mir gepasst“, sagt sie. In dem Club, einem Treffpunkt der Drogenszene in ihrer Heimatregion, lernt sie auch ihren ersten richtigen Freund kennen. Sie beschreibt ihn als einen „Druffi“. Der gemeinsame Rausch sei immer eine Konstante in ihrer Beziehung gewesen. Am Wochenende dauerte er nicht selten von Freitag bis Sonntagabend an, ohne Schlaf. „Es war wirklich eine krasse Zeit“, erinnert sie sich. „Ich war eine Dauerkonsumentin, habe alles mal probiert, habe einmal Crack geraucht, einmal eine kleine Dosis Heroin versucht. Aber ich habe mir immer gesagt: Ich will das. Und nicht: Ich brauche das.“
Während eines Auslandsaufenthaltes in den USA hat sie sogar mal Crystal Meth genommen, aus Versehen. „Ich habe ein Päckchen mit weißem Pulver gefunden und dachte, es wäre Koks. Ich habe eine Fingerspitze in den Mund genommen, um es zu testen, und gemerkt, dass es Crystal ist“, sagt Julia. Die Droge habe sie extrem beflügelt. Nach einem Tag jedoch fuhr ihr Hirn komplett wieder runter, auf den Rausch folgt ein heftiges Down.
Das Studium
Trotz des ausgiebigen Konsums bleibt Julia aber immer fokussiert, besteht ihr Abi und kommt mit 19 Jahren nach Siegen. Sie studiert Kunst im Bachelor. „Als ich hier anfing, hing ich noch voll drin“, erinnert sie sich. Damals dealt sie auch ein bisschen, verschickt per Post Speed an Bekannte und macht so einen kleinen Gewinn. „In dieser Zeit hatte ich auch immer einen Vorrat davon in der Gefriertruhe meiner WG gebunkert, mindestens zehn Gramm“, gesteht sie. Ihren Mitbewohnern sei das aber nie aufgefallen. Sie nimmt die aufputschende Substanz meist heimlich und bestreitet schließlich sogar ihre erste Klausurenphase „komplett auf Pep“ (Synonym für Speed). Fast eine ganze Woche ist sie dauerhaft wach. Es funktioniert, auch wenn sie heute nicht mehr weiß, wie sie es gemacht hat.
Im Laufe ihres ersten Semesters lernt sie auch Sebastian kennen, einen Ticker, der ihr bester Freund wird. Die beiden hängen oft zusammen rum. Irgendwann verrät er ihr, dass er bereits seit sieben Jahren heroinabhängig ist. Sie bricht den Kontakt zu ihm nicht ab, besucht ihn weiterhin. Es kommt zu der hässlichsten Szene, die sie mir im Laufe unseres Gesprächs schildert. Julia erlebt mit, wie Sebastian in purer Verzweiflung nach einer Einstichstelle sucht, weil seine Venen den Stoff nicht mehr aufnehmen wollen. Sie erinnert sich an ein Wohnzimmer voller Blutspritzer, an den Zusammenbruch ihres Kumpels. Situationen wie diese machen ihr damals klar, dass sie raus will aus der Drogenszene. Eigenständig erkennt sie, dass sie dafür ihren Freund verlassen muss. Sie beendet ihre erste Beziehung, wechselt fast ihren kompletten Freundeskreis und entsagt ab ihrem 20. Geburtstag allen „schnellen Drogen“.
Der Ausstieg
Der Absprung gelingt ihr recht gut. Sie hat bereits vorher mit dem Rauchen aufgehört, als ihre Tante an Lungenkrebs starb. Dass sie es geschafft hat, führt sie auch auf ihr stabiles soziales Umfeld zurück, auf ihre Familie und Freunde. Zu den Leuten aus der Szene finde sie heute keinen Draht mehr: „Bei denen geht es immer nur um den nächsten Trip. Mich haben aber auch immer andere Dinge interessiert.“ Allen voran die Malerei. Ihr großes Talent hat sie während ihrer intensivsten Drogenzeit vernachlässigt, heute geht sie dieser Leidenschaft fast jeden Tag nach. „Malen ist, warum ich lebe, warum ich gerne 200 Jahre alt werden würde“, bekräftigt sie.
Die Gegenwart
Nicht aufgehört hat Julia mit psychedelischen Drogen, sieben- oder achtmal hat sie bisher LSD konsumiert, das letzte Mal im Januar. „Jedes Mal, wenn ich Acid genommen habe, verändert sich danach meine Kunst. Früher habe ich hyper-realistisch gemalt, sehr exakte Porträts zum Beispiel, heute sind meine Bilder viel abstrakter. Ich habe es noch nie bereut, Psychedelika genommen zu haben.“ Auch das Gefühl der Abhängigkeit verspürt sie nicht. Sie nehme LSD nur selten. Wenn sie sich weiterentwickeln und neue Erfahrungen sammeln möchte. Und um über wichtige Lebensfragen nachzudenken. „Nach einem Trip verspüre ich nie den Drang, das direkt nochmal zu machen. Das muss man dann erstmal verarbeiten, die neuen Erkenntnisse und so“, sagt sie.
Einmal war Julia auch unter dem Einfluss der bewusstseinserweiternden Substanz in der Uni. Angemerkt hat es ihr aber niemand. In der Regel werde sie höchstens ein bisschen nachdenklicher oder müsse mehr grinsen. Ob sie manchmal Angst davor hat, was während des Trips passieren könnte? Nein, sagt sie. „Die sollte man nicht haben, denn dann komme es zu genau den schlechten Erfahrungen, die man befürchtet. Du musst dir bewusst sein, dass du mit unbekannten Facetten der eigenen Persönlichkeit konfrontiert wirst“, ergänzt sie. Man hört heraus, dass sie ihren Konsum mittlerweile reflektiert und mit Bedacht angeht. Die Psychedelika werden wohl ein Teil ihres Lebens bleiben.
Hilfe bei Suchtproblemen findet ihr HIER (AWO) und HIER (Uni).
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