Siegen-Wittgenstein. . Der 100. Tag im Amt? Andreas Müller zuckt mit den Schultern. Das sei doch ein Tag wie jeder andere auch, abgesehen von der Kreistagssitzung in Bad Berleburg, die sich heute wohl bis in den späten Abend ziehen wird. Müller überlegt: „Die Zeit ist ganz schön schnell rumgegangen.“

Eine Zeit, die einmal als Schonzeit in der Politik erfunden wurde, damit ein Neueinsteiger sich erst einmal orientieren kann. Wenn man ihm denn dafür Zeit lässt.

Die beiden Flüchtlings-Aufnahmeeinrichtungen in Burbach und Bad Berleburg, als Dauer-Thema sowieso, seit dem Wochenende in Burbach mit neuer, abscheulicher Brisanz, der drohende Schwerverkehrs-Kollaps wegen der maroden B-54-Brücken in Burbach, die zwangsweise Stilllegung eines Pflegeheims in Bad Laasphe: „Es war immer Feuer unterm Dach“, stellt Müller fest. Um dann aber gleich hinzuzufügen, dass selbst ­herausforderndste Situationen „sehr unaufgeregt mit hervorragend funktionierender Fachlichkeit“ bewältigt wurden. Soll wohl heißen: so gut wie ohne jegliche Begleitmusik. Die macht Andreas Müller nicht einmal mehr privat: „Ton Art“ verabschiedet sich, und bei SiWi Vokal, dem Betriebschor der Kreisverwaltung, wird er wohl auch nicht aktiv. Regelmäßige (Proben-)Termine vor 20 Uhr funktionieren auf einmal nicht mehr.

Das Chef-Büro im 13. Stock des Kreishauses ist kleiner geworden, weniger als halb so groß wie das seines Vorgängers. Der neue Landrat hat Zwischenwände und einen kleinen Flur einziehen und einen Besprechungsraum abtrennen lassen. Dort sprechen wir darüber, wie er diese hundert Tage genutzt hat und was jetzt angesagt ist. Früher hätte jetzt Pfeifenrauch den Raum geschwängert. Andreas Müller zündet sich einen Zigarillo an. Nicht alles ist völlig anders geworden seit dem 23. Juni.

Ein Gespräch über...... die Kreisverwaltung

Da ging es ums Kennenlernen von Menschen und Abläufen. Aber nicht nur. Das, was er verändern wollte, zum Beispiel um Zuständigkeiten zusammenzuführen, hat er schnell verändert. „Bewusst“, sagt Andreas Müller, um Personalien nicht erst zum politischen Spielball werden zu lassen. Ganz gelungen ist ihm das nicht — die Neuorganisation der Dezernate traf auf öffentlichen Widerspruch der CDU-Fraktion. Müller scheint damit leben zu können. „Die SPD hat in den letzten zehn Jahren auch niemand gefragt.“ Und die Mitarbeiter? Manche seien zufrieden mit den Veränderungen, manche, die vertraut gewordene Aufgaben abgeben, eben nicht. „Das liegt auf der Hand.“

... Bürgermeister

„Ein sehr kollegiales Zusammentreffen“, sagt Andreas Müller über die Bürgermeisterkonferenz, einmal im Jahr naturgemäß eine geschlossene Front, wenn über die Kreisumlage verhandelt wird — diesmal, was sonst unüblich sein soll, sogar in Gegenwart des Landrats. „Wir haben uns sehr offen und ehrlich darüber ausgetauscht.“ Was wohl auch daran lag, dass die jetzt kursierenden Daten noch nicht Müllers Handschrift tragen. „Es ist jetzt meine Aufgabe, die Wünsche der kommunalen Familie entgegenzunehmen und im Gespräch mit der Kreispolitik auszubalancieren.“

Die anderen Landräte 

Der „Neue“ fühlt sich im Kreis der südwestfälischen Kollegen freundlich aufgenommen. Aktuell birgt die vom Siegen-Wittgensteiner Kreistag blockierte Fusion der Naturparke Konfliktstoff. Oder auch nicht. Er werde noch einmal mit den Bürgermeistern sprechen, sagt Andreas Müller. „Entscheiden muss jede Kommune für sich, ob sie eine solche Chance vergeben will.“

... die SPD

Kassierer und stellvertretender Gemeindeverbandsvorsitzender in Burbach will Andreas Müller auf Dauer nicht bleiben. Für das Amt im Vorstand des Unterbezirks möchte er am 25. Oktober wieder kandidieren. Müller weiß, was Kontakte wert sind: Beim Landesparteitag trifft er Minister, und in den Besuch der Partnerstadt Spandau baut er ein Arbeitsfrühstück mit den südwestfälischen SPD-Bundestagsabgeordneten ein.

... den Kreistag

„Wir probieren das mal aus“: Eine Serie von Vier-Augen-Gesprächen mit allen Fraktionsvorsitzenden steht an, „um abzuklären, wie man sich die Zusammenarbeit vorstellt.“ Wer will welche Themen voranbringen, was sind die Projekte? Und: Welches Klima wird in diesem Kreistag herrschen, werden sich Mehrheiten aneinander binden? „Ich mache ganz große Ohren“, sagt Andreas Müller. Als Landrat den Ton angeben und sich in der Politik eine Mehrheit zimmern? Dieser klassische Weg scheint nicht seiner. Angesagt ist wohl so etwas wie ein Führen im Dialog. Dass sich mancher Gesprächspartner, der anderes gewohnt ist, darunter nicht viel vorstellen kann, scheint Müller fast schon zu amüsieren. „Das wird sehr spannend.“

Die großen Themen 

Andreas Müller nennt drei.
Gesundheit — da geht es um Nachwuchs für die Hausärzte, der mit Stipendien gelockt wird: „Wir werden vielleicht in sechs, sieben Jahren über erste Ergebnisse sprechen.“ Und um die Krankenhausplanung, bei der die Gespräche der Träger in die heiße Phase kommen. „Da wird dann vielleicht auch persönlicher Einsatz gefragt sein.“
Dann Mobilität. „Wir müssen die gesellschaftliche Diskussion führen, wie sie gewährleistet werden soll und was sie uns wert ist.“ Die alte Frage, ob die Verkehrsbetriebe zurück in kommunale Hand gehören, sei nicht die zentrale. „Wir müssen vor allem aufpassen, dass wir die Steuerungsmöglichkeiten nicht verlieren.“
Schließlich die Kinderbetreuung: Den Auftrag, Familie und Beruf vereinbar zu machen, sieht Müller nicht erfüllt, auch nicht von der Kreisverwaltung, die selbst ja auch attraktiver Arbeitgeber sein müsse. Von ungefähr komme das nicht, dass die beiden Lehrerstellen im Kommunalen Integrationszentrum nicht besetzt würden und Amtsärzte für das Gesundheitsamt nur mit großen Mühen zu gewinnen seien.

... kein großes Thema

Wann kommt die Route 57, haben wir im 57-Fragen-Interview in dieser Zeitung gefragt. Kommt sie, hatte Andreas Müller zurückgefragt. Richtigen Ärger habe er sich damit eingehandelt , erzählt er. „Wir haben uns ausgesprochen“, berichtet Müller über den Dialog mit der Bürgerinitiative. Er möchte „in Ruhe sondieren und eine neue Initiative starten“, wie Wittgenstein und Siegerland besser miteinander verbunden werden können. Das dürfte auf die kleinen, wohl sehr pragmatischen Lösungen hinauslaufen. „Die Bürger glauben doch nicht ernsthaft daran, dass da jemals eine neue Straße gebaut wird.“ D a s hat auf dieser Etage noch niemand gesagt. Jedenfalls nicht so deutlich.