Siegen.

Das Atelier ist der Luftraum, rasant schrumpfende 4000 Meter über dem Erdboden. Seine Motive sind nicht statisch, sondern rasen mit bis zu 300 vertikalen Stundenkilometern der Erde entgegen. Der Siegener Stefan Gessner (27) pflegt ein außergewöhnliches Hobby: Er ist Freifallkameramann. Er stürzt sich aus Flugzeugen, um während des freien Falls zu filmen und zu fotografieren. Dazu gehört Erfahrung und Technik. Gessner besitzt beides.

Haarsträubende Schnappschüsse

Auch wenn das Material, das der Himmelssportler mit zu Boden bringt, zunächst einmal ganz profanen Zwecken dient, es ist von wuchtiger Ausdruckskraft; bestechend, authentisch, ungekünstelt – kunstvoll. Es sind Schnappschüsse voller Drive und Leidenschaftlichkeit, spannend, situationskomisch, dramatisch, emotional und mitunter im wahrsten Sinne des Wortes haarsträubend. Auf Sekundenbruchteile verdichtete Momentaufnahmen, die den gesamten ästhetischen Reichtum des Fallschirmspringens visualisieren.

Deutsche Meisterschaften in Eisenach

Die besten Deutschen Skydiver treffen bei den Deutschen Meisterschaften vom 2. bis 7. September in Eisenach (Thüringen).

Mit von der rasanten, temporeichen Partie: der Siegener Stefan Gessner mit seinem Team Vertigo. Seit Wochen trainiert das Trio in jeder freien Minute – am Boden und in der Luft.

Die Sequenzen, die der Mann einfängt, würden jedem Action-Thriller zur Ehre gereichen. Gessner, der im richtigen Leben als Export-Sales-Manager arbeitet, geht es jedoch darum, seinen Kameraden eine möglichst günstige Ausgangsposition zu verschaffen. Nicht zuletzt von ihm hängt es nämlich ab, ob die Vereinskollegen bei der Championship der Freifaller punkten, oder verlieren.

Beim Freeflying besteht jedes Team aus zwei Performern und einem Kameramann, wobei letzterer alles andere als das fünfte Rad am Wagen ist. Ihm obliegt die lückenlose Dokumentation des High-Speed-Tanzes, auf die sich die Jury später bei der Bewertung stützt. Seine Aufgabe ist es, die einzelnen Phasen des Sprungs seiner Kameraden lückenlos abzubilden. Patzt der Videokollege, können die Kollegen noch so brillant sein, es war für die Katz‘. Film ab!

Der Siegener, der seit fünf Jahren leidenschaftlich Fallschirmsport betreibt, vertritt die Farben von Skydive Westerwald. Dessen Akteure hüpfen im Wechsel auf der Hub im Westerwald und über dem nur wenige Luftkilometer entfernten Siegerlandflughafen aus dem Flugzeug.

35-Sekunden-Filme

Zwei Teams haben die Westerwälder Sportspringer für die Deutschen Meisterschaften nominiert. Beide treten in der Disziplin „ArtisticFreefly“ an. Das ist eine noch relativ junge, aber ungemein temporeiche Variante des Fallschirmsportes, die höchste körperliche und psychische Anforderungen an die Athleten stellt.

Im Gegensatz zum normalen Fallschirmspringen sind die Akteure dabei nicht an eine horizontale Fluglage gebunden, sondern sollen diese variieren, allerdings nach einem

zuvor genau definierten Muster, jeder Handgriff, jede Drehung, jede Rotation und jedes Manöver ist vorgegeben.

Die Kunst besteht darin, bei Geschwindigkeiten von bis zu 300 Kilometern pro Stunde potenziell instabile Positionen wie „Headdown“ (Kopfstand), „Stand-Up“ (Stehen) oder „Sitfly“ (Sitzen) kontrolliert zu fliegen, zu variieren und miteinander zu kombinieren – und das alles im Zusammenspiel mit dem Partner. Bei einer Absprunghöhe von 4000 Metern bleiben ihnen gerade mal 35 Sekunden Zeit, um ihr Programm abzuspulen.