Siegen. . 50 Jahre ABC-Zug in Siegen. 50 Jahre Lehrgänge, Übungen, Einsätze im Notfall. ABC-Zug-Mitglieder erzählen von ihren spannendsten, aber auch zum Teil skurrilsten Einsätzen. Eine Auswahl.
1. Tschernobyl: Die Folgen des Unglücks am 26. April 1986 in der Ukraine sind bis ins Siegerland zu spüren, der ABC-Zug ist im Einsatz. „Es waren viele Menschen verunsichert“, sagt Ehrenmitglied Dietmar Völker. Sie nehmen Messungen in der Luft und an Lebensmitteln vor, um Radioaktivität festzustellen. „Wir haben aber hier definitiv nichts abbekommen“, sagt Völker.
2. Wasserrohrschaden: Lebensretter im Alltag: Das beweist der ABC-Zug ebenfalls 1986. Ein eiskalter Winter lässt die Wasserrohre in einem Haus für Asylanten gefrieren. Ein langes Wochenende hätte die türkische Familie ohne Wasser auskommen müssen. Der ABC-Zug sorgt für die Wasserversorgung.
3. Kriminell: 1987 im Nachbarbundesland Hessen: In Herdorf brennt eine Besteckfabrik. Angeblich fließen giftige Stoffe in die Kanalisation. „Das kann aber nicht von der Besteckfabrik kommen“, sagt Dietmar Völker. Bei den giftigen Stoffen handelt es sich um Blausäure. Nach einigen Messungen erhärtet sich ein anderer Verdacht und Völker schaltet sofort die Staatsanwaltschaft ein: „Die benachbarte Firma nutzt den Brand aus, um kostenpflichtige giftige Abfälle einfach ins Feuer zu kippen“, erzählt er. Daher rühren auch die Blausäurespuren. In einem Gerichtsprozess werden die Verantwortlichen der Nachbarfirma schließlich schuldig gesprochen und verurteilt.
4. Hungersnot: Kein Weg ist ihnen zu weit. Auch nicht der Weg in die Ukraine. Wegen Armut und Hungersnot, machen sich Helfer des ABC-Zugs mit fünf Fahrzeugen mehrmals auf den Weg in das 1500 Kilometer entferne Ushgorod. „In einem Heim für Sozialwaisen herrschen desolate Zustände“, sagt Völker: „Es gibt kein Essen, kein Spielzeug, keine Toiletten“ für die zum Teil geistig behinderten Kinder. „Unvorstellbar, wie es da aussieht.“ Durch die Hilfe der Siegerländer können Duschen, Toiletten und eine Küche eingebaut werden – Überbleibsel von Siegener Firmen.
5. Lebenshelfer: Auch 1996 gibt es das noch: Ein Anwesen, das auf das Wasser des hauseigenen Brunnen angewiesen ist. „Das ist eine skurrile Geschichte“, sagt Völker. Bei Richstein lebt eine ältere Dame allein auf ihrem Hof. Das Wasser aus ihrem Brunnen darf sie jedoch nicht mehr benutzen – die Wasserentnahme wird vom Gesundheitsamt verboten. „Die Dame will aber partout nicht umziehen“, sagt Völker. Der ABC-Zug rollt an und stellt der Frau über Jahre einen Wassertank zur Verfügung. „Wenn wir zum Auffüllen kommen, gab es auch immer ein Stück Kuchen“, sagt Völker. Ihren Hof muss die Dame allerdings bald doch aufgeben, sie lebt mittlerweile im Altenheim.
6. Verstrahlt: Eine große Gefahr für Siegen – vermeintlich. In Niederschelden wird 1996 ein radioaktiver Wert von mehreren 100 Rem gemessen. „Da ist man schon bei der Siegerlandhalle tot“, sagt Dietmar Völker. Ein Mann misst den angeblichen Wert einen Tag vor Heiligabend. Er sitzt mit seiner Freundin im Wohnzimmer und probiert sein neues Messgerät aus. „Leider hat er den Rem-Wert mit der Stoppuhr verwechselt“, sagt Völker und lacht. Ein Einsatz, den die Gruppe nicht so schnell wieder vergessen.
7. Feuer: Ein spektakulärer Brand ereignet sich in Weidenau. Im Jahr 2000 brennt dort in der Nacht ein Reifenlager. Die Feuerwehr ist will den Brand löschen – was aber in einer riesen Katastrophe geendet wäre. Der ABC-Zug ordnet an, das Reifenlager kontrolliert ausbrennen zu lassen. „Wir hatten eine sehr inversionsarme Wetterlage, es gab keinen Austausch von warmer und kalter Luft“, erklärt ABC-Zug-Mitglied Fred Zimmermann. So wäre der giftige Rauch, der durch das Löschen entstanden wäre, wie eine Glocke über Weidenau hängen geblieben. „Dann hätten wir Weidenau evakuieren müssen“, sagt Dietmar Völker.
8. Der wohl grausamste Einsatz: Ein Fall, der alle Helfer schwer belastete. 2002: Durch einen Starkregen rutschen am Friedhof in Kaan-Marienborn 19 Gräber ab, die schließlich in Richtung Rehbachstraße abspülen. Der ABC-Zug gewährleistet die Personen- und Gerätekontamination. „Das war einfach nur gespenstisch“, sagt Fred Zimmermann. Eine Garage wird zur Sammelstelle umfunktioniert. Eine Rechtsmedizinerin ist vor Ort, um die verschiedenen Körperteile den Leichen zuzuordnen. Für die ABC-Mannschaft ein einschneidendes Erlebnis: „Ein Kollege rutscht in ein Grab ab. Ein anderer Kollege trägt einen großen Klumpen in die Garage, weil er glaubt, es sei ein Schädel. Es stellt sich heraus, dass es ein Teddybär ist, der bei der Beerdigung mit in ein Grab geworfen wurde“, sagt Dietmar Völker. Schauderhafte Einzelheiten eines belastenden Einsatzes. Einige Mitglieder müssen in psychologische Betreuung. „Den süßlichen Verwesungsgeruch werd ich nie aus der Nase bekommen“, sagt Zimmermann.
9. Terrorwarnung: Sommermärchen 2006. WM-Fieber. Aus dem Regierungsbezirk Arnsberg werden alle Erkunderfahrzeuge nach Bochum geordert, um im Falle eines Anschlags gerüstet zu sein. „Das sind Nachwirkungen von dem 11. September 2001. Die Angst vor Terror war enorm und hat unsere Arbeit sehr verändert“, sagt Völker.
10. Telekom-Brand: Der Brand in der Telekom-Schaltzentrale in Siegen legt 2013 den gesamten Fernmelde- und Datenverkehr lahm. Ein Notruf ist nur noch über Funk möglich. Alle Einheiten, auch der ABC-Zug, besetzen die Gerätehäuser rund um die Uhr. Ein Dauereinsatz, der erst nach zwei Tagen endet.